Im DOUBLE FEATURE präsentiert die SCHIRN im März eine Auswahl der Arbeiten des französischen Künstlers Neil Beloufa. Im Anschluss wird sein Lieblingsfilm „Muriel“ des kürzlich verstorbenen Regisseurs Alain Resnais gezeigt.

Gerade in Zeiten von Globalisierung, schwierigen politischen Gemengelagen und vorherrschender Krisenstimmung verliert der Staatsbürger leicht den Überblick und meint vielleicht gerade deshalb zu wissen, wie die Welt funktioniert, ferner wie Politik gemacht wird. Das jene Vorstellungen in puncto pragmatischer Boshaftigkeit und Grausamkeit die Realität bei weitem einholen können, bekommt man in Neil Beloufas „La Domination du Monde“ (World Domination) aus dem Jahre 2012 zu sehen. In dem knapp 30-minütigen Film scheinen die Protagonisten Hegels Analyse, dass „Nationen, die in sich unverträglich sind, durch Kriege nach außen Ruhe im Innern gewinnen“ in allen nur erdenklichen Formen durchzuexerzieren.

Für „La Domination du Monde“ ließ der 1985 in Paris geborene Künstler Laiendarsteller in die Rollen führender Persönlichkeiten (Staatspräsidenten, Innen- und Außenminister etc.) verschiedener Nationen schlüpfen und diese im Folgenden über politische und geostrategische Probleme diskutieren. In der Tat kommt jedes Team zu einer erfolgsversprechenden Lösung, wenngleich in Frage gestellt werden darf, ob diese im Interesse aller liegen mag. Für Probleme wie Überbevölkerung oder Jugendarbeitslosigkeit lautet die Lösung Krieg, auch den wirtschaftlichen Aufschwung oder die Regulierung der Finanzmärkte wollen die Diskutanten stets mit Krieg in den Griff bekommen. Während diese Lösungsfindung in den ersten Diskussionsrunden noch recht zügig vonstattengeht, kommt es immer wieder zum Disput, ob man nun gegen Nord- oder Südamerika, Europa, Asien oder Afrika in den Krieg ziehen soll.

Ob die Laiendarsteller nach Drehbuch agieren oder improvisieren, lässt Beloufa im Dunkeln, sichtbar ist nur die Spielfreude und der feierliche Ernst, mit der die Akteure in den Hinterzimmern der Macht ihre Problemlösungen beschließen. Das offensichtlich Fiktive kreiert so eine eigene Realität. Das Spannungsverhältnis zwischen Narrativ und Dokumentation und der Vermischung dieser Gegensätze untersucht der Künstler in seinen Arbeiten immer wieder, so auch in „Untitled“ (2010). Die Arbeit basiert auf der Anekdote, nach der sich Terroristen in einer modernen, komplett verglasten Villa versteckten, die in den Wirren des algerischen Bürgerkriegs in den 1990er-Jahren in der Nähe von Algier vom Besitzer verlassen wurde. Die Terroristen versteckten sich dort für drei Jahre, ließen die Villa entgegen allen Vermutungen aber in tadellosem Zustand zurück.

Beloufa faszinierte diese Geschichte und so reiste er nach Algerien, um dort Hausbesitzer, Angestellte der Terroristen und Anwohner der Villa zu befragen. In „Untitled“ lässt Beloufa nun wiederum Laiendarsteller als die Befragten in einem Villa-Nachbau aus Karton und Fototapete agieren und mutmaßen, warum sich die Terroristen als Versteck ausgerechnet einen komplett verglasten Villenbau aussuchten und wie sie sich die Zeit vertrieben. Die Aussagen widersprechen sich zum Teil und dienen – aus Mangel an einem tatsächlichen Zeugen – der Wahrheitsfindung keiner Sekunde, sondern geben vielmehr darüber Aufschluss, wie Mythenbildung in der modernen Welt nach wie vor funktioniert. Die offensichtlichen Filmkulissen tun hierzu ihr übriges, schaffen sie doch das passende Setting, in der Mutmaßungen und Annahmen zu einer Art eigenen Realität transzendieren können.

Alain Resnais „Muriel“, der 1963 die Sutherland Trophy des British Film Institutes erhielt, führt die Beschäftigung mit Fiktion und Realität noch weiter, indem er seine Protagonisten hinsichtlich ihres eigenen Lebens nach Wahrhaftigkeit befragt. In einer avantgardistisch anmutenden Montage erzählt „Muriel“ die Geschichte der Entfremdung dreier Personen, Hélène, ihrem Stiefsohn Bernard und ihrer Jugendliebe Alphonse, von sich selbst. Hélène möchte die Beziehung zu Alphonse wiederaufleben lassen, beide sehen sich jedoch im Rahmen eines Wiedertreffens mit ihren Lebenslügen, Illusionen und falschen Erinnerungen konfrontiert, die eine tatsächliche Beziehung zwischen Beiden verunmöglicht. Auch dem Stiefsohn Bernard, ein junger Kriegsveteran, scheint die Zukunft sowie die aufrichtige Bindung zu anderen aufgrund durchlebter Traumata im Algerienkrieg verstellt und so scheitern nach und nach jedwede Versuche der drei, sich als Individuum mit eigener Vergangenheit dem von sich selbst getrennten Anderen auch nur ansatzweise nah zu kommen.


Dass ein fiktives Narrativ in der Lebensrealität eines Einzelnen nach und nach zur Realität aufsteigt und wie genau solche Prozesse erst möglich werden, genau davon erzählen sowohl die Filme von Alain Resnais, als auch die Arbeiten von Neil Beloufa.