Das 30 Tage andauernde Happening "Station to Station" von Doug Aitken findet gerade im Barbican Centre in London statt. Kurator Matthias Ulrich konnte sich das natürlich nicht entgehen lassen.

Eine der vielen in London noch nicht abgerissenen Brutalismus-Bauten trägt den Namen "Barbican Centre" und ist in Wahrheit ein architektonisches Monster, das eine Wohnsiedlung sowie ein Kultur- und Konferenzzentrum beherbergt. Letzteres wiederum ist in der Kunstwelt schlicht als "barbican" bekannt, wo derzeit ein außergewöhnliches Kunstprojekt residiert, das von #DougAitken initiiert wurde. "Station to Station. A 30 Day Happening" ging aus einem zwei Jahre älteren Projekt hervor, bei dem Aitken in einem umgebauten Passagierzug von der Ostküste zur Westküste fuhr und mehrere Male zwischen #New York und #San Francisco Station machte, um vor Ort Performances, Konzerte und andere zeitbasierte Kunstwerke aufführen zu lassen.

Zahlreiche der Teilnehmerinnen und Teilnehmer von damals hat Aitken nun nach London eingeladen, um während des 30 Tage dauernden Kunst-Marathons vom 27. Juni bis 26. Juli an einem der zahlreichen Orte des Barbican Centres unterschiedlichste Aktivitäten durchzuführen und ein intensives Gesamtkunstwerk zu schaffen. Vieles davon wird vor Ort und unter Einbeziehung der räumlichen Gegebenheiten neu produziert, wie beispielsweise ein Film von Ian Forsyth und Jane Pollard, die zuletzt ein beeindruckendes Porträt von Nick Cave ins Kino brachten ("20.000 Days on Earth"). Dazu kommen 20 Residencies, 20 Künstlerinnen und Künstler, die vor Ort ein temporäres Studio einrichten, um neue Arbeiten zu entwickeln, die von Speed-Dating unterschiedlicher Religionen des Mexikaners Pedro Reyes über die Herstellung eines Gemäldes an einem Tag von Albert Oehlen bis hin zum Zusammenspiel von Bildmachen, Tanz und Musik durch Martin Creed reichen. In runden Zelten auf dem Gelände verteilt sind wiederum Installationen von Ernesto Neto oder von Urs Fischer untergebracht. Ein Highlight in der so genannten "Curve" ist die Laser-Installation "Light Echoes" von Aaron Koblin und Ben Tricklebank.

Bei der Eröffnung am 26. Juni hatten wir bereits eine vordere Position in der Schlange vor dem Eingang in die Kurve erreicht, als uns die Freundin von Doug Aitken entführte, um eine noch bessere Position oder gar direkten Eintritt zu bekommen. Stattdessen bekamen wir unser erstes Freibier an diesem Abend und sahen, wie nach und nach Menschen aus der Laser-Installation herauskamen. Wir standen also am Ausgang der Kurve und liefen den ganzen Weg zum Eingang wieder zurück, wo wir auf Jane Alison, Leiterin des Kunstbereichs des Barbican, trafen und nach einem kurzen Wortwechsel zwischen Max Hollein und ihr vorbei an der inzwischen weiter gewachsenen Schlange gingen, direkt in die Laser-Installation. Die Show begann, ein weißer Lichtrahmen umspannte Decke, Wände und Boden und kroch langsam auf uns zu. Begleitet von einem zurückhaltenden Wummern, das wie die Ankündigung eines entfernten Gewitters klang, nahm uns der Rahmen schließlich mit auf eine langsame Wanderung durch den Raum. Die vorsichtigen Schritte vernahmen losen Untergrund, bisweilen auch festen, doch die Bedeutung davon erschloss sich erst am Ende des Wegs und jenseits der Laser-Zone: dass es sich nämlich um Text handelte, dessen Zwischenräume mit Splitt gefüllt waren.

Die Bierbar hinter dem Ausgang der Kurve war wieder aufgefüllt. Außerhalb des Gebäudes machte sich die Truppe von Olaf Breuning daran, bunten Rauch aufsteigen zu lassen. Pyromäßiges Zeug war an einem garagentorgroßen Zaun befestigt und spuckte bunte Farbschwaden in den Himmel. Das hatte was von einem dripping, das durch den Zufallsfaktor Wind über unseren Köpfen Form annahm und sich kurze Zeit später in Wohlgefallen auflöste. Mit dem letzten Fauchen und noch im abschwellenden Applaus polterten apokalyptische Trommel- und Klarinettentöne die Treppe hinter uns herunter. Acht Männer in rajasthanischen Trachten lieferten eine krude Mischung aus sentimentalen Bollywood-Nummern und Peter Herbolzheimer'schem Big Band-Sound, die keine Mühe hatte, die letzten schwebenden Farbpartikel wegzublasen. Die Lebenslust, mit der die Rajasthan Heritage Brass Band Musik machte, sprang unmittelbar auf die Besucher über und hinein in die Datenbanken der zahlreich gezückten Telefone. Nach einem fulminanten Höhepunkt, der von einer tanzenden Derwischin gekrönt wurde, zog die Karawane wieder die Treppe hinauf und wir hinterher. Auf zum nächsten Programmpunkt, der in den Ausstellungsräumen wartete beziehungsweise kurz davor an einer Bierbar auf einem mit weiteren Zelten bestückten Plateau, das halbrund von einem mehrgeschossigen Gebäude mit konvex ausgeformten Balkonen eingefasst wird. In einem davon wohnt Liam Gillick angeblich, während Jeremy Deller tatsächlich von mir gespottet ward.

Endlich treffen wir auf Doug Aitken, der uns hinter die Absperrung mitnimmt, von wo aus man einen Balustraden-Blick in einen rundum mit Film projizierten Kubus werfen kann. Zusammen mit seinem Assistenten Austin, der gerade mit aufgesetztem Kopfhörer vor einem Pult und Monitoren steht, choreographiert Aitken den zentralen Raum und setzt die Unmenge an filmischem Material ein, das von seinen Produktionen übrig geblieben ist. Rund um diesen Raum herum sind zahlreiche Projekte angesiedelt und wachsen während der Dauer von 30 Tagen weiter, das Zentrum verlassend, wie bewegliche Tentakel, die das Barbican einnehmen und dem architektonischen Monster ein künstlerisches Monster angedeihen lassen.