Das SCHIRN Magazin stellt die Künstler und ihre Objekte aus der Ausstellung „Surreale Dinge“ vor. Heute: Hans Bellmer und seine anarchistisch-erotischen Puppen.

ans Bellmers (1902 Kattowitz – 1975 Paris) Puppen, seine künstlich erschaffenen Wesen, waren seine lebenslange Obsession, in die er alle seine gesellschaftlich nicht akzeptierten Begierden, Träume und Sehnsüchte hineinprojizieren konnte. Er arrangierte sie in allen erdenkbaren Posen, fotografierte sie in der Küche, im Wald, im Atelier und war dabei möglichst mit ihnen alleine.

Einen wesentlichen Anstoß zu seiner ersten Arbeit erhielt er durch die Puppe Olympia aus der Oper „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach, die sich in Bellmers Fantasie mit Erlebnissen seiner Kindheit und verführerischen Verheißungen seiner lolitahaften Cousine Ursula verbanden. Auch kannte Bellmer die Holzgliederpuppen von Sophie Taeuber-Arp sowie die Dada-Puppen von Hannah Höch und Emmy Hennings.

Bellmers Werke wie „La poupée / Die Puppe“ und „La toupie / Der Kreisel“ sind weder zart noch lieblich. Sie erregen durch ihre Erotik, und zugleich schlagen sie den Betrachter durch ihre sexuell und körperlich übersteigerte Monstrosität und die ihnen innewohnende Gewalt und Brutalität in die Flucht. Für Bellmer sind sie – wie er selbst – Täter und Opfer zugleich. Im Laufe der Zeit wurden die Puppen mechanischer, künstlicher und in ihrer Konstruktion komplexer, wie in „La demi-poupée / Die halbe Puppe“ zu sehen ist.

BELLMER TRITT 1935 DER SURREALISTISCHEN GRUPPE BEI

Gegen den Willen seines Vaters brach Bellmer 1924 sein Ingenieurstudium in Berlin ab. Auf Anraten von George Grosz verdiente er zeitweilig seinen Lebensunterhalt mit künstlerisch-illustrativen Arbeiten. Die erste seiner berühmten Puppen erschafft Hans Bellmer 1933. Kurz zuvor hat er den Entschluss gefasst, aus Protest gegen Hitler jede gewinnorientierte Erwerbstätigkeit zu beenden.

Im Sommer 1934 trat er mit den Pariser Surrealisten in Kontakt, da er die Aufmerksamkeit der surrealistischen Zeitschrift Minotaure erwecken wollte. Ihr Chefredakteur André Breton war begeistert: 18 Puppenfotografien erschienen noch im selben Jahr in Heft 6. Kurz zuvor veröffentlichte Bellmer auf eigene Kosten den mit seinen Fotografien illustrierten Text „Die Puppe“ bei Thomas Eckstein in Karlsruhe.

Er reiste 1935 nach Paris und trat der surrealistischen Gruppe bei. Fortan war er bei allen Kollektivausstellungen der Surrealisten beteiligt und blieb sein Leben lang mit ihnen in Kontakt. Seine Theorie des „körperlichen Unbewussten“, dem Wissen von der psychischen Struktur des Physischen, faszinierte die Gruppe. Mit Zerlegung und Neukomposition von Wirklichkeit traf Bellmer den surrealistischen Zeitgeist.

1938 floh er nach Paris. Den traumatischen Erfahrungen der Emigration folgte ein Aufenthalt in einem Internierungslager bei Aix-en-Provence, aus dem er im August 1940 entlassen wurde. Durch Unterstützung von Hans Arp, Marcel Duchamp, Max Ernst und anderen Künstlern erhielt Bellmer 1958 den Preis für zeitgenössische Kunst der William and Norma Copley Foundation, Chicago. Bis zu seinem Tod im Jahr 1975 lebte er in Paris.