Wenn wir über Denk­mä­ler spre­chen, spre­chen wir über Ewig­keit. Carlos Bungas Arbeiten sind aber vergäng­lich, fragil, sterb­lich – so wie wir. Kurator Matthias Ulrich hat mit ihm über seine Installation in der Schirn gesprochen.

Matthias Ulrich: Beginnen wir mit der Installation „I always tried to imagine my home”, die du speziell für die Rotunde der Schirn konzipiert hast. Was war deine ursprüngliche Idee als du den Ort das erste Mal sahst?

Carlos Bunga: Ich war sehr beeindruckt. Mir war aber auch sofort klar, dass es eine große künstlerische Herausforderung sein würde, hier in der Rotunde ein Projekt mit einer starken Identität und Wirkung umzusetzen. Die Komplexität eines solchen Ortes muss schließlich berücksichtigt werden. In der Auseinandersetzung mit einem derartig anspruchsvollen Raum stellen sich jedoch auch immer Emotionen ein und ich beginne zu überlegen, wie mein Beitrag hier aussehen könnte. Meine Arbeit ist ausgesprochen prozesshaft und experimentell. Ich gehe Risiken ein und arbeite ganz im Sinne von Walter Benjamin in der Jetztzeit. Die Entwicklung eines Kunstwerks und seine Präsentation kommen in Raum und Zeit zusammen, das ist zugleich auch ein wesentlicher konzeptueller Aspekt der Installation in der Schirn.

Carlos Bunga, 2022, Foto: Marc Krause

Mit deiner Arbeit in der Schirn Rotunde stellst du einen starken Bezug zum Raum her. Die erste Ebene auf dem Boden besteht aus verschiedenen Möbelstücken. Darauf findet sich ein von dir häufig verwendetes Material, nämlich übereinandergestapelte Kartonagen. Damit erschaffst du sozusagen eine zweite Architektur im Leerraum des Gebäudes. Haben die Möbel besonders für diesen Ort oder eher im Allgemeinen eine Bedeutung?

Nach zwei Jahren der Pandemie haben wir wohl alle das Gefühl, dass das Haus eine Art Gefängnis ist, da im Außenraum diese Gefahr lauert. Das Haus als Gefängnis war insofern ein wichtiger Aspekt für mich und ich habe versucht, das in diesem Projekt zum Ausdruck zu bringen. Normalerweise suchen wir uns nicht unbedingt das Gebäude aus, in dem wir leben, die Möbel jedoch schon. Die emotionale Bindung an ein Haus entsteht erst, wenn wir es mit Möbeln ausgestattet haben. Ein anderer Gedanke ist, dass Möbel immer die Anwesenheit eines Körpers implizieren. Wir sehen keinen Körper im Stuhl, aber wir wissen, dass der Stuhl für den Körper existiert.

Das häusliche Umfeld befindet sich gegenwärtig im Wandel, denn das Bett auf dem Boden ist nicht immer nur der Ort zum Schlafen. Ein Tisch ist nicht nur ein Ort zum Essen und der Stuhl nicht nur ein Ort zum Sitzen. Alles verändert sich, wenn wir so viel Zeit zuhause verbringen. Viele Leute arbeiten von zuhause aus und der private Raum wird mit anderen Vorstellungen assoziiert. Bei diesem Projekt in der Rotunde war es mir wichtig, die Komplexität des Häuslichen in die Arbeit einfließen zu lassen. Ich glaube, wenn die Besucher ins Museum kommen und die Möbel an diesem Ort sehen, dann verspüren sie sofort diese emotionale Verbindung zu den Objekten. Man fühlt sich wie zuhause, ist aber nicht zuhause. Ein anderer wesentlicher Aspekt meiner Arbeit ist die tatsächliche Funktionalität der Möbel. Es gibt die Möglichkeit Schubladen oder Türen zu öffnen, auch wenn sich nichts darin befindet. Den potenziellen Inhalt kann man sich trotzdem vorstellen. Der Leerraum suggeriert diesen möglichen Inhalt geradezu. Das Fehlen eines Objekts lässt uns über dieses Objekt nachdenken. Das kann genauso wirkungsvoll sein wie die Sache an sich.

Nach zwei Jahren der Pandemie haben wir wohl alle das Gefühl, dass das Haus eine Art Gefängnis ist [...]

Carlos Bunga

Ich würde gerne noch einmal zu deinen künstlerischen Anfängen zurückkehren. Als Maler hast du dir zu Beginn die Frage gestellt, welchen Bezug ein Bild zu einem Raum herstellt, wie es sich der Wand bemächtigt. Kannst du uns etwas mehr darüber erzählen?

