Am 27.08. zeigt die SCHIRN im DOUBLE FEATURE den Film „Wie aus der Ferne“ (2013) des in Berlin lebenden Künstlers Dani Gal. Im Anschluss an ein Künstlergespräch wird der Spielfilm „Memories of Underdevelopment“ (1968) von Tomás Gutiérrez Alea zu sehen sein.

Es ist Nacht. Der Boden ist von Schnee bedeckt. In der Luft liegt Nebel. Langsam wird am Ende des Horizonts ein Torbogen sichtbar. Zwei Türme flankieren ihn und durch ihn hindurch verlaufen Bahngleise. Die Kamera simuliert eine Bahnfahrt und wird dabei von schrillen Schienengeräuschen begleitet. Sie werden immer lauter -- bis schließlich die Bahn und das Bild zum Stehen kommen. Cut. Die Kamera hat ihre Einstellung geändert. Sie blickt auf ein Architekturmodell des Konzentrationslagers Mauthausen. Herr Kuck, Modellbauer für Filmsets; Albert Speer, Architekt und enger Vertrauter Hitlers; und Simon Wiesenthal, Shoah-Überlebender und Schriftsteller -- haben sich um das Modell versammelt und betrachten es kritisch.

„Wie aus der Ferne" von Dani Gal (*1975) rekonstruiert die Bekanntschaft zwischen Speer und Wiesenthal anhand von archivierten Briefen und verknüpft Fiktion und Erinnerung mit Auszügen aus Ludwig Wittgensteins "Braunem Buch". Darin geht Wittgenstein der Frage nach, ob sich Erfahrungen -- und die Erinnerung daran -- grundsätzlich vom Erlebnis trennen lassen. „Was ist der Unterschied zwischen einem Erinnerungsbild, (...) und dem Vorstellungsbild in einem Wachtraum?", fragt Wittgenstein zu Beginn des Films und Gal antwortet darauf mit einer dreißigminütigen Aneinanderreihung von fiktivem Filmmaterial, gestellten Szenen, und archivierten Text- und Tonfragmenten. Wie in allen seinen Filmen verknüpft er auch in „Wie aus der Ferne" die recherchierten Informationen zu einer schlüssigen Erzählung, die hier nur einen Haken hat: Sie wirkt wie ein Schauspiel. Aber genau in dieser Enttarnung liegt die Logik des Films. Denn so gelingt es Gal die Fiktionen zu veranschaulichen -- oder „die Gespenster" wie Jacques Derrida sie nennt -- die sich einschleichen in die Erinnerungsprozesse an die Vergangenheit.

„Es ist mein Wunsch, mit diesen Projekten zu verstehen, wie die Erinnerung an Ereignisse funktioniert, die unsere Kultur prägen. Vom kommunikativen zum kollektiven Gedächtnis und umgedreht. Besonders in der jüngeren Vergangenheit, in der die Medien in der Erinnerungskultur eine große Rolle spielen und wir die meisten Erfahrungen durch die Medien machen," sagt Gal über seine Praxis in dem Interviewbuch "Ökonomie der Aufmerksamkeit" (2013). Gal ist ein aufmerksamer Zuhörer, der die Geschichten von Zeitzeugen empathisch begleitet und trotzdem akzeptiert, dass zwischen Erleben und Nachvollziehen eine große Lücke klafft. Auch sein Film „Nacht und Nebel" (2011), der anhand des Berichts des Zeitzeugen Michael Goldmann-Gilead die Hinrichtung Adolf Eichmanns und die Verstreuung seiner Asche im offenen Meer erzählt, folgt einem ähnlichen Interesse. Hier thematisiert Gal wie sich die Zeitebenen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Erinnerungsprozessen überlagern und verbindet ein fiktives, visuelles Reenactment mit der Originaltonspur eines Zeitzeugenberichtes. Dass die Bilder auch hier inszeniert sind, lässt sich nicht zuletzt daran erkennen, dass ihre filmische Qualität der modernen Technik entspringt, sondern auch daran, dass die Kamera eine ganz besondere Nähe zu den Darstellern entwickelt. „Wie wollen wir uns in Zukunft an die Shoah erinnern?" „Welche Rollen spielen die Medien dabei?"

Auch in „Wie aus der Ferne" verweist Gal auf die Frage nach der Zukunft der Erinnerungskultur an die Shoah. Wiesenthal, der einige Sekunden stillschweigend vor dem Modell des KZs Mauthausen steht, sagt schließlich -- beinahe selbst überrascht -- „Aber das Gleis -- da war kein Gleis. Ich erinnere mich genau." Und Herr Kuck antwortet, es sei eine amerikanische Filmproduktion gewesen, für die er das Modell gebaut hat und die dezidiert nach den Gleisen gefragt hätte, da es „sonst nicht aussähe wie ein KZ". Diese Momente demonstrieren, wie durch die Medien visuelle Geschichte konstruiert wird und appellieren gleichzeitig an einen wachsamen Zuschauer. Aber auch vor der Erinnerung mache die Konstruktion keinen Halt, konstatiert Gal, wenn er Wiesenthal später bemerken lässt, dass Herr Kuck die Türme in ihrer Proportion viel größer gestaltet hat, als sie in Wirklichkeit waren. In dem Film überlagern sich Erinnerungs- und Geschichtsbild.

Für DOUBLE FEATURE hat Gal als zweiten Beitrag den Spielfilm „Memories of Underdevelopment" des Regisseurs Tomás Gutiérrez Alea ausgewählt. In dem 96 Minuten Epos verfilmt Alea den Roman des kubanischen Schriftstellers Edmundo Desnoes, dessen Hauptperson Sergio, ein weißer bourgeoiser Schriftsteller, sich entscheidet in Kuba zu bleiben, während seine Familie und Freunde vor der Kubakrise nach Miami flüchten. Der Film erzählt von der Kubanischen Revolution, den Umbrüchen und Veränderungen, und nimmt dabei die Form einer fragmentarischen Erzählstruktur an. So vermittelt der Schwarz-Weiß-Film die Erinnerungen einer sehr persönlichen Geschichte zur Zeit eines nachhaltigen gesellschaftlichen Wandels.

Im Künstlergespräch zwischen Carolin Köchling und Dani Gal wird die Verbindung zwischen dem historischen Spielfilm und Gals eigener künstlerischen Praxis ebenso thematisiert wie Gals Interesse an den spezifischen Rekonstruktionsmechanismen der Medien Video, Audio und Installation. Fiktion und wahrhaftige Begebenheiten liegen oft näher beieinander als es den Anschein macht.