Als Auftakt der umfassenden Überblicksausstellung „John Akomfrah. A Space of Empathy“ bringt die SCHIRN im Rahmen ihres OPEN-AIR-KINOS eine Reihe von Filmen zurück auf die Leinwand, die das Werk des Künstlers nachhaltig beeinflusst haben.

Das SCHIRN OPEN-AIR-KINO zeigt Andrei Tarkowskis autobiographisch inspirierten Film „Der Spiegel“ (1975), den Kultfilm „Touki Bouki“ von Djibril Diop Mambéty (1973), den Essayfilm „Reassemblage“ von Trịnh T. Minh Hà (1982), den avantgardistischen Experimentalfilm „Meshes in the Afternoon“ von Maya Deren und Alexander Hackenschmied (1943) sowie den Episodenfilm „Deutschland im Herbst“ (1977), in dem unter anderem Rainer Werner Fassbinder, Alexander Kluge, Edgar Reitz und Volker Schlöndorff Regie führten. Jeder dieser Filme setzt sich auf experimentelle Weise mit dem Verhältnis von Vergangenheit und Realität auseinander und greift damit Aspekte auf, die auch in JOHN AKOMFRAHS Werken einen zentralen Stellenwert einnehmen.

SCHIRN OPEN-AIR-KINO, Dienstag bis Donnerstag, 5.–7. September, zur Ausstellung „JOHN AKOMFRAH. A SPACE OF EMPATHY“, © Schirn Kunsthalle Frankfurt, Foto: Esra Klein, 2020

DER SPIEGEL (ANDREI TARKOWSKI, 1975)

In „Der Spiegel“ (1975) beschäftigt sich Tarkowski mit seiner Jugend und dem problematischen Verhältnis seiner Eltern. Die Familiengeschichte vermischt sich im Film mit der russischen Geschichte, mit Traum und Erinnerung. Wie auch in Tarkowskis späteren Filmen, „Stalker“ (1979) und „Nostalghia“ (1983), löst sich die Integrität der Landschaften und Innenräume auf und selbst in den langen Einstellungen einzelner Szenen sind die räumlichen und zeitlichen Übergänge fließend. Zwischengeschnitten erscheinen wiederholt historische Aufnahmen, unter anderem aus dem Zweiten Weltkrieg und dem Spanischen Bürgerkrieg.

„Der Spiegel“ stellt subjektive und objektive Vergangenheit einander gegenüber und entwirft eine eigenständige Filmästhetik, die exemplarisch für das experimentelle Filmschaffen von Tarkowski steht. Die reichhaltigen kulturellen Verweise (beispielsweise auf Bach, da Vinci und Breughel), die überbordende Symbolik und die phantastischen Bildwelten seiner Werke, gehören unverändert zu den eindrücklichsten der Filmgeschichte.

SCHIRN OPEN-AIR-KINO, Dienstag, 5. September, zur Ausstellung „JOHN AKOMFRAH. A SPACE OF EMPATHY“, DER SPIEGEL, 1975, Andrei Tarkovsky, Filmstill, © trigon-film.org

REASSEMBLAGE (TRINH T. MINH HÀ), 1982

„Reassemblage“ von Trịnh T. Minh Hà zeugt von einer Reise in den Senegal und der Suche nach einer Beschreibung jenseits des kolonialen Blicks. „I do not intend to speak about, just nearby”, konstatiert die Regisseurin zu Beginn des Films und eröffnet damit eine Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zur Realität, zum Anderen und der eigenen Lebenswirklichkeit sowie mit der Frage der photographischen Abbildbarkeit. Zugleich formuliert sie einen Metakommentar zu einer Ethnologie, die von einem objektiven Standpunkt ausgeht und dabei die politische Dimension des eigenen Handelns ignoriert. Denn Bilder, Körper, Zeichen zu lesen, geht stets mit der Auferlegung einer Bedeutung einher. Durch eine deutliche Schere zwischen Bild und Ton bricht „Reassemblage“ mit dem klassischen dokumentarischen Format, dekonstruiert vermeintlich gesicherte Annahmen und schärft die Aufmerksamkeit für die Mittel der filmischen Darstellung. Wie ein unsichtbarer Spiegel wirft der Film den Blick zurück.

SCHIRN OPEN-AIR-KINO, Mittwoch, 6. September, zur Ausstellung „JOHN AKOMFRAH. A SPACE OF EMPATHY“, REASSAMBLAGE, 1982, Trinh T. Minh-ha, Filmstill, © Arsenal Film und Videoinstitut e.V.

