Chloë Sevigny ist ein Star des amerikanischen Independent-Kinos und arbeitete mehrmals mit dem Künstler Doug Aitken zusammen. Ein Interview auf dem SCHIRN MAGAZIN

Die Schauspielerin, Modedesignerin und Downtown-Muse Chloë Sevigny ist seit ihrem Durchbruch in Larry Clarks „Kids“ ein It-Girl des amerikanischen Indie-Kinos. Sie beeindruckte in Filmen wie „Boys Don't Cry“, „Dogville“ oder „American Psycho“, sowie in der TV-Serie „Big Love“. In dem Doug Aitken-Werk „Black Mirror“ (2011) spielt Sevigny eine ewig rastlose, anonyme Frau, die sich permanent in Bewegung befindet. Das SCHIRN MAGAZIN sprach mit ihr über menschliche Beziehungen und die Entwicklung einer persönlichen Identität.

Megan Steinman: Während Ihrer Laufbahn haben Sie viele verschieden Personen gespielt, alle mit ihren eigenen Geschichten. In „Black Mirror“ sind Sie eine namenlose Drifterin – Doug Aitken beschreibt Ihre Figur als „weiße Leinwand“. Was bedeutet es für Sie, eine Nicht-Person zu spielen, oder vielleicht eine Jedermann-Person? Auf was haben Sie Sich bezogen, um diese Figur erlebbar zu machen?

Chloë Sevigny: Aus einer Schauspiel-Perspektive war es eine Herausforderung: Doug war sehr offen dafür, ohne Prozess zu arbeiten, wobei er gleichzeitig einen sehr genauen Prozess hat. Ich habe versucht, einen Entwurf für ihre Person zu machen und habe mich dabei auf mein eigenes Leben bezogen. Was es bedeutet, sich am falschen Ort zu fühlen, sich für wer weiß wie lange an Drehorten aufzuhalten, neue Städte zu besuchen, sich anpassen zu müssen und eine Art Normalität zu finden. Künstler wie Doug haben ihr ganzes Team um sich – ich nicht. Mein Beruf beinhaltet auch, dass ich oft alleine unterwegs bin. Auf genau dieses Gefühl wollte ich mich beziehen, auf diese Monotonie und auf den Versuch, mit Menschen die nicht da sind (oder nur per Telefon) Beziehungen zu erhalten oder aufzubauen. Ein Leben im Leben aus dem Koffer zu finden.

MS: Fast als würde man etwas Hoffnung finden?

CS: Ja, wobei es eher noch um ein Gefühl von Normalität geht, weil man sich sonst so als Drifter fühlt. Gerade bin ich in Los Angeles; wegen der Zeitverschiebung ist es nach der Arbeit zu spät, zu Hause irgendjemanden zu erreichen. Ich sitze also hier und starre auf mein Handy.

MS: Inwieweit bestimmt ein Ort oder eine Landschaft unsere Identitäten?

CS: Für mich geht es dabei um Vertrautheit. Ich komme aus Neuengland und habe in Los Angeles den Eindruck, eine Außerirdische zu sein weil sich die Vegetation hier so fremd anfühlt. Die Hügel. Ich könnte mich hier nie zuhause fühlen, dafür bin ich in dieser Natur zu fehl am Platz. Aufgewachsen bin ich in Connecticut und wohne jetzt gegenüber eines Parks, der auch in Connecticut sein könnte: die gleichen Bäume, die gleichen Strukturen.

MS: Apropos Bäume, denken Sie, es gibt eine Identität ohne Wurzeln?

CS: Das hängt von den jeweiligen Beziehungen ab, denke ich. Manche möchten gar kein zu Hause haben. Ich hatte zum Beispiel einen Freund, dessen Familie jährlich umgezogen ist. Er hatte folglich nicht den gleichen Bezug zum daheim-sein wie ich. Für mich ist es sehr wichtig, es gibt mir Sicherheit, was aber nicht für jeden zutreffen muss und wohl auf die Erziehung ankommt.

MS: Sie haben trotz des Gefühls von Fremdheit viel Zeit in Kalifornien verbracht. Sehen Sie so etwas wie eine kalifornische Identität in der Kunst, den Ideen und dem Produktionsprozess von Doug Aitken?

