Jeff Koons zählt zu den populärsten lebenden Künstlern unserer Zeit. Wir haben mit ihm ein Interview über die Geschichte der Menschheit, uneingeschränkte Akzeptanz und spirituelle Autorität geführt.

Seit vielen Jahren ist der US-amerikanische Künstler regelmäßig in Frankfurt, da er seine äußerst anspruchsvollen Skulpturen in einem hochspezialisierten Metallverarbeitungsunternehmen im Taunus produzieren lässt. Während seiner Aufenthalte hat Jeff Koons wiederholt die Skulpturensammlung des Liebieghauses besucht und war von ihr stets aufs Neue begeistert. Dort und in der SCHIRN werden nun ab dem 20. Juni 2012 seine Werke zu sehen sein. Im Liebieghaus treten seine Skulpturen in einen Dialog mit den zum Teil 2000 Jahre alten Sammlungsstücken, während in der SCHIRN ein Überblick über seine Gemälde zu sehen sein wird.

SCHIRN MAG: Herr Koons, Sie bereiten eine Doppel-Ausstellung in Frankfurt vor. Was verbindet Sie mit Frankfurt?

Jeff Koons: Ich bin begeistert von diesen zwei Ausstellungen im Liebieghaus und in der SCHIRN. Seit über sechzehn Jahren komme ich regelmäßig fast einmal im Monat nach Frankfurt. Meine Kunstwerke produziere ich ganz in der Nähe und finde die Stadt großartig, also verbringe ich viel Zeit hier.

SM: Ihre Plastiken werden im Liebieghaus zu sehen sein. Man hört, dass Sie gut mit diesem Museum vertraut sind.

JK: Das Liebieghaus ist wirklich ein besonderes Museum. Mir gefällt ganz besonders, dass hier, in Bezug auf Archäologie und kunstgeschichtliche Fragestellungen, die Kunstwelt buchstäblich auf den Kopf gestellt wurde. Das Liebieghaus hat gezeigt, dass unsere Vorstellung vom Klassizismus oder der Antike weit von der Realität entfernt ist. In der Vergangenheit war alles bunt, alles bemalt. Also ist unser herkömmliches kunsthistorisches Konzept einer weißen Antike vollkommen falsch.

SM: Sie zeigen großes Interesse an den Ausstellungsobjekte im Liebieghaus. Werden Ihre dort gezeigten Skulpturen mit den Ausstellungsstücken in Dialog treten?

JK: Meine Arbeiten neben diesen Meisterwerken von der Antike bis ins 19. Jahrhundert zeigen zu können ist fantastisch! Den Kopf des Apollo werde ich ganz in der Nähe meiner „Balloon Venus" platzieren. Die „Woman in Tub" aus der Banality-Serie wird neben Luca della Robbias großem Altar stehen. Es ist großartig, auf solche Weise mit diesen Künstlern kommunizieren zu können. Man hat die Möglichkeit, sich in der Zeit zurück zu bewegen. Zugleich kann man Dinge der Vergangenheit in die Gegenwart bringen und vielleicht sogar ein Konzept für die Zukunft entwerfen.

SM: Ihre Gemälde werden in Frankfurt in der SCHIRN Kunsthalle zu sehen sein.

JK: Es ist spannend, nicht nur meine Skulpturen im Liebieghaus zu zeigen, sondern auch die Geschichte meiner Gemälde in der SCHIRN. Ich war schon immer Maler, seit meiner Kindheit. Wir haben uns entschieden, die Arbeiten nach 1986 zu zeigen. Damals habe ich mich nach dem Studium erneut der Malerei gewidmet.

SM: Was hat sie zu der neuesten Werkgruppe „Antiquity", die hier erstmals präsentiert wird, angeregt?

