Worin liegt der Schlüssel zur Eleganz und was hat Agatha Christie damit zu tun? Ein Gespräch mit der Künstlerin Maria Loboda übers Hinschauen, Weglassen und eine Sammlung bemerkenswerter Objekte.

Du hast bis 2008 an der Städelschule studiert. Wie ist es für dich, nach so langer Zeit wieder in Frankfurt zu sein und deine Arbeit hier in einer Einzelpräsentation auszustellen?

Es ist ein ganz wundersamer, fast surrealer Moment, zurückzukehren an Orte, die man mit so viel Respekt betrachtete. Ich bin froh, dass das, was in den Jahren nach meinem Studium passiert ist, mit Interesse beobachtet wurde und es ist wundervoll, dass die Stadt, in der man groß geworden ist, einen als Künstlerin wieder willkommen heißt – dafür bin ich sehr dankbar.

Maria Loboda, Idyl In An Electronics Factory, Installation View, © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2018, Foto: Marc Krause

Das zentrale Werk deiner Ausstellung „Idyl in an Electronics Factory“ in der Schirn-Rotunde besteht aus zwei parallel angeordneten Hecken aus portugiesischem Lorbeer, die bis zum ersten Obergeschoss der Rotunde hinauf ragen. Inwiefern findet sich hier ein Bezug zu deinen früheren Arbeiten?

In den letzten zehn Jahren habe ich mir etwas erarbeitet, das einen starken Bezug auf die Architektur nimmt, indem ich versuche, den Räumen so stark wie möglich entgegen zu kommen. Die Rotunde sah ich als einen Körper: so ein urbaner, offener Durchgangsraum ist eigentlich gar kein Raum. Gleichzeitig versuchte ich unabhängig von meinem Œuvre zu denken. Ich wollte nicht in die Versuchung geraten, eine Art von Kommentar oder Bezug zu meiner Zeit als Studentin in Frankfurt herzustellen. Aber natürlich, als ich vor vielen Jahren Teil der Ausstellung „New Frankfurt Internationals“ im Frankfurter Kunstverein war, habe ich eine Arbeit gemacht, die ich immer noch ziemlich passend für die Architektur der Stadt finde. Das waren in Form geschnittene Buchsbäume, die sich durch die Frankfurter Innenstadt bewegten und aus denen sich dann später meine documenta Arbeit entwickelte.

Nach langem Überlegen kam ich nun zurück zu stationierten Bäumen, zu einer Art kleinem Landschafts- oder Gartenbau. Ich dachte, es wäre das Eleganteste der Schirn etwas hinzuzufügen, das sehr viele Museen und Kunsthallen haben; diesen seltsamen Rückzugsort, der meistens ein Skulpturengarten ist und der sich sehr nahtlos an die Architektur der Stadt anpasst. Das ist auch vielleicht das Typische an meinen Arbeiten, dass sie auf den ersten Blick gar nicht wie Arbeiten aussehen, dass man sie erstmal gar nicht wahrnimmt und erst behutsam rausfindet, dass sie doch eine Art Mimikry betreiben. Die Ausstellung ist meine Interpretation des Museums, einer Institution. Es ist eine zarte Herangehensweise an die Klassik, dessen, was ein Museum, eine Kunsthalle auch erfüllt – mit Liebe und Behutsamkeit Skulpturen gut zu beleuchten, gut zu präsentieren, Malerei gut zu hängen. Aber meine Werke stecken einfach irgendwo in einem Limbo fest, wie ein Glitch im Computer; das Bild ist eingeklemmt im Gang, die Skulptur steckt in der Hecke.

Meine Werke stecken einfach irgendwo in einem Limbo fest, wie ein Glitch im Compu­ter.

Maria Loboda

Eine weitere Arbeit deiner Ausstellung lässt sich in eine Serie einordnen, bei denen ein Schriftzug auf ein Objekt im Raum verweist. In der Schirn ist es die Eidechse, die im Rotundenumgang auf einem Stromkasten sitzt. Wie ist sie dorthin gekommen?

In meinen Ausstellungen zeigte ich öfter neben vielen großen Arbeiten auch ein ganz kleines, exquisites und verstecktes Objekt. Bei den Eröffnungen habe ich dann bemerkt, wie die Besucher sich gegenseitig auf diese Arbeiten hinweisen: „Note the work in the left corner“. So wurden die „Note the…“ Arbeiten zu einer Serie, die ich schon in anderen Ausstellungshallen realisiert habe. Ich sammle immer Sachen, die ich interessant genug finde, in diese Familie von bemerkenswerten Objekten aufgenommen zu werden. Letztens war ich in Singapur, um meine documenta Arbeit in dem Contemporary Art Center zu installieren. Abends saß ich mit der Kuratorin vor dem Gebäude und der Alarm ging los, woraufhin die Kuratorin meinte, der Gecko habe den Feueralarm ausgelöst. Ich fand es so nonchalant und nebenbei gesagt, dass so etwas kleines so ein Chaos verunstalten kann. Somit kam die Eidechse sofort in meine Sammlung von bemerkenswerten Objekten.

