Wir haben mit Kuratorin und Autorin Myriam Ben Salah über Neïl Beloufas Arbeit, ihre Monografie über den Künstler und gute Kunstausstellungen gesprochen.

Myriam Ben Salah lebt als freie Kuratorin und Autorin in Paris und arbeitet gerade an der ersten Monografie über den Künstler Neïl Beloufa. Wir haben mit ihr über seine Installation „Global Agreement“ gesprochen, die noch bis 28. Oktober in der SCHIRN zu sehen ist. Ben Salah kennt sich nicht nur mit Beloufas Werk aus, sie ist außerdem Chefredakteurin des Kaleidoscope Magazine, einer in Mailand gegründeten Kunstzeitschrift, und kuratierte vor kurzem die zehnte Auflage des Abraaj Group Art Prize in Dubai.  

Theorie, Kritik und Praxis waren in der Kunst des 20. Jahrhunderts getrennte Disziplinen, wenn man das so sagen kann. In Deiner Praxis scheinen sie jedoch eng verflochten zu sein. Wie siehst Du Dich in Deiner Doppelrolle als Kuratorin und Kritikerin?

Neben meiner Arbeit als Kuratorin betrachte ich mich mehr als Redakteurin und Autorin und weniger als Kritikerin, denn das würde sich mit der Rolle der Kuratorin nicht vertragen – so gibt es in Kaleidoscope beispielsweise keine Ausstellungskritik. Kuratieren, Schreiben und Redaktion gehen aber in der Tat ineinander über und ergänzen sich auch. Kuratoren unterstützen Künstler im Prinzip dabei, ihre Arbeit zu kommunizieren. Das kann auf unterschiedliche Weise geschehen. Künstlern bei der Konzeption und Produktion einer Arbeit zu helfen, ist eine Möglichkeit, ihre Visionen in den narrativen Rahmen einer Gruppenausstellung zu integrieren eine andere. Die Zeitschrift ist für mich eine zusätzliche Plattform, um mit Künstlern Projekte zu entwickeln und sie eröffnet ein vertieftes Verständnis ihrer Arbeit. Durch das Schreiben kann ich mich in die Vorgehensweise der Künstler vertiefen und meine eigenen Gedanken zum Ausdruck bringen. Als Kuratorin begleitet man Künstler und das kann ganz unterschiedliche Formen annehmen. 

Myriam Ben Salah, Portrait, Photo: Deborah Farnault

Vor Deiner Arbeit an der Monografie über Beloufa hast Du die Gruppenausstellung „Cool Memories“ im Occidental Temporary kuratiert, das mehr oder minder Neïl Beloufas Atelier und die Filmkulisse für seinen gleichnamigen Film war. Welchen Ansatz hast Du für dieses sehr spezielle Setting gewählt?

„Cool Memories“ war eine der interessantesten Gruppenausstellungen, an der ich jemals gearbeitet habe. Ich musste natürlich den besonderen Kontext des Künstlerateliers berücksichtigen, das gleichzeitig in eine Filmkulisse und ein fingiertes Hotel verwandelt worden war. Bei der Konzeption der Ausstellung eröffneten sich dadurch viele verschiedene Ebenen. „Cool Memories“ war eine Ausstellung über Fiktion, konstruierte Wirklichkeiten und Repräsentation. Sie war als fragmentierter Spaziergang innerhalb eines Raumes angelegt, in dem eine bewusste Unterscheidung zwischen Realität und Simulation nicht mehr möglich ist.

Die Arbeiten dienten als Gegengewicht zu der sie umgebenden Filmkulisse, wodurch die vieldeutige Diskrepanz, die die gelebte Erfahrung von ihrer Darstellung trennt, unterstrichen wurde. Der Ansatz entsprang indirekt Beloufas eigenen Überlegungen, der sich in den letzten zehn Jahren mit Aspekten der Repräsentation und Aufhebung des Unglaubens des Betrachters (d.h. der Betrachter gibt sich der Illusion hin obwohl er weiß, dass das Gesehene fiktiv ist) beschäftigt hatte. Außerdem begegnen einem die Freiheit, die er mir an diesem Ort gewährte, sowie auch sein Vertrauen und seine Großzügigkeit  eher selten in der Form. 

