Doug Aitken engagiert für seine Videoarbeiten immer wieder auch Filmstars. Einer davon ist Tilda Swinton.

Weißes Kleid, blasse Haut, hohe Wangenknochen, kein Make-Up. Tilda Swinton wirkt in Doug Aitkens „SONG1“ elfenhaft verletzlich und gleichzeitig stark. „SONG1“ ist eine 360-Grad-Filminstallation, zu sehen in der aktuellen Doug Aitken-Ausstellung. Swinton ist eine der Darstellerinnen, die in dem Video das Lied „I Only Have Eyes For You“ covert. Ihre Interpretation des Flamingos-Klassikers klingt sphärisch, nimmt den Betrachter gefangen und führt ihn in eine andere Welt. 

Das Video kreierte Doug Aitken 2012 für das Hirshhorn Museum in Washington D.C. – und projizierte es an die runde Außenfassade des Hauses. „SONG1“ ist nicht seine einzige Arbeit, die er auf der Außenfassade eines Museums präsentierte und nicht die einzige, in der Tilda Swinton eine Rolle spielt. Bereits 2007 besetzte er Swinton für seine Videoinstallation „Sleepwalkers“, die an der Fassade des New Yorker MoMa gezeigt wurde.

2012 führte er für seine Videoarbeit „The Source“ mit Swinton ein Interview. In mehreren Kurzfilmen sprechen neben Swinton auch Künstler wie Beck, William Eggleston und Ryan Trecartin über den Ursprung von Kreativität. „The thing that keeps me being a performer, is my interest in society’s obsession with identity. Because I’m not really sure that identity exsists”, erzählt sie Doug Aitken. Sie sagt, dass sie eigentlich Dichterin werden wollte und als Kind dachte, es sei unmöglich, vollkommen zu kommunizieren. Sie sei mehr an Stille und Gesten interessiert, als an Sprache: „It feels to me, that art is a conversation."

Kunst, das ist für die Oscar-Gewinnerin (2008 für ihre Rolle in „Michael Clayton“) mehr als Schauspielerei. Sie sieht sich als Performancekünstlerin. Es zieht sie in Welten, in denen sich Kunst und Film berühren. Der Vater ihrer Kinder, John Byrne, ist Autor und Maler. Ihr Lebensgefährte Sando Kopp ist ebenfalls Künstler. Swinton selbst kreierte 1995 gemeinsam mit der Künstlerin Cornelia Parker die Performance „The Maybe“, für die sie sich in der Londoner Serpentine Gallery stundenlang in einem Glassarg schlafen legte. Die Aktion wiederholte sie später im Museo Narracco in Rom und im New Yorker MoMA. Im Interview mit dem Art Magazin sagte Tilda Swinton über die Performance: „Lenins Leichnam hatte mich überhaupt erst auf die Idee gebracht. All die Leute, die sich anstellen, um einen Toten zu sehen. 1994 besuchte ich viele Beerdigungen von Freunden. Die Arbeit war in Gedenken an sie gedacht.“

Dass Tilda Swinton einmal in der Kunst- und Filmwelt zuhause sein würde, war nicht unbedingt vorherzusehen. Sie stammt aus einem uralten schottischen Adelsgeschlecht, ihr Vater war Generalmajor des Leibregiments der Queen. Aufgewachsen ist sie in einem Schloss, und sie besuchte gemeinsam mit Diana Spencer, der späteren Lady Di, das West-Heath-Internat für höhere Töchter. Anschließend studierte sie in Cambridge Sozialwissenschaften. Kurze Zeit stand sie für die Royal Shakespeare Company auf der Bühne, verließ das Ensemble aber bereits nach einer Spielzeit, um in dem Film „Caravaggio“ des britischen Independent-Regisseurs Derek Jarman mitzuspielen. Bis zu Jarmans Aids-Tod im Jahr 1994 trat Swinton in jedem seiner Filme auf. Sie war seine Muse, er verhalf ihr dazu, ihren gestischen Schauspielstil zu entwickeln.

Auch wenn Tilda Swinton später in einigen Hollywood-Filmen mitspielte (z.B. „The Beach“ und „Vanilla Sky“), steht sie vor allem für Anti-Mainstream. Eine intelligente Schönheit mit Ecken und Kanten. Sie gilt als die Stilikone unserer Zeit, wird deswegen auch gerne von Modedesignern wie Karl Lagerfeld (für Chanel), Firmen wie Pringle of Scotland oder Pomellato und als Botschafterin der Berliner Mercedes-Benz Fashion Week engagiert. David Bowie verpflichtete sie für ein Musikvideo, mit Christoph Schlingensief verband sie eine lange Freundschaft. Warum sich so viele Kreative um Tilda Swinton scharen? Wahrscheinlich ist es einfach so, wie der Festivalleiter des Hamburger Filmfestes Albert Wiederspiel sagte, als er Swinton 2013 den Douglas-Sirk-Preis überreichte: „Wo Tilda Swinton ist, ist Kunst“.