Am 22.05. zeigt der in Frankfurt lebende Künstler Bernhard Schreiner vier seiner Werke im Double Feature. Im Anschluss läuft der von Schreiner gewählte Experimentalfilm „Zorns Lemma“ von Hollis Frampton.

Bereits früh setzten sich Filmemacher vom narrativen Diktat der Filmindustrie ab und experimentierten, in enger Verbindung und Bezugnahme auch zur bildenden Kunst, sowohl mit Erzählformen als auch mit der Form des Gezeigten selbst. Von der europäischen Avantgarde der 1920er-Jahre über die Experimentalfilmer der 1940/50er-Jahre aus Amerika, schließlich das „New American Cinema“ und der „structual film“ bis hinein in die Gegenwart wurde immer wieder auch das Medium selbst und damit auch Fragen der Wahrnehmung thematisiert. 

In diese Tradition ist auch Bernhard Schreiners Werk einzuordnen. Schon früh interessierte sich der in 1971 in Österreich geborene Künstler für Film und Fotografie und experimentierte mit Super 8 und weiteren Formaten. Diese Faszination wurde in der Salzburger Sommerakademie durch den österreichischen Experimentalfilmer und Künstler Peter Kubelka weiter verstärkt und führte schließlich dazu, dass Schreiner direkt im Anschluss an die Sommerakademie nach Frankfurt zog, um dort in der Kunst-Klasse von Peter Kubelka an der Städelschule zu studieren. Das Studium eröffnete Schreiner noch tiefere Einblicke in den Bereich der Avantgarde- und Experimentalfilme, später beschäftigte er sich immer stärker auch mit Klängen und Tönen und deren visueller Repräsentation im Raum.

Bernhard Schreiner zeigt im Double Feature vier ältere Film- und Videoarbeiten: die 16mm Filme „Arrêté“ und „Fenster 4“ sowie die Videoarbeiten „Cage Car“ und „Dissection“. Schreiners Interesse an Struktur und Form im Film sieht man seinen Werken unmittelbar an. Gerade in den späteren Arbeiten „Cage Car“ und „Dissection“ wird aber auch die immer stärkere Auseinandersetzung mit Ton und Klang deutlich, wie auch in seiner neueren Installation „Holding Patterns (Super Variation)“. 

Die Filme weisen über das Gezeigte hinaus

In „Cage Car“ sieht man einen Ausschnitt aus der John Cage-Dokumentation „22708 Types: Die Utopie im Niemandsland“ von Henning Lohner. Auf verschiedenen Ebenen des Bildes bewegen sich zwei Autos in verlassenen Wohnsiedlungen, auf der Ton-Ebene erklingt ein Musikwerk von John Cage. Während im Original-Ausschnitt die Musik ohne weiteren Bezug zum Bild das Gezeigte lediglich „untermalt“, stellt Schreiner durch die Bearbeitung des Materials Musik und Bild in direkten Zusammenhang, hebt die klassische Hierarchie von Bild und Ton auf. Das Vor- und Zurückfahren der Autos wird damit auf der Ton-Ebene aufgegriffen, sodass jeweils bestimmte Sounds einzelnen Bewegungen im Bildausschnitt zugeordnet werden. Ob nun die Musik das Bild oder das Bild die Musik dirigiert, kann nicht mehr beantwortet werden.

In „Dissection“ hingegen bedient sich der Künstler found footage-Materials eines Beatles-Konzerts. Während die Aufnahmen des Publikums stark zergliedert werden, indem Ausschnitte sich in kurzen Loops ständig wiederholen, eröffnet die Ton-Ebene einen anderen Sinnzusammenhang: Der Text des Beatles-Songs „Glass Onion“ wird hier in Morsezeichen wiedergegeben, während zwischenzeitlich Zahlenreihen auf Englisch vorgelesen werden. Gerüchteweise stammen diese von einem der sogenannten "Zahlensender", die Verschwörungstheorien nach zu Zeiten des Kalten Krieges und auch heute noch weltweit Fünfer-Zahlenreihen über Radiofrequenzen ausstrahlen, die wiederum als Informationen für Spione oder Agenten dienen. Auch im Song „Glass Onion“ greifen die Beatles textlich wiederum Verschwörungstheorien über den Tod Paul McCartneys auf. Die Filme lassen sich so als eine Art „Assoziationsmaschine“ verstehen, indem sie über das konkret Gezeigte hinaus verweisen.

Zorns Lemma

Im Anschluss an die eigenen vier Werke ist „Zorns Lemma“ des amerikanischen Experimentalfilmers Hollis Frampton zu sehen. Das 1970 veröffentlichte Werk wird dem „structural film“ zugeordnet und lässt sich, so Bernhard Schreiner, mit seinen eigenen Arbeiten in ein Verhältnis setzen. Der knapp 60-minütige Film kann in drei Teile gliedert werden: Im ersten Teil bleibt die Leinwand schwarz und auf der Tonspur ist eine Frauenstimme zu hören, welche das Lernalphabet aus dem Bay State Primer, einem puritanischen Lehrbuch für Schulkinder in Amerika, vorliest. Am Anfang des zweiten Teils wird der Reihe nach, Letter für Letter, des Alphabet gezeigt. Im Anschluss hieran erscheinen nun Wörter von Werbetafeln, Schaufenstern, Straßenschildern etc. auf der Bildfläche, deren erster Buchstabe je der Reihenfolge des zuvor gezeigten Alphabets entspricht.

Im Laufe der steten Wiederholung dieser Struktur werden nun nach und nach bestimmte „Buchstabenbilder“ durch bewegte Filmaufnahmen ersetzt, so zum Beispiel die einer Brandung oder einer sich waschenden Hand. Schlussendlich besteht das gezeigte Alphabet nur noch aus einer Aneinanderreihung solcher Bewegtbilder. Jedes einzelne Bild wird hierbei ohne Ton genau eine Sekunde lang gezeigt. Im dritten Teil nun sieht man zwei Menschen, welche von der statischen Kamera weg durch eine Schneelandschaft laufen, bis sie sich schließlich aus dem Sichtbereich dieser entfernt haben. Auf der Tonspur werden währenddessen von mehreren Personen Passagen aus Robert Grossetestes „On Light, or the Ingression of Forms“ vorgelesen, wobei auch hier jede Person pro Sekunde genau ein Wort liest. In „Zorns Lemma“ scheint Frampton eine Art „kinematisches Alphabet“ (Frieda Grafe) zu entwickeln, welches die vom Philosophen Ludwig Wittgenstein enggesetzten Grenzen der Sprachlogik sprengt und so ein filmisches Instrumentarium der nichtsprachlichen Kommunikation erforscht. Wittgensteins berühmter Satz „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“ scheint so in Framptons Arbeit aufgenommen und gleichzeitig aufgelöst, mithilfe einer eigenen nichtsprachlichen Sprache.