Als Kuratorin begleitet man Künstler und das kann ganz unterschiedliche Formen annehmen. 

Myriam Ben Salah

Du hast Neïl Beloufas Arbeit in den letzten Jahren aufmerksam verfolgt. Findest Du, dass man Künstler über einen längeren Zeitraum begleiten sollte?

Auf jeden Fall, das ist wesentlich. Ich bin mit einer bestimmten Generation von Künstlern aufgewachsen, wir teilen die gleichen Interessen und Erfahrungen und ich finde es sehr wichtig, dass wir uns gegenseitig unterstützen. Sicherlich sollte man kontinuierlich neue Dinge, neue Ansätze erkunden, aber es ist genauso spannend, einen Künstler über einen langen Zeitraum zu begleiten, um ein tiefgreifendes Verständnis seiner Arbeit zu erlangen. Interessanterweise ist Neïl Beloufa selbst jemand, der die Beziehung zu einem Kurator über lange Zeit pflegt.

Würdest Du sagen, es gibt so etwas wie einen roten Faden, der sich seit Beginn seines Schaffens duch Neïl Beloufas Werk zieht und der heute immer noch eine Rolle spielt? 

Die Fragen der Repräsentation und der Aufhebung des Unglaubens in seinen Videos sind sicherlich wiederkehrende Themen. In seinem ersten Video „Kempinski“ oder in „Brune Renault“ beispielsweise untergräbt er die Aufhebung des Unglaubens beim Betrachter, indem er die Kunstgriffe zur Erzeugung von Fiktion offenlegt. Erst kürzlich hat er bei seinem Film „Occidental“ das Spiel mit der Erzeugung von Fiktion wieder aufgenommen und seine Arbeit damit cineastisch gesehen  in der Gegenwartskunst verortet. Das finde ich so überaus spannend an Beloufas Arbeit. Er ist niemals dort, wo man ihn vermutet und sobald er eine Regel oder ein wiederkehrendes Motiv gefunden hat, hinterfragt er es wieder. Dieses Prinzip lässt sich konzeptionell in seinen Filmen aber auch in technischer Hinsicht bei seinen Skulpturen anwenden. Sobald er eine Technik beherrscht, wendet er sich etwas Neuem zu.

Das finde ich so überaus spannend an Beloufas Arbeit. Er ist niemals dort, wo man ihn vermutet.

Myriam Ben Salah

KEMPINSKI

von Neïl Beloufa

Besonders interessant finde ich, wie Beloufa uns in „Global Agreement“ zum Zuhören bewegt und dabei zeigt, wie Krieg, Realität und virtuelles Leben miteinander verflochten sind. Wie hat die Installation in Frankfurt auf Dich gewirkt, auch vor dem Hintergrund seiner vorherigen Einzelausstellungen?

Die Installation in der SCHIRN ist eine völlig neue experimentelle Erkundung der Frage, auf welche Art und Weise man ein Thema darstellt, denn er spielt hier mit realen Bildern und Geschichten, um daraus ein fiktionales Narrativ zu gestalten. Die Überlegungen, die dem zugrunde liegen, entstammen offensichtlich seiner vorangegangenen Ausstellung im Palais de Tokyo „L'Ennemi de mon Ennemi“, in der er untersucht hat, wie Kunst und die Kommunikationsmittel des Krieges auf gleiche Weise als Propaganda betrachtet werden können. Beloufa vermittelt hier eine Vision des Krieges , die weder der offiziellen (wie wir sie von der Armee selbst  präsentiert bekommen) noch der Hollywood-Version entspricht, also jener wie wir sie aus Filmen kennen und die für viele auch die einzige Begegnung mit dem Thema Krieg ist. 