Ich war mit der Dimensionalität der Bilder nicht zufrieden, egal ob ich kleine oder große Bilder malte. Zur gleichen Zeit begann ich auch in der Stadt herumzulaufen. Ich sah alte Gebäude, Gebäude im Bau und Gebäude, die zerfallen waren. Und dann begann ich nach diesen Zeichen in der Stadt zu suchen, die für mich wie wunderschöne Gemälde aussahen. Schöner und lebendiger als die Bilder in meinem Atelier. Also brachte ich meine Bilder in die Stadt, arbeitete mit ihnen im städtischen Umfeld und hängte sie an die Mauern dieser Gebäude. Aber dann passierte etwas wirklich Seltsames mit mir. Ich sah diese Bilder an den Mauern und sie wurden unsichtbar, wie eine Art umgekehrtes Readymade. Mit einem Readymade bringen wir gewöhnlich Objekte in den White Cube oder Museumsraum. Als ich jedoch diesen Prozess im realen, also öffentlichen Raum umkehrte, wurden die Objekte (in diesem Fall meine Bilder) unsichtbar, da sie Teil dieser Realität waren.

Das hat mich sehr beeindruckt. Nicht die Bilder, aber meine Wahrnehmung des Raumes. Daraufhin begann ich mit Papier, Plastik und Pappe alte Objekte herzustellen. Ich versuchte kleine Gebäude anzufertigen, die in ihrer Fragilität mit diesen einfachen Materialien etwas gemeinsam hatten. Und dies führte mich zum Konzept des Modells. Das Modell ist der Entwurf einer Idee, es ist eine Möglichkeit. Aber was würde passieren, wenn der Maßstab verändert und das Modell viel größer wäre? Alle diese Prozesse halfen mir dabei mich schließlich künstlerisch mit dem Raum auseinanderzusetzen. Dennoch denke ich immer noch wie ein Maler. Ich glaube, ich habe die Malerei einfach auf den Raum erweitert, das ist zwar ein theoretischer Aspekt, aber trotzdem auf die Malerei bezogen.

Das Buch von Rosalind Krauss mit dem Titel „Sculpture in the Expanded Field“ hat mich inspiriert, die Malerei zum Prozess, zum Raum in Bezug zu setzen. Bis zu einem gewissen Grad lassen sich die Beschränkungen des Bildes oder der Leinwand überwinden und in den Raum erweitern. Jeanne Claude & Christo verhüllten Gebäude, wobei sie durch die Beziehung zu deren Architektur skulpturale Gemälde entstehen ließen. Die Wände eines Raumes können als Begrenzung der Leinwand betrachtet werden, ich arbeite dann in diesem Raum, aber in einer stark erweiterten Form. Die Skulptur bewegt sich zwischen allen diesen Medien. Es ist schwierig zu sagen, ob meine Arbeit Malerei, Skulptur oder Architektur ist. Am Ende kehre ich immer zur Malerei zurück, ich arbeite mit der Malerei in Bezug zum Raum.

Das erinnert mich an Robert Rauschenbergs Technik des „Combine Painting“. In deiner Arbeit kann man die Verbindung von Malerei und Skulptur deutlich daran sehen, wie Raum verhandelt wird, was sowohl die Malerei als auch die Skulptur bestimmt. „I always tried to imagine my home” in der Rotunde scheint eine Assemblage aus Skulptur, Malerei und Architektur zu sein. Du sprichst häufig von der Zukunft eines Raumes, während die Architektur, Steine, Metall, Glas etc. uns an die Vergangenheit erinnern. Deine Arbeit ist die Gegenwart, das Hier und Jetzt. Was ist dann die Zukunft?

Was ich in diesem Raum mit Pappe errichte, ist eine Art Zukunftsentwurf. Meine Arbeit ist nicht die Gegenwart. Die Gegenwart ist der Körper der Öffentlichkeit, die Betrachter*innen der Installation aktivieren die Arbeit und es entsteht ein zeitliches Erlebnis zwischen der Vergangenheit des Gebäudes und dem Modell einer Zukunft, oder dieser geistigen Idee. Die Gegenwart, das ist unser Körper. Und dann gibt es diese zeitliche Wahrnehmung: Man schaut nach oben, nach unten auf den Boden, um sich herum und man ist Teil davon. Irgendwann gerät der Körper durch diese Bewegungen in Bewegung, man fühlt sich lebendig, es ist als würde man tanzen. Ich glaube, ich verbinde das Gebäude mit der Vergangenheit, mit seiner Geschichte und Identität. Hier in Frankfurt hat mich die Geschichte der Stadt sehr inspiriert. Ihre Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und die Vergangenheit in den Mauern des Museums habe ich intensiv gespürt.  Es ist sehr interessant, wie schnell Städte gewachsen sind. Die alten Gebäude und auch die vielen Museen erzählen etwas über die Geschichte, wie Geschichte bewahrt werden kann. In gewisser Weise befinden sich Städte in einem Kampf um die Bewahrung der Vergangenheit, die Bewahrung der Gegenwart und der Errichtung des Neuen.