CS: Doug hat einen wunderbaren Humor, der nicht oft in seiner Kunst zum Vorschein kommt. Er hat Bock aufs Spielen. Und er ist entspannt in dieser lässigen kalifornischen Art. Für ihn ist es normal, dass mal etwas schief gehen kann, das wirft ihn nicht gleich aus der Bahn. In dieser Hinsicht ist er ganz anders als der verspannte New Yorker.

MS: „Never stagnate, never stop.“ Ihre Person in „Black Mirror“ ist in ständiger Bewegung – aber spielt nicht auch die Zeit eine Rolle? Wie verändert sich unsere Identität mit der Zeit? Welche Elemente nehmen wir mit uns auf der Reise durch die Zeit?

CS: Haben Sie vielleicht die “Up Series” Doku-Reihe gesehen? Mich hat sie sehr bewegt. Und ich denke, ich bin immer noch der gleiche Mensch, der ich mit 7 war. Ich habe wohl neue Dinge gelernt, und mit diesen Dingen kam auch das Selbstvertrauen. Jetzt, wo ich 40 bin, kann ich Dinge besser angehen, besser noch als in meinen 30ern. Ich denke, es geht darum, sich neue Dinge und Einblicke anzueignen, sich ihnen zu stellen. Das kommt mit der Zeit. Aber ich fühle mich nach wie vor wie der gleiche Mensch.

MS: Gibt es etwas an „Chloë“, das sich während dieser persönlichen Entwicklung nicht verändert hat? Können Sie Sich daran erinnern, wie es als 7-Jährige war?

CS: Ich weiß nicht, ob ich mir spezifische Dinge ins Gedächtnis rufen kann. Eher wie es war, im Garten zu sein, oder meine damalige Gefühlswelt. Ich erinnere mich daran, wie ich damals gedacht habe.

MS: Doug spricht von der Bewegung in seinen Arbeiten als materielles Mittel, mit dem Vergangenheit und Erinnerung aufgehoben werden können. Würden Sie sagen, dass Ihre „Black Mirror“-Person einer unbekannten Zukunft entgegen läuft, oder vor ihrer Vergangenheit flieht?

CS: Ich habe keinen blassen Schimmer, was dieses Mädchen macht. Ich tappe auch im Dunkeln.

MS: Auch wenn Sie selbst dieses Mädchen sind?

CS: Na ja, wegen meinem Job bin ich dauernd in Bewegung, lieber aber würde ich stillstehen. Ich bin gerne zuhause oder im Urlaub, aber arbeitsbedingt bin ich oft weit weg von Familie und Freunden. In „Black Mirror“ muss die Figur diese Dynamik aufrechterhalten. Das bezieht sich auch auf Dougs Arbeit als Künstler: Ich habe den Eindruck, er legt nie eine Pause ein.

MS: Über Ihre Figur in „Black Mirror“ sagte Doug Aitken, er hätte einen Menschen gebraucht, der den Zuschauer in sein Konzept und Werk führen konnte. Hat Ihr öffentliches Image Ihrer Meinung nach dazu beigetragen, die Verbindung zwischen Kunst und Publikum herzustellen?

CS: Als Doug auf mich zukam, riet ich ihm mit jemandem zu arbeiten, der kein Schauspieler ist. In seiner Arbeit mit Tilda Swinton oder Chan Marshall stört die öffentliche Persönlichkeit nicht so sehr, aber bei mir dachte ich schon, dass es hindern könnte. Anderseits war ich gerade frisch Single und wollte einfach raus in die Welt (lacht). Ich geb's zu, meine Gründe waren auch eigennützig. Ich befürchtete, mein Image könnte sich zwischen Kunst und Zuschauer stellen, aber die Arbeit schafft es, den Zuschauer zu packen.

MS: Wie sind die Reaktionen auf die Arbeit?

CS: Als wir in Griechenland waren gab es sehr viel Aufmerksamkeit, aber das hatte wohl mehr mit dem performativen Aspekt der Arbeit zu tun.

MS: Was sollten wir über Doug Aitken wissen?

CS: Ich liebe Doug und kenne ihn seit meiner Jugend. Als er noch Musikvideos gedreht hat, ließ er mich in einem seiner Videos mitwirken und brachte mich dafür zum ersten Mal nach Los Angeles. Ich war 19. Vor ein paar Tagen waren wir gemeinsam beim Dinner. Er ist wahnsinnig neugierig und stellt viele Fragen. Darauf sollte man sich gefasst machen, falls man jemals neben ihm sitzen sollte.