JK: Die Idee zu dieser Werkgruppe entstand, als ich an „Diamond" für meine Serie „Celebration" arbeitete. „Diamond" ist sehr groß: ca. 2 x 2 x 2 Meter, ein Diamant mit vier Krappen gefasst. Die Krappen stehen für Virilität und die Facetten, der Schliff des Diamanten, spiegelt exakt jenen Moment der Schöpfung, in dem das Leben einsetzt. Wenn man hinter den Diamanten tritt, von wo aus seine Facetten nach vorne streben, ist man am Beginn der Geschichte der Menschheit. Ich glaube die Arbeit zeigt, dass wahre Erzählung immer eine biologische Erzählung ist: unsere Gene, unsere DNA. Alles andere ist bloße Erfindung. Die Ausstellungen in der SCHIRN und besonders im Liebieghaus -- dieser Dialog mit der Geschichte -- ist ein Versuch, sich auf andere Künstler zu beziehen und eine Verbindung herzustellen. Die Kommunikation schafft ein Gefühl von Nähe und Wärme. Wie eine biologische Familie. Kunst will ohnehin immer Lebensenergie spenden. Das gelingt nie, aber der Anspruch ist immer da. Ich glaube nicht, dass Kunst jemals zu dieser Lebensenergie werden kann, aber sie kann unsere Gene beeinflussen.

SM: Woher kommen die Bilder, Symbole oder Allegorien die Sie in Ihren Arbeiten verwenden? Wie sondieren Sie das Wichtige vom Unwichtigen?

JK: Die Inspiration für meine Arbeit finde ich in der Wirklichkeit. Im Alltag. Ich nehme meine Umgebung wahr. Das Einzige was jedem bleibt, ist, seinen Interessen nachzugehen und sich auf sie zu konzentrieren. Und das reflektieren meine Arbeiten: Meine aktuellen Interessen, auf die ich meine Energien verwende. Wenn wir unseren Interessen nachgehen, werden die Dinge metaphysisch. Man findet ein objektives Vokabular und nähert sich Archetypen an. Dinge gewinnen an Bedeutung für einen selbst, aber auch für Außenstehende.

SM: Was hat Sie an Michael Jackson („Michael Jackson and Bubbles") oder „Popeye" inspiriert, was andere Figuren nicht haben?

JK: Als ich mich vor etwa 25 Jahren zu „Michael Jackson and Bubbles" entschloss, tat ich das, um ihm eine besondere Rolle in der „Banality"-Serie zu geben. Er sollte eine spirituelle Figur darstellen. Ich wollte den Leuten vermitteln, dass sie sich selbst und ihrer eigenen Geschichte vertrauen können. Sie sollten sich selbst als perfekt wahrnehmen und einsehen, dass alles an ihnen in Ordnung ist. Ich wollte ihnen das Selbstbewusstsein geben, sich selbst anzunehmen. Ich wollte ihnen Figuren mit einer Art spiritueller Autorität geben. Also habe ich „Michael Jackson and Bubbles" als eine Art zeitgenössischer Christusfigur entworfen. Wenn Sie die Form ansehen, dann ist die Figur wie eine Renaissanceskulptur aufgebaut -- pyramidisch. Sie bezieht sich unter anderem auch auf Tutanchamun und hat etwas sehr ägyptisches. Die Struktur ist ähnlich wie die der drei Pyramiden in Gizeh. Sogar im angewinkelten Bein der Figur kann man die Pyramidenform erkennen. Dann sind da noch der Affe Bubbles und Michael. Das Make-Up der Augen ist sehr ägyptisch. Wenn ich diese Sachen mache, folge ich meinen eigenen Interessen. Aber ich suche auch einen Dialog mit den Menschen. Ich will ihnen vermitteln, das die Dinge, auf die sie im Leben ansprechen, Dinge, die sie motivieren, in Ordnung sind. Ich will Beurteilungen aus der Welt schaffen.

SM: Worin besteht für Sie die Schönheit Ihrer Arbeiten?

JK: Was ist Schönheit? Wissen Sie, wenn ich Schönheit und Kunst definieren sollte, dann würde ich es „Akzeptanz" nennen. Sich im Leben allem zu öffnen und alles als das anzunehmen, was es ist. Indem man das tut, ist alles in Bewegung, kann alles eingesetzt werden, ist alles verfügbar. Akzeptanz vertreibt jegliche Ängste. Es gibt keinen Grund sich zu sorgen, nichts, gegen das man sich stellen muss. Ich bin davon überzeugt, dass Akzeptanz der Schlüssel zur höchsten Form des Verständnisses der menschlichen Freiheit ist, zu dem, wozu wir fähig sind und was wir in unserem Leben erreichen können.