Und dann gibt es noch etwas dazwischen, das nomadischer ist, mit Einwanderung zu tun hat und mit der Frage, was mit der Stadt als einer Art Organismus passieren kann. Es gibt viele obdachlose Menschen, die kein Zuhause haben. Das ist eigentlich ein Versagen des Systems, da hier offenkundig etwas nicht funktioniert. Wenn ich in eine neue Stadt komme, entdecke ich alle diese Bezüge. Diese Konstruktion mit Pappe im öffentlichen Raum der Rotunde, der eigentlich nicht Teil des Museums an sich ist, ist auch ein „Dazwischen“. Wenn wir über Denkmäler sprechen, sprechen wir über Ewigkeit, über etwas, das permanent ist. Aber diese Arbeit hier aus Pappe ist vergänglich, sie ist fragil, sterblich, so wie wir. Sie ist eine Art Denkmal des Lebens.

Die Arte Povera ist eine andere Bewegung in der Kunstgeschichte, die sich mit billigen und alltäglichen und eben auch kurzlebigen Materialien beschäftigte. Siehst du Parallelen zwischen deinen Arbeiten aus Pappe, in einem architektonischen und zeitlichen Sinne, und der Arte Povera als Kritik an Materialität, Permanenz, Ewigkeit etc.?  

Ja, ich glaube schon, dass meine Arbeit eine Verbindung zur Arte Povera hat, da die von mir verwendeten Materialien so banal sind. Sie entspringen sozusagen irgendwann unserem Leben. Das ist, wie ich finde, ein wichtiger Aspekt der Bewegung. Künstler, die mit Dingen zu arbeiten beginnen, die lebendig und in der Umgebung zu finden sind. Das ist sehr einfach und Teil des Lebens. Die Arte Povera gewinnt im Zusammenhang von Technologie, Digitalisierung oder dem Internet zunehmend an Bedeutung. Technologie, Internet und Digitalisierung werden immer stärker Teil unserer Realität. Zugleich werden wir immer nostalgischer. Die Sehnsucht nach Natur, Land, Wasser oder einem Kuss. Das hat sich mit der Pandemie natürlich verstärkt, da wir so viel Zeit zuhause und vor virtuellen Fenstern verbracht haben.

Ich habe kein Problem mit der Technologie, ich benutze sie, ich bin diese Technologie und man entkommt ihr nur schwer. Man braucht sein Smartphone um zu reisen, einen Test zu machen, den Impfnachweis vorzuzeigen. Alles ist verbunden, es gibt kaum ein Entrinnen. Aber diese Sehnsucht nach der Landschaft ist interessant. Ich glaube wirklich an diese Form von Nostalgie. Meine Arbeit soll nicht etwa wie ein Film im Kino rezipiert werden. Dort gleicht unser Körper einem Geist, wir befinden uns in einem hypnotischen Zustand. Meine Arbeit zielt vielmehr auf den gegenteiligen Effekt: Der Körper soll sich lebendig anfühlen, sich bewegen und gehen. Zugleich ist diese Arbeit sehr abstrakt, da sie vom Betrachter und seinem Blick auf das Leben abhängig ist und welche unterschiedlichen Gefühle er zulässt. Sie gleicht auf sehr einfache und natürliche Weise einem Spiegel unserer eigenen Subjektivität oder Einzigartigkeit.

Es gibt diese schöne Vorstellung unserer allerersten Behausung als dem Leib einer Frau. Gibt es diesbezüglich eine Verbindung zu deiner Arbeit? 

Ja genau, mein erstes Haus war der Bauch einer Frau. Das ist sehr poetisch, da es für uns alle gilt, es ist ein lebendiges und emotionales Haus, das uns vor der Außenwelt beschützt. Diese Verbindung ist sehr interessant, da wir ein Haus brauchen, um unseren Körper in seiner Verletzlichkeit zu schützen. Es kann aber auch ein sehr traumatischer Raum sein, oder auch ein Raum, in dem wir tun und lassen können, was wir wollen. Wenn wir arbeiten, tragen wir, wie ich finde, sehr häufig eine Maske, daher brauchen wir die Architektur. Es ist wichtig, dass die Menschen sich ihrer Stadt stärker bewusst werden und erkennen, wie sie unsere Persönlichkeit verändern kann und was das bedeutet. Wenn ich die Stadt anschaue, dann kann das Haus eine Stadt sein und das Haus kann ein Modell sein. Es ist sehr fragil und nicht echt. Was ist schon von Dauer? Zeitlichkeit und Vergänglichkeit sind von Dauer, das ist die neue Realität.

Der Vergleich zwischen einem Modell und der Existenz der materiellen Welt ist ein wesentlicher Aspekt. Alles ist in gewisser Weise ein Modell, denn nichts ist vollendet, alles befindet sich im Prozess des Werdens, ob es die Menschheit ist, oder unsere eigene Existenz oder das Haus, in dem wir leben, oder die Stadt, der gesamte Raum, alles ist im Fluss und mit unserer Aktivität verbunden.

CARLOS BUNGA. I ALWAYS TRIED TO IMAGINE MY HOME

18. Februar – 22. Mai 2022

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