Der letzte Werkzyklus der US-amerikanischen Künstlerin Georgia O'Keeffe zeigt endlose Himmelslandschaften. Die langsam erblindende Künstlerin verarbeitete darin den Blick aus dem Flugzeugfenster.

Was als exklusive Form des Reisens für Wenige begann, hat sich binnen weniger Jahrzehnte zum Fortbewegungsmittel für die Massen entwickelt. Und trotzdem: Bis heute hat das Fliegen wenig von seiner ursprünglichen Faszination verloren. Gut ablesen lässt sich dies auch an den zahlreichen Schnappschüssen, die durch das winzige Flugzeugfenster hindurch vom Horizont über oder gerade knapp unter den Wolken aufgenommen werden. Bemerkenswert ist dieser Umstand insbesondere, da Bilder dieser Art dank Digitaltechnik inzwischen mindestens ebenso massenhaft vorhanden sind wie die eng getakteten Flugpläne. An der Begeisterung für das Fliegen scheint die Omnipräsenz der Bilder jedoch wenig zu ändern.

Als Fliegen noch eine Sensation war

Genau diese Faszination spiegelt sich auch in den „Sky Above Clouds“-Paintings von Georgia O'Keeffe wider, die aktuell in der Ausstellung „Letzte Bilder“ zu sehen sind – wobei diese zu einer Zeit entstanden, in der das Fortbewegungsmittel Flugzeug noch eine echte Sensation darstellte. Die amerikanische Malerin war bereits über 70 Jahre alt, als sie 1959 zu ihrer ersten Flugreise aufbrach. Der Blick aus dem Fenster inspirierte sie zu einer Reihe von Bildern, die sich ganz der Formation der Wolken widmen. Dabei lassen sich zwei typische Grundmotive beobachten, auf die Georgia O'Keeffe immer wieder zurückgreift: in zahlreichen Bildern werden die amorphen, oft lichtdurchlässigen Gebilde zu grafischen Formen reduziert, die sich deutlich von ihrem Hintergrund absetzen. Weiße Eisschollen auf tiefblauem Grund bevölkern einen Großteil der Leinwand, die irgendwo am oberen Bildrand stets durch einen Horizont aus blassrosa und blauen Balken begrenzt wird. Dieses Motiv wurde immer wieder variiert, durch neue Eindrücke – nach der ersten Reise stieg die Malerin immer öfter ins Flugzeug, um die Welt aus erhabener Höhe zu betrachten – verändert, ohne dabei seinen relativ strengen, formalen Charakter zu verlieren.

Besonders eindrucksvoll wirken Bilder wie das 1965 fertiggestellte „Sky Above Clouds IV“, auf dem der naturgemäß enge Blick aus dem kleinen Flugzeugfenster durch eine Leinwandlänge von über sieben Metern in einem riesigen Wolkenpanorama aufgeht. Die SCHIRN-Ausstellung zeigt jedoch noch eine weitere Herangehensweise: In den hier ausgestellten Malereien löst Georgia O’Keeffe die Wolkendecke nicht in grafische Formen auf, sondern verdichtet sie zu einer schier undurchdringlichen Masse. Auch hier bildet der schmale Lichtstreifen am Horizont den einzigen Bruch im ansonsten homogenen Motiv. Die Wolkenhimmel ließen die Künstlerin bis zu ihrem Tod im Jahr 1986 nicht los. Sie gehören zu den letzten Malereien, die die Amerikanerin so lange variierte, wie ihr schwindendes Augenlicht dies zuließ – bis hin zum düsteren Horizont des "Jenseits", der sich formal ebenfalls stark an den „Sky Above Clouds“-Paintings orientiert.

Eine amerikanische Ausnahmekünstlerin

Mit den Sky-Paintings widmete sich Georgia O'Keeffe einem für sie bis dahin völlig neuen Motiv. Zwar hatte die Künstlerin ein Faible für Himmel und Horizont, der Blick aus dem Flugzeugfenster aber bot hier noch einmal eine deutlich andere Perspektive, nicht zuletzt, weil er den Wolkenhimmel in den Fokus und nicht in den Hintergrund setzte. Gleichzeitig weisen die Arbeiten aus dieser späten Werkreihe starke Ähnlichkeiten zu früheren Bildern auf: Auch hier ist es im weitesten Sinne die Faszination für Natur und Landschaft, die das Interesse der amerikanischen Ausnahmekünstlerin weckte. Die grafische, stark reduzierte Anordnung der Wolkenformationen passt ganz in diesen Kontext – O'Keeffe gilt als eine der ersten Malerinnen, die die Abstraktion für sich entdeckte. Anfang des 20. Jahrhunderts lebt die junge Amerikanerin in Chicago und später in New York, als sie in einer Galerie ihres späteren Freundes und Förderers Alfred Stieglitz zum ersten Mal auf die Zeichnungen von Auguste Rodin trifft. Die augenscheinliche Einfachheit, mit der der französische Bildhauer komplexe Eindrücke auf einen minimalen Ausdruck reduziert, ist ein radikaler Bruch mit dem bis dato gültigen Dogma der Figürlichkeit.

Noch einige Jahre folgt Georgia O´Keeffe den eher konservativen Vorstellungen ihrer Kunstlehrer, bis sie nach einem Studienabbruch bald selbst mit vereinfachten Formen experimentiert. Im Zentrum ihrer künstlerischen Arbeit stand dabei stets der Ausdruck einer individuellen Innerlichkeit, der für Georgia O'Keeffe eben nicht mit den herkömmlichen Mitteln einer möglichst naturalistischen Darstellung ihrer Lebenswelt geschaffen werden konnte, sondern nur über den Weg der Abstraktion, Reduktion und Vereinfachung. Im Laufe der Jahrzehnte entstanden so tausende Malereien, die immer wieder auf ähnliche Motive zurückgreifen – die Wüste in ihrem späteren Wohnsitz in New Mexico wird häufig als Ausgangspunkt genutzt, oftmals ergänzt um überdimensionierte Blüten, Tierschädel oder den nächtlichen Himmel.