SM: Ihre Skulpturen werden von der Arnold AG, einem Metallverarbeitungsbetrieb in Friedrichsdorf bei Frankfurt hergestellt. Wie kam es dazu, dass sie an einem für Sie so abgelegenen Ort produzieren?

JK: Mit Arnold habe ich erstmals vor 16 Jahren zusammengearbeitet. Mercedes Benz hatte gerade eine meiner Arbeiten gekauft. Damals hatte ich Schwierigkeiten, die Oberfläche einiger der polierten Arbeiten der „Celebration"-Serie umzusetzen. Da fragte mich Mercedes Benz, ob ich mit dem Betrieb, mit dem sie besondere Metallverfahren umsetzen, zusammen arbeiten wollte. Und ich habe gesagt: „Klar. Ich suche immer nach Produktionsfirmen, also werde ich es versuchen."

Bei der ersten Kooperation habe ich mit Rolf Arnold gearbeitet. Rolf hatte immer ein sehr gutes Verhältnis mit Künstlern aus der Umgebung. Menschen, mit denen ihn eine persönliche Freundschaft verband. Es war wunderbar, mit Rolf zu arbeiten. Nach und nach hat sein Sohn Uwe Teile die Zusammenarbeit und Produktion mit den Künstlern übernommen, denn die Firma Arnold befasst sich auch mit anderen Geschäftsbereichen. Also habe ich mit Uwe weitergearbeitet. Und es gefällt mir sehr, Freundschaften in einer Familie über Generationen hinweg zu pflegen und gemeinsam an Dingen zu arbeiten, die mir sehr viel bedeuten. Ich weiß, dass sie sich voll und ganz für die Produkte einsetzen und hervorragende Ergebnisse liefern. Es ist ein Vergnügen mit Arnold zusammen zu arbeiten und meine Werke in Deutschland umzusetzen. Daher bin ich oft in Frankfurt.

SM: In der SCHIRN zeigen Sie viele Gemälde aus Ihren Serien. Wo endet eine Serie und beginnt die nächste?

JK: Wenn ein Künstler arbeitet ist das eine Art Geste. Die künstlerische Arbeit steht für Interessen im Leben des Künstlers. Wenn man jünger ist, entstehen automatisch kleine Erzählstränge, denn man stellt die Arbeiten aus und in diesem Rahmen gibt man alles, was man in diesem Moment hat. So entstehen diese erzählerischen Werkgruppen innerhalb bestimmter Parameter. Dann sammelt man neue Kräfte, die Interessen ändern sich. Und obwohl man von ähnlichen Informationen ausgeht, ändert sich die Art, in der man sie präsentiert und verarbeitet. Mit der Zeit gewinne ich die Freiheit, eine kontinuierliche Narration zu entwickeln. Ich muss nicht mehr alles in ein festes Format mit Anfang und Ende fassen. So bin ich zur „Antiquity"-Serie gekommen. Ich wollte auf den erzählerischen Aspekt verzichten und dabei entstand eine noch weiter gefasste Erzählung.

SM: Gibt es eigene Arbeiten, die Sie bevorzugen? Möchten Sie, dass die Besucher sich mit Ihren Arbeiten identifizieren?

JK: Manchmal werden Künstler gefragt: „Haben Sie eine Lieblingsarbeit?" Habe ich nicht. Jede meiner Arbeiten schaffe ich, indem ich wirklich all meine Sorgfalt und Aufmerksamkeit auf sie verwende. Wenn ich einen Schritt zurück trete, dann gibt es wirklich keine Arbeit, die mir außergewöhnlicher erscheint als eine andere. Auf jede der Arbeiten, die hier zu sehen sind, bin ich wirklich stolz. Eigentlich hoffe ich, dass die Besucher jenes Werk mit der größten Neugier erwarten, das ich als nächstes mache. Denn mich interessiert am stärksten die Umsetzung der Geste, auf die ich immer hin arbeite. Der Geste, die mir den höchsten Grad an Freiheit verschafft, die mein maximales Potential als Künstler ausdrückt.