Johannes Leiacker lebt und arbeitet in Frankfurt. Die Bühnenbilder, die er entwirft, sind in Schauspiel- und Opernhäusern auf der ganzen Welt zu sehen. An der Oper Frankfurt bereit er gerade die nächste Premiere vor.

Johannes Leiacker steht auf der Bühne der Frankfurter Oper und schaut. Nach links, nach rechts, nach oben. Er hat die Arme vor dem Körper verschränkt, sagt kein Wort. Gerade wird das Bühnenbild, das er für die Neuinszenierung der Richard-Strauss-Oper „Ariadne auf Naxos“ geschaffen hat, zum ersten Mal hier aufgebaut. Überall wird noch gearbeitet, der Raum ist riesengroß, Wägen voller Werkzeug werden hin und her geschoben. Hohe weiße Wände stehen auf der Bühne, in der Ecke ein überdimensionaler Stuhl von mindestens vier Meter Höhe. „Ja, das wird doch“, sagt Leiacker ganz leise.

Als Bühnenbildner ist Johannes Leiacker international gefragt. Die Metropolitan Opera in New York, die English National Opera in London, die Vlaamse Opera Rotterdam, die Dresdener Semper-Oper oder das Aalto-Theater in Essen sind nur einige seiner Stationen. In Frankfurt ist er bei „Ariadne auf Naxos“ nun für Bühnenbild und Kostüme verantwortlich. Seit mehr als zwei Jahren arbeitet er an dem Projekt, jetzt steht die Premiere kurz bevor. In ein paar Stunden werden die Sänger zum ersten Mal in Leiackers Kulissen proben. Wird es funktionieren? Stimmt das Licht? Wie ist die Akustik? „Heute ist der Tag der Wahrheit“, sagt Leiacker.

Wenn er einen neuen Auftrag bekommt, dann besucht Leiacker zunächst einmal das Theater, an dem die Inszenierung stattfinden wird. Er setzt sich in den leeren Zuschauerraum, lässt den Ort auf sich wirken, eine Stunde oder länger. „Und irgendwann, dann spürt man etwas.“ Leiacker beginnt dann, ein Modell zu bauen, arbeitet mit Holz, Pappe und Farbe, probiert Verschiedenes aus, spielt Situationen und Räume durch. Am Computer entwerfen funktioniert für ihn nicht. „Ich muss das dreidimensional ausprobieren“, sagt er. 

Für die Oper „Ariadne auf Naxos“ hat der Bühnenbildner zwei Räume entworfen. Im Vorspiel werden wir einen weißen, aufgeräumten Raum mit hohen Wänden und tiefschwarzen Türen sehen. In der Mitte eine repräsentative Treppe, ein roter Teppich führt bis an die Rampe. Ein Modell des Entwurfs steht neben der Bühne. Nach der Pause wird man den gleichen Raum wieder sehen, aber perspektivisch verzerrt. Die Proportionen geraten aus dem Gleichgewicht. Wie in einem Gemälde von Giorgio de Chirico. Oder bei Alice im Wunderland. Die Inspiration für diesen verzerrten Raum hat Johannes Leiacker in einem Gedicht von Jorge Luis Borges gefunden: „Borges hat darin beschrieben, wie ein Raum sich durch Gefühle verändert, wie er sich erweitert“, erklärt er. Als Bühnenbildner pflegt er keinen spezifischen Stil, sondern sucht nach einem eigenen Ansatz für jede neue Arbeit. So unterschiedlich wie die Stücke sind auch Leiackers Entwürfe. „Ich will nicht handschriftlich wiedererkennbar sein“, sagt er.

