Der isländische Künstler Erró wurde von den französischen Lettristen beeinflusst. Esther Schlicht über die Brücke zwischen „Zelluloid“ und ihrer bevorstehenden Erró-Ausstellung.

Häufig entwickelt sich aus der Arbeit an einer Ausstellung bereits auch die Idee für ein weiteres, zukünftiges Ausstellungsprojekt. Umgekehrt passiert es aber auch immer wieder, dass man während der Vorbereitung einer neuen Ausstellung auf einen völlig unvermuteten Zusammenhang mit einem vorangegangenen Projekt stößt. So erging es mir nun bei der Beschäftigung mit dem isländischen Künstler Erró, dem wir im Herbst 2011 eine wichtige Ausstellung widmen. Auf den ersten Blick haben die poppigen Collagebilder des 1932 geborenen und seit über 50 Jahren ungeheuer produktiven Künstlers kaum etwas mit jenen Arbeiten zu tun, die diesen Sommer in unserer Ausstellung „Zelluloid. Film ohne Kamera“ zu sehen waren. Doch hat sich selbst hier bei näherer Betrachtung eine interessante Verbindung aufgetan.

Einen wichtigen Beitrag zum kameralosen Film leisteten Isidore Isou und Maurice Lemaître, zwei führende Köpfe des französischen Lettrismus. Diese heute leider unterschätzte literarisch-künstlerische Bewegung ist Ende der 1940er-Jahre in Paris aufgekommen um in Anknüpfung an den Dadaismus und Surrealismus eine radikale Erneuerung des Kunstbegriffs zu proklamieren.

Ausgangspunkt der Lettristen war die Sprache, welche auf ihre Grundelemente zurückgeführt und abseits aller Konventionen experimentell erforscht wurde. Klänge, Lautmalerei und die Musik der Buchstaben traten anstelle der Sinnhaftigkeit der Worte. Schließlich umfasste die avantgardistische Bewegung aber auch sämtliche anderen Bereiche der Kunst – und des Lebens. Im Hinblick auf das Filmemachen forderte Isidore Isou – dessen „Abhandlung vom Speichel und der Ewigkeit“ (1951) im Rahmenprogramm von „Zelluloid“ lief – eine konsequente Trennung von Bild und Ton sowie die Lösung vom fotografischen Bild zugunsten einer direkten Bearbeitung des Filmstreifens.

VISUALISIERTE WORTWITZE UND SPRACHSPIELE

Als Erró, der Island bereits während seines Studiums verlassen hat, sich gegen Ende der 1950er-Jahre in Paris niederließ (wo er bis heute lebt), stellte der Lettrismus in der französischen Hauptstadt sicherlich die radikalste unter den sich nach dem Krieg formierenden künstlerischen Bewegungen dar. Seine subversive Energie und vor allem die exzessive Zelebration des Sprachspiels sollten Erró in seiner Arbeit nachdrücklich beeinflussen.

Dies wird einerseits anhand zahlreicher Gemälde deutlich, in denen der Künstler Wortwitze und Sprachspiele auf höchst eigenwillige Weise mit visuellen Mitteln vorträgt. Exemplarisch für Errós besondere Affinität zum Lettrismus ist aber auch sein 1962–67 realisierter Film „Grimaces“ – eine satirische Anthologie der internationalen Kunstszene der Sechzigerjahre. Erró filmte sich selbst und 179 weitere grimassierende Portraits von Künstlern wie Duchamp, Fahlström, Oldenburg, Pistoletto, Schneemann, Warhol etc. und ließ diese von einem kongenialen improvisierten Lautgedicht des lettristischen Künstlers François Dufrêne begleiten. Der heute kaum mehr bekannte Film wird 2011 auch im Rahmen unserer Erró-Ausstellung in der SCHIRN zu sehen sein.