Am Eröffnungsabend hast du die Ausstellung um ein für dich neues Element ergänzt, dem der Performance. Für „Teddy – Eine Warnung“ hast du einen Pagen mit einem blauen Auge durch die Rotunde laufen lassen. Was fasziniert dich an dem Motiv des Pagen?

Die Performance ist für mich ebenso ein klassisches Element des Museums und auch diese ist als solche kaum offensichtlich gewesen. Der Page ist ein sehr interessanter Archetyp des Daseins, wie der Chauffeur oder der Pilot: niemals sichtbar, aber beobachtend, aufmerksam und nahezu allwissend. Ein gutes Haus hat einen guten Butler, ein wohlhabender Mann hat einen guten Chauffeur, ein gutes Hotel hat einen guten Pagen. Aber was passiert, wenn diese Figuren brechen und anfangen durchzudrehen? Was passiert, wenn das, was eine Art von Status definiert, anfängt, plötzlich aus der Kontrolle zu geraten?

Was passiert, wenn das, was eine Art von Status defi­niert, anfängt, plötz­lich aus der Kontrolle zu gera­ten?

Maria Loboda
Maria Loboda, Teddy – Eine Warnung, Performance am 15. November 2018, © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2018, Foto: Marc Krause

Diese potentielle Schattenseite kann auch sehr unheimlich sein. Gleichzeitig haben deine Werke eine poetische Wirkung. Wie kommt das zusammen?

Natürlich mag ich „Noir“ - Hitchcock, Agatha Christie –  in ihrer bourgeoisen Perversität, aber auch und besonders Raymond Chandler. Diese Idee und besonders die Faszination vom Kriminalroman interessierten mich schon immer. Ästhetisch finde ich die Mischung aus so einer perversen Freude an etwas derart Verbotenem sehr gelungen. Ich mag, wenn Sachen gefährlich wirken, wenn sie unerreichbar sind, wenn sie eine potentielle Unabhängigkeit haben, wenn sie einem nicht gehören, wenn sie sich einem immer entziehen, wenn sie ein eigenes Leben haben. Und ich mag es, das Gefühl zu geben, dass, wenn du dich wegdrehst, meine Arbeiten eine fabelhafte Zeit für sich allein haben.

Wie der Gecko auf dem Stromkasten!

Ja! Und so stell‘ ich mir meine Arbeiten auch vor. Wie kleine Vignetten in der Zeit. Klar ist das geheimnisvoll, weil ich super viele Sachen auslasse und du dir alles vorstellen kannst. Das „für sich Behalten“ ist auch etwas, das ich an Menschen verführerisch finde.

Liegt hier der Schlüssel zur Eleganz, die sich in deinen Arbeiten erkennen lässt? Welche Rolle spielt Eleganz für dich?

Das, was ich für mich als Eleganz definiere, ist das, was man nicht zeigt. Eleganz ist für mich häufig immer das Weglassen. Wenn es gut genug gemacht ist, taucht man tiefer und tiefer ein und versteht, was für eine unglaublich komplexe Struktur dahinter steckt. Das kann mit allem möglichen so sein: Mode, Musik, und eben auch Landschaftsarchitektur. Manchmal steckt unglaublich viel Arbeit darin, den Dingen das „Sprezzatura“ zu geben, das alte Wort aus Baldassare Castigliones „The Book of the Courtier“, der Anleitung aus dem 15. Jahrhundert, wie man sich als guter Höfling benehmen soll. Das heißt, man arbeitet unglaublich viel, aber alles was du tust, muss eine gewisse Gelassenheit haben. Die Idee der Sorglosigkeit der Eleganz ist natürlich einleuchtend, dass man leichtfüßig irgendwohin geht. Aber wenn man das nie aufgibt, stirbt die Eleganz. Man darf auch mal ausrutschen – heimlich, und dann doch mit dem blauen Auge aufwachen. Hier ist es wie mit dem Gecko auf dem Stromkasten: dass diese Figur vielleicht eine fabelhaft bizarre Nacht hatte kannst du nicht wissen, sondern nur erahnen.

Ich mag, wenn Sachen gefährlich wirken, wenn sie unerreichbar sind [...]

Maria Loboda

In all deinen Arbeiten steckt so viel längst Vergessenes aus der Kulturgeschichte. Wie findest du deine Geschichten?

Was mich wirklich berührt ist das Verspüren einer großen Zärtlichkeit gegenüber Sachen, die übersehen, die in der Wissenschaft falsch bewiesen wurden, oder Leute, die vergessen worden sind. Ich denke, dass Vergangenheit eine Kontinuität ist. Es ist wirklich gefährlich, nicht zu verstehen, woher die Fehler kommen, die bereits begangen worden sind, was Menschen eigentlich sind. Ich fand es immer interessant, auf den Fehler im System zu blicken. Demgegenüber habe ich aber auch eine große Sorge. Ich habe Angst, dass man sehr lange einem falschen System folgt, das schon immer da war und das plötzlich Oberhand genommen hat. Das ist meine Art, mir die Welt zu erklären.