Leiacker, Jahrgang 1948, hat ursprünglich Tischler gelernt. Nach der Lehre ging er an die Werkkunstschule Wiesbaden, eine in der Bauhaus-Tradition stehende Designschule. In einem Kurs sollten die Studenten architektonische Lösungen für provisorische Theaterräume entwickeln. Das Staatstheater Wiesbaden, das damals saniert wurde, war auf der Suche nach Lösungen für die Zeit ohne großes Haus und hatte den Kontakt zur Werkkunstschule gesucht. So kam Leiacker zum ersten Mal mit der Theaterwelt in Kontakt. Nach dem Studium ging er dann als Bühnenbildassistent ans Mannheimer Nationaltheater. Und er sah Inszenierungen, die ihn beeindruckten, Peter Zadeks „Othello“ etwa. „Das hat alles über den Haufen geworfen, was ich bisher über das Theater wusste. Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen“, sagt er.

Leiacker wechselt nach Frankfurt, wo der aus der DDR geflohene Peter Palitzsch das Mitbestimmungstheater ins Leben gerufen hat. Der Geist der 68er bestimmt das Projekt: Palitzsch wagt ein radikaldemokratisches Experiment: Theater im Kollektiv, ohne Hierarchien, politisch engagiert. „Wir wollten Theater machen, das etwas bewirkt“, erinnert sich Leiacker. Und er ist begeistert von der Stadt. „In Regensburg, wo ich groß geworden bin, war es immer bedrückend. In Frankfurt konnte ich frei atmen. Die Spontiszene, die Hochhäuser, die Kämpfe am Theater: Das war alles hochspannend.“ Die Zeit prägt ihn bis heute, davon ist Leiacker überzeugt: „Dass ich so gerne im Team arbeite, das rührt daher. Gemeinsam etwas erschaffen: Das ist das Schönste am Theater.“

Zwei seiner Bühnenbildentwürfe sind weltberühmt geworden. Eines, weil es außergewöhnlich viele Menschen gesehen haben. Das andere, weil es fast niemand gesehen hat. Für die Bregenzer Festspiele entwirft Leiacker 2007 die Kulissen für Puccinis „Tosca“. Ein überdimensionales Auge blickt über den Bodensee, schaut die Zuschauer an. Die Setdesigner des James-Bond-Films „Ein Quantum Trost“ sind so begeistert von Leiackers Riesenauge, dass sie eine Verfolgungsjagd auf der Seebühne drehen lassen. Im Sommer 2008, während der Fußball-Europameisterschaft, wird die Tosca-Bühne dann zur Public-Viewing-Arena des ZDF. Johannes B. Kerner moderiert in Leiackers Bühnenbild, 160 000 Besucher werden gezählt, Millionen Fernsehzuschauer kommen dazu. „Bei dem Auge ging es nicht um Gigantomanie. Wir brauchten etwas, das fokussiert“, sagt Leiacker. „Diese Aufmerksamkeit, das war schon komisch. Ich erinnere mich noch immer daran, wie der Setdesigner des Films zu mir kam und anerkennend sagte: It looks so bondish.“

Weitgehend unsichtbar geblieben ist Johannes Leiackers Bühnenbild für Rainer Werner Fassbinders Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod “. Die Jüdische Gemeinde hatte die Uraufführung des Stücks 1985 an den Frankfurter Kammerspielen mit lautstarken Protesten verhindert – weil sie das Stück über einen jüdischen Immobilienentwickler als antisemitisch empfand. „Das ist unglaublich frustrierend, wenn eine Aufführung nicht zustande kommt“, sagt Leiacker. „Wir waren fest davon überzeugt, dass Fassbinder kein Antisemit ist. Wir konnten es aber nicht beweisen, weil wir unser Stück nicht zeigen durften.“ 

Spürt einer wie Leiacker, mit einer so langen und intensiven Theatererfahrung, eigentlich noch Lampenfieber am Tag der Premiere? „Ich bin immer aufgeregt, das wird sich nicht ändern“, sagt er. Er denkt kurz nach und fügt dann hinzu: „Ein Bühnenbild ist für mich wie ein Kind. Mit der Premiere gibt man es aus dem Haus. Und dann ist das Baby weg.“