Für die SCHIRN hat Marlene Dumas ein Gemälde von Théodore Géricault interpretiert. Sie gilt als eine der erfolgreichsten Malerinnen der Gegenwartskunst.

Schön sei nur, was auch die schreckliche Seite des Lebens zeige. Das mache Kunst aus, sagt Marlene Dumas. Es scheint, als spreche sie dem Franzosen Théodore Géricault aus dem Herzen. Die Werke beider Künstler zeigen ein Leben voller Schrecken und Tod, voller politischer und gesellschaftlicher Konflikte, aber auch eines voller Schönheit und Vitalität. Anlässlich der Einzelausstellung zum Werk von Géricault in der SCHIRN hat die 1953 in Südafrika geborene Künstlerin seinen „Monomanen des militärischen Befehlens“ aus einer im frühen 19. Jahrhundert entstandenen Reihe von Bildnissen psychisch Kranker interpretiert. Das Gemälde von Géricault kann in Frankfurt den Zyklus von fünf Bildern nicht komplettieren, denn es darf von einer Schweizer Sammlung, in deren Besitz es sich befindet, aus stiftungsrechtlichen Gründen nicht verliehen werden.

Géricault wirft mit der Serie der Monomanen keinen spöttischen Blick auf seine Modelle. Es sind fast zärtlich gemalte, analytische Studien, die von innerer Leere und Isolation erzählen. Mit ihrem unverwechselbaren Stil haucht Dumas auch ihrem Monomanen Leben ein. Sie zwängt ihn in das Format der Leinwand, seine Augen sind zum rechten Bildrand hin gerichtet, als ob er den Kopf in diesem engen Ausschnitt nicht bewegen könne. Schatten umspielen die schlaffen Gesichtszüge, die Gesichtshaut schimmert grünlich. Seiner berühmten „Monomanin des Neides“, die sich Dumas im Jahr 2011 zur Vorlage nahm, hatte Géricault bereits 1819/20 eine gelb-grünliche Gesichtsfarbe verpasst, ein regelrechter Vorgriff auf die expressionistische Weltwahrnehmung, die die Kunst erst knapp 100 Jahre später vereinnahmen sollte.

Das Abstrakte ist Dumas nicht grausam genug

Schon für ihre Werkserie „Models“ hatte Dumas Fotografien von psychisch kranken Menschen aus dem 19. Jahrhundert verarbeitet. Dumas’ Kunst geht unter die Haut. Sie lässt Farbe häufig mit sehr viel Wasser zerlaufen, um sie dann mit dem Pinsel zu bearbeiten, bis sich die Formen konkretisieren: Augen, Gesichter, Körper. Sie malt schnell und erzielt so den expressiven Gestus, der ihre Arbeiten so wild und ausdrucksstark macht. Manchmal benutzt sie schmutzige Pinsel und bringt so den Zufall in die dunklen, häufig von Schwarz dominierten Farbstimmungen.


Fotografien, die Dumas in Zeitungen und Magazinen findet, dienen als Vorlagen für Zeichnungen und Gemälde. Zu sehen sind Stripteasetänzerinnen, Terroristen, Ertrunkene und Gehängte, ihre Tochter, ihre Mutter, Mediengesichter wie Naomi Campbell und Osama Bin Laden. Die fotografisch genaue Darstellung verkehrt sie in subjektive Malerei. Francis Bacon habe figurativ gemalt, weil ihm das Abstrakte nicht grausam genug gewesen sei, ihr gehe es genauso, sagte sie der New York Times. Nur der Hintergrund bleibe wie bei Bacon abstrakt. Dumas’ Figuren werden nicht verortet. Sie finden sich oft in einer dunklen Leere wieder und interagieren mit der Leinwand, scheinen raus und mehr als Motiv sein zu wollen, werden aber festgehalten und plakativ dem Blick des Betrachters ausgesetzt. Dumas macht ihn zum Voyeur, zum Mitwisser, zum Mittäter.

„Miss Interpreted“: Der Betrachter gestaltet mit

In Südafrika wuchs sie isoliert auf, Fernsehen gab es dort erst ab 1976. Ihre Familie besaß ein Weingut, der Vater starb an Krebs als sie zwölf war. Die Politische Gewalt des Apartheid-Regimes und die von Rassismus bestimmte Lebenswelt traumatisierten Dumas. In ihrem Werk scheint sie das Trauma mitzuschleppen, es zu bearbeiten. Sie studierte Kunst in Kapstadt und Amsterdam. In den Niederlanden blieb sie schließlich und entwickelte sich zu einer der erfolgreichsten Malerinnen der Gegenwartskunst. Sie hatte Einzelschauen in Häusern wie dem MoMA in New York und dem Centre Pompidou in Paris, war Documenta-Teilnehmerin, bespielte den niederländischen Pavillon bei der Venedig Biennale.

Dumas ist nicht nur Künstlerin, sondern auch Beobachterin. Sie schreibt Gedichte über Kunst, kommentiert ihre und die Kunst anderer in kritischen Texten und nimmt auch den Kunstbetrieb unter die Lupe. Als Südafrika 2011 erstmals eine eigene Schau bei der Venedig Biennale zeigte, problematisierte sie das Nationaldenken und die Beziehung zwischen Ländern und ihren Künstlern. Auch Titel nutzt sie manchmal als Vehikel der Reflexion. In einem ihrer Texte, die auf ihrer Webseite veröffentlicht werden, verweist sie auf Marcel Duchamp, der sagte, ein Titel sei die unsichtbare Farbe eines Bildes. In den Neunzigern nannte sie eine Schau „Miss Interpreted“ und ironisierte so die Dreiecksbeziehung zwischen Betrachter, Kunstwerk und Künstler. 1997 entstand ein Dokumentarfilm über die Künstlerin mit dem gleichen Titel. 

Die Menschen seien oft überrascht, wenn sie Dumas träfen, sagt die Künstlerin, denn sie erwarteten einen depressiven Typ. Doch dabei vergäßen sie, dass der Betrachter das Bild mit gestalte. Habe er Angst vor etwas, erschrecke es ihn. Habe er Humor, erkenne er auch den Witz, der in ihren Arbeiten stecke.