Ein Besuch in Brüssel birgt Überraschungen: Die Kunsthalle Wiels zeigt Francis Alÿs – nur nicht montags und dienstags. Und unser Hotel gibt merkwürdige Ratschläge für den Brandfall.

Ankunft in Brüssel Central. Mit dem Taxi nach Wiels. Eine ehemalige Brauerei, durch die Fenster spiegeln sich Kupferfässer – das Internet klärt auf: keine Fässer, sondern sogenannte Würzpfannen. Die Kunsthalle Wiels steht lange schon auf meiner Agenda der sehenswerten Kunsträume, noch mehr bestätigt durch die Erwartung einer Ausstellung von Francis Alÿs, dessen Arbeiten für mich schon lange zu den besten gehören, seit ich das Video gesehen habe, in dem er einen großen Eisblock durch die Straßen von Mexico City schiebt, bis er ihn nur noch mit dem Fuß vor sich her kickt und die Spur hinter ihm längst von der Sonne aufgesaugt worden ist: „Sometimes Making Something Leads to Nothing“ von 1996.

Oder diese wunderbar belanglose, kindliche, musikalische Vermessung einer von Häusern bewohnten Straße: Er, der Künstler, mit nichts als einem Holzstock in der Hand, diesen laufend gegen die Längsstreben der Hauszäune gerichtet, um damit einen der Geschwindigkeit des Läufers entsprechenden Rhythmus hervorzulocken – toktoktok. Wie besser können kindliche Phantasie und Schulweg-nach-Hause-Selbstvergessenheit, serielle Wohnhausarchitektur, das dérive der Situationisten und die Grenze von privat und öffentlich eine solche moralische minimalistische Form annehmen?

Von all dem gab es heute leider nichts zu sehen, da Wiels nicht nur montags, sondern auch noch dienstags geschlossen hat, sodass mir nur ein mir immerhin unbekanntes Video übrig blieb, das auf einem hinter einer Fensterscheibe angebrachten Bildschirm ausgestrahlt wurde. Zwei am Strand spielende Kinder, die gegen locker heranrollende Wellen flach auf die Wasseroberfläche gerichtete Steine werfen, um sie so oft wie möglich darauf springen zu lassen. Ich frage mich, ob solche kindlichen Aktivitäten überall auf der Welt vorkommen?

FRÜHLING IM HERBST

Mit dem Bus fahre ich zurück ins Zentrum, Endstation Bruxelles-Midi, laufe in Richtung BOZAR und werde plötzlich von links und rechts der Straße an hohen Masten aufgehängten Fahnen überrascht. Längs weiß gestreift, unterbrochen von rechts hereinbrechenden Segeldreiecken, in frühlingshaften Farben – keine Frage, ein weiteres Werk von Daniel Buren.

Daniel Buren beflaggt einen Platz in Brüssel.

Aus dem großen Angebot des BOZAR greife ich mir ein Ticket für Gilbert & George’s Show „Jack Freak Pictures“ mit gleichnamiger Werkreihe aus dem Jahr 2008 heraus, die mich nach den ersten zwei Räumen zunehmend langweilt und mich erst am Ende durch ein filmisch festgehaltenes Interview der beiden Gentlemans, wie es Gilbert einmal ausspricht, mit Interviewspezialist Hans Ulrich Obrist aus einem Tagtraum herausreißt: Ein beeindruckendes Archiv tausender, in flache Kartons verstauter Ilford-Kontaktabzüge mit Aufnahmen unterschiedlichster auf die Straße ausgespuckter Kaugummis oder von menschlichem Schweiß.

Trotz der vor dem großen Flatscreen aufgestellten Stühle, musste ich mich ganz nahe an rechts und links des Bildschirms angebrachte Lautsprecher stellen, um überhaupt einen Bruchteil der von den Künstlern gemachten Erklärungen verstehen zu können, die ansonsten vom Aufbaulärm einer weiteren Ausstellung in diesem Teil des Hauses übertönt wurden.

Ein weiteres Ticket erlaubt mir den Zugang zu der Ausstellung „The World of Lucas Cranach“, dessen Bilder meine Augen vor allem durch die Darstellung von Händen, die ein pantomimisches Gespräch führen und wie ein rätselhafter Untertitel die Bilder durchkreuzen, gefangen nehmen. Belustigend an Gemälden dieser Zeit wirken jedesmal auch die erwachsen erscheinenden, hässlichen und übergroßen Kindergesichter, die nichts von kindlicher Freude, stattdessen viel von seherischem Zweifel ausstrahlen.

Am Ende des Candle-Light-Dinner-atmosphärischen Parcours haben die in Relationen geschulten Kuratoren noch eine Jesus-am-Kreuz-Doppelhelix des Zeitgenossen Wim Delvoye abgelegt – vielleicht aus Platzmangel der diesem Künstler gewidmeten Parallelschau mit dem Titel „Knockin’ On Heaven’s Door“ auf gleicher Etage. Warum auch nicht.

Jan de Cock stellt seinen Film „Repromotion“ vor.

THELONIOUS MONK TRIFFT AUF TATLIN

Am Abend dann die Avant-Premiere von Jan de Cocks erstem Film im Cinema Arenberg mit dem Titel „Repromotion“ – Jan de Cock kennen SCHIRN-Besucher vielleicht noch von seiner Ausstellung „Denkmal 7“ aus dem Jahr 2005. „Repromotion“ ist ein „Making of“ seiner gleichnamigen Ausstellung in der großen Eingangshalle des BOZAR im Jahr 2009 und zeigt neben der beeindruckenden Installation vor allem partizipierende Kinder sowie lebende Vögel. Das auf 52 Minuten gedehnte Special hätte kaum die Hälfte der Zeit benötigt, um die Bewegung des Auges bei der Aneignung der prismatisch gebauten Installation durch die vom Künstler selbst geführten Kamera zu verfolgen und die Kontrolle des Blicks durch das Objekt zu demonstrieren.

Einzig die zusätzlich eingebaute Ebene einer die Kamera beobachtenden zweiten Kamera verhindert den Gedanken an eine bloß aufwändig betriebene Ausstellungsdokumentation. Die größte Schwachstelle des Films aber betrifft die Musikauswahl, Jazz der 1960er Jahre, Thelonius Monk und Konsorten, die für sich genommen unzweifelhaft gewichtige Kompositionen geschaffen haben, doch die technische und präzise geplante Architektur des Films, die weichen und langsamen Bewegungen entlang eines tatlinschen Formalismus, brutal zerstörten.

Jan de Cocks künstlerische Arbeit ist sicherlich sehr stark vom Bewegungs-Bild beeinflusst und gibt in seinen Foto-Tableaus, seinen Monumenten und Denkmälern ebenso wie in seinen neueren, von Bild und Skulptur dicht gewebten Installationen eine einzigartige Spur ab, doch im Medium Film sehe ich ihn hiermit noch nicht angekommen.

„Was tun bei einem Brand? – Halten Sie Ihre Kaltblüter“, rät ein Hinweisschild im Hotel.