TOUKI BOUKI (DJIBRIL DIOP MAMBÉTY, 1973)

Während „Reassemblage“ den kolonialen Blick dekonstruiert, manifestiert „Touki Bouki“ als unabhängige senegalesische Produktion ein neues afrikanisches Selbstbewusstsein auf der Leinwand. Bis weit in die 1960er-Jahre hinein wurden in afrikanischen Kinos nahezu ausschließlich Filme anderer Kontinente gezeigt. Djibril Diop Mambéty setzte hierzu ein deutliches Gegengewicht und erhielt für seinen Film 1973 den Preis der internationalen Kritik in Cannes.

In „Touki Bouki“ träumt ein kleinkriminelles Paar von einem Leben in Paris. Dabei greift der Film die Faszination für die Hauptstadt der ehemaligen Kolonialmacht nicht nur selbstkritisch auf, sondern äußert deutliche Kritik an den post-kolonialen Verhältnissen. Mitunter die non-lineare Erzählform, die komischen Elemente von Ironie bis zum Slapstick, der effektvolle Einsatz der Filmmusik (insbesondere Josephine Bakers „Paris, Paris, Paris“ in einer verknappten Schleife) und die elegante Engführung von Falsch- und Schauspiel haben „Touki Bouki“ den Ruf eines Kultfilms eingebracht.

MESHES OF THE AFTERNOON (MAYA DEREN & ALEXANDER HACKENSCHMIED, 1943)

„Meshes of the Afternoon“, ein Experimentalfilm von Maya Deren und Alexander Hackenschmied (später Alexander Hammid) aus dem Jahr 1943, machte die in der Ukraine geborene Deren zur bekanntesten US-amerikanischen Avantgarde-Filmkünstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Im Film betritt Deren wiederholt ein Haus, begegnet in traumwandlerischen Episoden multiplen Versionen ihrer selbst und einer verhüllten Gestalt, die einen Spiegel an Stelle eines Gesichts trägt.

Der unkonventionelle Einsatz von Zeitlupen, die raffinierte Bildgestaltung und Montage sowie das Vexierspiel wiederkehrender Objekte machen „Meshes of the Afternoon“ zu einem Enigma, das immer wieder neue Entdeckungen bereithält. Themen und Bildmotive des Films erinnern an „Le sang d’un poète“ (1930) von Jean Cocteau und die surrealistischen Filme von Luis Buñuel und Salvador Dalí. Anders als bei „Un Chien Andalou“ (1929) von Buñuel und Dalí dient das Unbewusste in „Meshes of the Afternoon“ allerdings nicht der Versenkung in Halluzinationen, sondern als Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit.

DEUTSCHLAND IM HERBST (ALF BRUSTELLIN, HANS PETER CLOOS, RAINER WERNER FASSBINDER, ALEXANDER KLUGE, MAXIMILIANE MAINKA, BEATE MAINKA-JELLINGHAUS EDGAR REITZ, KATJA RUPÉ, BERNHARD SINKEL, VOLKER SCHLÖNDORFF, PETER SCHUBERT 1977)

Mit „Deutschland im Herbst“ reflektieren elf Regisseur*innen die historischen Ereignissen des Jahres 1977. Die einzelnen Episoden werfen unterschiedliche Schlaglichter auf die gesellschaftspolitische Situation der Bundesrepublik nach der Entführung von Hanns Martin Schleyer, den Toden der RAF-Führungsspitze und angesichts eines erstarkenden Polizeiapparates sowie der politischen Polarisierung. Als spätes Zeugnis des Neuen Deutschen Films, der das Unterhaltungskino der Nachkriegsjahre ablehnte und einen neuen gesellschaftspolitischen Filmstil forderte, setzt sich „Deutschland im Herbst“ kritisch mit dem Stand der deutschen Demokratie und dem Erbe der Protestbewegung auseinander, die ein Jahrzehnt zuvor die verdrängte Schuld und Täterschaft der vorausgegangenen Generationen im Nationalsozialismus angeprangert hatte.

Die Episoden, aus denen sich „Deutschland im Herbst“ zusammensetzt, wechseln sich in der Montage von Beate Mainka-Jellinghaus (bekannt als Cutterin von Alexander Kluge) zum Teil ab, setzen sich fort und treten auf diese Weise in einen Dialog. Irgendwo zwischen Spielfilm und Dokumentation führt Fassbinder ein energisches Streitgespräch mit seiner Mutter Liselotte Eder, die Kunstfreiheit wird vor der Prüfungskommission einer Antigone-Inszenierung verhandelt und die Medienberichterstattung anlässlich der Beerdigung von Schleyer sowie von Baader, Ensslin und Raspe bloßgelegt, während die fiktive Lehrerin Gabi Teichert mit den „Grundlagen der deutschen Geschichte“ und ihren Kontinuitäten hadert.

SCHIRN-OPEN-AIR-KINO

5. - 7. SEPTEMBER 2023, WIESENHÜTTENPLATZ, EINLASS AB 19 UHR, EINTRITT FREI

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