Am 29. April ist die Berliner Künstlerin Loretta Fahrenholz zu Gast im Double Feature und zeigt ihren Film "My Throat, My Air" von 2013.

Die ersten Bilder von "My Throat, My Air" (2013) zeigen die Reise von der großen Welt ins kleine Wohnzimmer: Aufnahmen einer alpinen Berglandschaft führen zu Bildern von Land- und dann Stadtstraßen und schließlich in die Lebenswirklichkeit einer Kleinfamilie. Eine mysteriöse Frau mit Pilotenmütze steht dort vor einem Mann mit Baseballcap und lädt ihn zu einer Reise durch die Wolken immer höher bis zur 20. oder gar 60. Dimension ein, zu einem Ort, wo nicht mehr geatmet, sondern nur noch existiert wird.

Die Wohnung verlassen wir im folgenden gut 17-minütigen Film jedoch nicht mehr. Stattdessen werden wir immer tiefer in die Lebenswelt einer deutschen Familie hineingesogen: wir sehen den Kindern beim einsamen oder gemeinsamen Spielen zu, lauschen der Mutter -- nun ohne Pilotenmütze -- beim Klavierspielen oder sehen dem Vater beim Staubsaugen zu. So dokumentarisch dies klingen mag, so wenig hat man hier das Gefühl Voyeur zu sein, der ungefragt in das Private von Fremden eindringt. Dies liegt auch daran, dass man sich hier nicht in einer X-beliebigen Familie befindet, sondern in jener von Uli Lommel, seines Zeichens Schauspieler in unzähligen Fassbinder- und Regisseur von zahlreichen Horror-Trash-Filmen. Er selbst taucht in allen Szenen verkleidet auf, erinnert mal an eine Mischung aus Ronnie Wood und Keith Richards, ruft dann wieder Assoziationen an Mrs. Doubtfire wach, während seine Kinder tun, was Kinder nun mal tun: sie imitieren alles, was sie selbst noch nicht erlebt haben -- sei es nun Mord und Totschlag, Krieg oder die große Jugendparty.

Das Interesse an der Schnittstelle zwischen Imitation und Authentizität sowie selbst erschaffenen Lebenswirklichkeiten finden sich auch in anderen Werken der 1981 in Starnberg geborenen Künstlerin wieder. In "Ditch Plains" (2013), der in Zusammenarbeit mit der Streetdance-Gruppe Ringmasters Crew in New York entstand, fordert eine Computerstimme etwa "Lie down and quit acting like you know". Im Film "Implosion" (2011), der auf einem Theaterstück von Kathy Acker basiert, lässt Fahrenholz sämtliche Charaktere von jungen Männern spielen, deren verschiedene Rollen erst durch die eingeblendeten Untertitel verständlich werden. Inwiefern eine inszenierte Darstellung von handelnden Individuen innerhalb sozialer Realitäten überhaupt möglich ist, steht so als Frage im Raum -- und wird im gleichen Akt an den Betrachter weitergereicht.

Im Anschluss an ein Künstlergespräch mit Loretta Fahrenholz wird Shirley Clarkes Film "The Connection" aus dem Jahre 1962 zu sehen sein. Der Film ist eine Adaption des gleichnamigen Theaterstücks von Jack Gelber, das 1959 uraufgeführt wurde. Die Theaterhaftigkeit macht sich auch in Clarkes Film bemerkbar, der in Echtzeit in nur einem einzigen Zimmer spielt. In diesem möchte ein Filmteam eine Dokumentation über Junkies drehen, die auf ihre "Connection", ihren Dealer warten. Die Junkies sollen sich dem Willen des Regisseurs nach möglichst authentisch verhalten, wozu sie von ihm auch immer wieder direkt aufgefordert werden. Ungewollt wird der Regisseur so immer mehr selbst zum Subjekt seiner Dokumentation, während die Wartenden vor sich hin dösen, Jazz-Musik machen, sich gegenseitig provozieren. Als der Dealer schließlich eintrifft, überschlagen sich die Ereignisse und der Regisseur verliert vollständig die Kontrolle über sein Werk.

Der Film wurde erstmals 1961 in Cannes gezeigt, im Folgenden verweigerte ihm die New Yorker State Departement of Education die Aufführlizenz, was erst durch eine Klage der Regisseurin aufgehoben werden konnte. "The Connection" erinnert in seiner expliziten Beschäftigung mit gespielter Authentizität und der Darstellung von sozialer Wirklichkeit an die Arbeiten von Loretta Fahrenholz, die sich jedoch sehr viel stärker von der spielfilmhaften Form abwenden. In "My Throat My Air" bleibt so nur noch der zuerst sehr vertraute, auf den zweiten Blick jedoch deutlich artifizielle Blick auf eine Familie, deren Handlungen als Subjekte vollkommen im Dunkeln bleiben und vielleicht tatsächlich, wie in der eingangs angesprochenen 20. oder auch 60. Dimension, ausschließlich existieren.