Okkultismus und Sexualmagie: Friedrich Schröder-Sonnensterns Malereien sind düster, albern und fantastisch zugleich. Zu seinen Lebzeiten war unter anderem Skandalautor Henry Miller großer Fan des sonderbaren Malers.

"Wer eine Vision hat, der soll zum Arzt gehen" – eigentlich nur eine unbedachte, genervte Antwort auf eine Interviewfrage, wurde dieses berühmte Zitat von Altbundeskanzler Helmut Schmidt schnell zum beliebten Argument an Stammtischen und im Volksmund umfunktioniert: Schwachsinnige, Verrückte, Menschen mit "Visionen" eben gehören in die Psychiatrie – bestenfalls. Man fürchtet und man bewundert heimlich die Irren und Verrückten mit ihren Visionen, und so wird das einstige Irrenhaus neben der selbstverständlich medizinischen Notwendigkeit, Kranke zu versorgen, und der Verantwortung, vor Gefahren zu schützen, gleichzeitig zum Moment der gesellschaftlichen und individuellen Reinigung, zum räumlich festgelegten Verwahrer des Verdrängten und Unbewussten, mit dem man sich nur ungern beschäftigen mag.

Immer wieder Diebstähle, kleine und große Betrügereien

Friedrich Schröder-Sonnenstern hatte ebenfalls bereits eine regelrechte Psychiatriekarriere hinter sich, bevor er Ende der 40er-Jahre mit weit über 50 Jahren die ersten Zeichnungen anfertigte. Auch im Gefängnis respektive der Besserungsanstalt saß Schröder-Sonnenstern alias Gnass alias Elljot der Sonnenkönig: Seine schillernden Namen, die er im Laufe der Jahrzehnte immer wieder änderte, spiegelt den ungewöhnlichen Lebenslauf wider. 1892 als Emil Friedrich Schröder in Ostpreußen geboren, zeigt sich schon hier die überbordende Phantasie des späteren Malers und Propheten: Schröder sei ein "trotziger" und "lügnerischer" Junge, heißt es im Abschlusszeugnis. Ausbildungen und Arbeitsstellen verlässt er immer wieder fluchtartig, um bald durch die Lande zu ziehen – danach immer wieder Diebstähle, kleine und große Betrügereien; Aufenthalte in der Irrenanstalt und später Heil- und Pflegeanstalt folgten. Die Diagnose, die die Ärzte ihm damals stellten, scheint auch aus heutiger Sicht so abwegig nicht: Schröder wird eine Form der Schizophrenie und ein gehöriges Maß an Phantasie und Träumerei attestiert.

Im manischen Größenwahn eifert er den Inflationsheiligen nach und schafft es, im obligatorischen weißen Gewand und mit langen Haaren, einige Anhänger um sich zu scharen. Später nennt er sich Gnass – den Namen hat ihm ein Bekannter aus der Jugendherberge mit seiner Meldebescheinigung überlassen – in "Prof. D. Eliot Gnass v. Sonnenstern" um und bietet fortan allerlei magisch-esoterische Behandlungen in seiner Westberliner Praxis an. Parallel macht er Bekanntschaft mit weiteren Inflationsheiligen, nimmt an okkulten Sitzungen teil und predigt dann doch wieder urchristliche Werte.

Übergroße Geschlechtsteile und magische Symbole 

Seine Bilder wirken, als ob Friedrich Schröder-Sonnenstern – unter diesem Namen beginnt er schließlich seine künstlerische Arbeit – all das, sein gesamtes Leben auf einmal zusammengenommen und in ein anarchisches Potpourri transformiert hätte: Dämonen und Kinderzeichnungen, Hexen und Engel, Propheten und Magier, sexualmagische und okkulte Praktiken, düstere Vorahnungen und hämischen Spott, gesellschaftliche Widersprüche und Doppeldeutigkeiten bevölkern seine Zeichenblätter und Leinwände – als ob alle Märchenfiguren gemeinsam aus der Irrenanstalt ausgebrochen und gemeinsam einen LSD-Trip eingeschmissen hätten. In einer Zeichnung von 1951 fährt der "dreifache Mondweltmeister-Universalfuhrbetrieb" mit fantastischen Tieren und unter Violinengesang der grinsenden Sonne entgegen, aus den Rädern starren Augen; in "Die Trauung des Wahrheitssucherpaares" wird die Vermählung zweier Phantasiewesen unter einem Regenbogen mit wieder irre grinsender Sonne zelebriert, übergroße Geschlechtsteile und magische Symbole komplettieren das bunte Ensemble. Viele Zeichnungen hat Friedrich Schröder-Sonnenstern mit kleinen Texten versehen, die wiederum Einblick geben in die versponnen-assoziative Gedankenwelt, in der urkindliches Vertrauen und finsterste Abgründe, aber eben auch überbordende Albernheiten Hand in Hand gehen.

Die Propheten und Magier, die Verrückten und Weltverbesserer, Schröder-Sonnenstern porträtiert sie in ihrer ganzen Doppelbödigkeit: Mit emphatischer Zuwendung, aber auch mit beißendem Hohn. Und eine Zeichnung wie "Prof. Narrgoistik" schließlich scheint alle Vorahnungen und Verschwörungstheorien zu bestätigen: Und ob sie wahr sind, die Geschichten von schwarz gekleideten Mondmeistern, die Babys opfern und dabei voll irrer Lust grinsen! Eine Dystopie, die sich angesichts des gerade wenige Jahre zu Ende gegangenen Nationalsozialismus mit seinem Rassewahn geradezu über-bewahrheitet hatte – wobei die Bezüge und Verweise, die Schröder-Sonnenstern setzt, durch ihre starke Verfremdung niemals eindeutig sind, der irre Okkultismus zum Beispiel auf den ersten Blick so gar nicht mit dem kühl-rationalen Vorgehen der Nationalsozialisten übereingehen will.

Vielleicht offenbart der späte Maler hierdurch aber gerade doch eine tiefersitzende Wahrheit von Verdrängung und todessehnsüchtigen Leidenschaften, die im Nachkriegsdeutschland nur wenige sehen wollten. In einem Spiegel-Artikel von 1965 wird erklärt, wieso Friedrich Schröder-Sonnenstern nicht in den deutschen Kunstbetrieb passt und allenfalls unter pathologischen Gesichtspunkten betrachtet wird – während seine Arbeiten im Ausland, in Museen und Privatsammlungen gefeiert werden; die Schriftsteller Henry Miller und André Breton sollen neben anderen große Anhänger seiner phantastischen Zeichnungen sein. Einen anderen Grund für das zumindest in Deutschland deutlich geschmälerte Marktinteresse lieferte der Maler allerdings auch selbst: Um vom kurz aufkommenden Hype zu profitieren, lässt Schröder-Sonnenstern später etliche Bilder von anonymen Helfern anfertigen, die schon bald nach Bekanntwerdung rapide an Wert verlieren.