Neïl Beloufa. Global Agreement, © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2018, Foto: Marc Krause
Neïl Beloufa. Global Agreement, © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2018, Foto: Marc Krause
Neïl Beloufa. Global Agreement, © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2018, Foto: Marc Krause

Du würdest vermutlich auch sagen, dass Frankreich Deutschland im Umgang mit den Auswirkungen des Kolonialismus Einiges voraus hat. Können Kunstwerke den Zugang zur Vergangenheit erleichtern, zu einer Geschichte die über viele Jahrzehnte verschwiegen wurde?

Oha, also wenn Frankreich Deutschland diesbezüglich voraus sein soll, dann frage ich mich wo Deutschland eigentlich steht. Die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des Kolonialismus ist in Frankreich kaum vorhanden. Die Folgen des Algerischen Krieges werden hier immer noch nicht anerkannt und einige der dringlichsten sozialen Fragen funktionieren hier sozusagen als postkolonialer Ersatz. Ich denke nicht, dass die Kunst Lösungen bietet und ich glaube auch nicht an die großen politischen Botschaften in der Kunst. Genauer gesagt, ich glaube nicht an politische Kunst, aber durchaus an eine politische Form der Kunstproduktion.

Ein Kunstwerk kann eine andere Sichtweise auf die Welt eröffnen, Zweifel an der Darstellung bestimmter Dinge säen, und auch unsere Vorstellung von „Realität“ in Frage stellen. Aber wenn die Kunst versucht, eine eindeutige Botschaft zu vermitteln, verliert sie ihre Vieldeutigkeit und wird Kommunikation. Außerdem finde ich es immer noch ziemlich elitär, wie Kunst präsentiert und wahrgenommen wird. Also selbst wenn Kunst Türen öffnet, dann doch nur für einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung.

Was kennzeichnet dann heutzutage eine gute Ausstellung?   

Ich würde sagen, eine Ausstellung, die meine tunesische Großmutter oder mein kleiner Cousin auch verstehen könnten. Sie sollte präzise sein und Fragen aufwerfen, sich dabei aber nicht nur an ein gebildetes, kunstaffines Publikum wenden. Ich finde übrigens die Reibungspunkte zwischen der zeitgenössischen Kunst und der Massenkultur ziemlich interessant. Das ist ein guter Ausgangspunkt, um die Art und Weise wie wir Kunst präsentieren, zu überdenken.

Ein Kunst­werk kann eine andere Sicht­weise auf die Welt eröff­nen (...) und auch unsere Vorstel­lung von „Reali­tät“ in Frage stel­len.

Myriam Ben Salah
Myriam Ben Salah, Photo: Nicolas Cottong

Das kommt mir bekannt vor. Allerdings scheint Neïl Beloufa ein Künstler zu sein, der es geschafft hat, diese Tür zu öffnen. Würdest Du uns abschließend verraten, welche Aspekte in Deiner Monografie über Beloufa im Vordergrund stehen werden?

Das Buch wird auf jeden Fall einen visuellen Schwerpunkt haben und alle möglichen Arbeiten von Beloufa präsentieren, von Filmstills bis hin zu Bildern, die hinter den Kulissen aufgenommen wurden, Installationsansichten und Details von Skulpturen. Außerdem wird die Monografie Essays zu den verschiedenen Aspekten seiner Arbeitsweise enthalten, vor allem  sein formales, skulpturales Anliegen, der Umgang mit Politik und Identität, mit Bewegtbild usw. Ich will nicht zu viel verraten, bevor das Buch fertig ist, aber es wird einen umfassenden Überblick über die zehnjährige  seiner künstlerischen Tätigkeit Beloufas bieten, den ich persönlich für einen der bedeutendsten Künstler unserer Zeit halte.