Max Hollein sprach anlässlich der Preview zur Ausstellung "Uecker" im K20 in Düsseldorf. Das SCHIRN MAGAZIN präsentiert seine Rede über den humorvollen Künstler in der weißen Latzhose und sein facettenreiches Werk

Ich bin kein Zeitgenosse von Günther Uecker -- als er die Straße vor der Galerie Schmela weiß strich, als er den großen Nagel beim Kaufhof in Dortmund aufstellte, als er mit Gerhard Richter die Kunsthalle Baden-Baden bewohnte, war ich noch gar nicht geboren. Auch als Wegbegleiter kann ich mich nicht brüsten, und es gibt gerade hier in Deutschland sicherlich viele, die mit seinem Werk enger verbunden sind. 

Aber als Begeisterter aus einer anderen Generation bemühe ich mich -- bisweilen erfolgreich --, die eine oder andere Arbeit von Uecker auch nach Frankfurt zu holen. Diese eindrucksvolle, präzise strukturierte Ausstellung, ein besonderes Ereignis für die Kunstwelt, das einen staunen lässt: was für ein Werk, was für ein Künstler!

Ueckers Atelier ist ein mythischer Ort

An Günther Uecker beeindruckt mich natürlich zuallererst sein Werk und dabei geht es mir wohl so wie vielen anderen: Die Komplexität und der Facettenreichtum von Ueckers Œuvre ist frappierend. Dies erlebt man unmittelbar beim Besuch des Künstlers im Atelier, wenn die Fülle an Werken und die permanente Wandlung des dort Bewahrten dieses zu einem immerfort produzierenden, sich entwickelnden und füllenden Labor werden lässt. Es ist ein geradezu mythischer Ort der künstlerischen Kraft und der kreativen Arbeitswut.

Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen, Installationen, Bühnenbilder, Kostüme, Bücher, Fotografien und Filme von Günther Uecker zeigen eine Kunst als geistige Entwicklung und einen Künstler, der fortwährend ein offenes Feld und neue Handlungsspielräume sucht. Dabei sind es die Dynamisierung, die Beweglichkeit wie auch die beständig sich erneuernden kultischen und kulturellen Einflüsse, die eine hochemotionale, sensible auf den Menschen zudringende Bildkraft entstehen lassen.

Ein permanenter Dekonstruktionsprozess der Harmonie sorgt in seinen Werken für eine Intensität, die geschaffen, erarbeitet wurde. Sie evoziert Botschaften der emotionalen Empfindung, Aufforderungen zum Menschlichsein, zum Menschlicherwerden. Es sind Bilder der Verstörung, des Prekären als auch der Dringlichkeit.

Sein Werk ist eine Haltung

Günther Uecker in seiner weißen Latzhose, das ist ein emblematisches Bild und eine authentische Haltung dieses Künstlers. Ein solches Künstlerauftreten zeigt außerordentliche Bereitschaft, unendliche Arbeitsdisziplin, permanente Herausforderung. In Bezug auf die in seinem künstlerischen Prozess verwendeten Materialien hat Uecker dabei fortwährend abgerüstet. Während Künstler rund um ihn immer mehr zu aufwendigeren Mitteln und gigantischeren Produktionsprozessen gegriffen haben, ist Uecker bei den simplen Werkstoffen und Werkzeugen geblieben. Bei Uecker ist es das menschliche Maß, das, was er selber schafft und schaffen kann, sein eigener Körper, der das erste Bezugssystem repräsentiert.

Werkschau nennt man Ausstellungen wie die in Düsseldorf. Ueckers Werk ist insbesondere aber auch eine Haltung -- für die Kunst, für die Menschen, für den Dialog. Es geht bei Uecker wohl auch gerade darum, Position zu beziehen, Stellung einzunehmen -- die "Aschebilder" als Reaktion auf Tschernobyl, die Arbeit "Muttermord in der Diamantenwüste", der "Brief an Peking" sind dafür prominente Beispiele.Unermüdlich führt er den Dialog in Havanna, Teheran, Baku, Ulan-Bator und TaschkentIn seinem Lebenslauf steht „Günther Uecker lebt und arbeitet in Düsseldorf". Das stimmt einerseits und darauf kann diese Stadt stolz sein. Aber es entspricht andererseits auch nicht der Wirklichkeit, denn Uecker lebt, arbeitet, denkt und kommuniziert eigentlich ganz woanders. Er führt ein intensives künstlerisches Leben und Handeln weit abseits des Eurozentrismus und der westlichen Welt. Die globale Kunstwelt wird erst seit ein paar Jahren entdeckt und in unseren Museen nun dringlich aufgearbeitet -- dabei müssen wir feststellen: Uecker war schon längst da!

Reisen in den 1970er-Jahren durch Afrika, Aktionen in der Libyschen Wüste, Aufenthalte in der Westsahara, Ausstellungen noch während der Militärdiktatur in São Paolo, in Taipeh und in den 1980er-Jahren in Kambodscha wie auch 1988 als erster westlicher Künstler in Moskau zeugen davon. Günther Uecker hat in den bedeutendsten Museen der Welt ausgestellt ebenso wie an Orten und Institutionen, die viele von uns noch nie besucht haben, gar nicht kennen und vielleicht auch nie kennenlernen werden. Unermüdlich führt er den Dialog weiter in Havanna, in Teheran, zeigt in Baku, Ulan-Bator und Taschkent -- weil er die Leute dort ernst nimmt und spürt, dass es auch ihnen wichtig ist.

Der Künstler entscheidet nicht nach Erfolgskriterien

Für Uecker sind diese Ausstellungen und auch die physischen und intellektuellen Anstrengungen, die damit verbunden sind, wohl eine permanente Herausforderung, ein bewusstes Sich-der-Frage-Aussetzen, ob die eigene künstlerische Sprache und Sensibilität fähig, adäquat, sensibel genug ist, um auch in diesen neuen, vermeintlich anderen Kulturkreisen relevant zu sein, aufnehmen zu können und dabei authentisch reflektieren zu können.

Während in seiner Künstlergeneration durchaus strategisch darauf geachtet wurde, wie und wo man auszustellen hatte, welches Museum, welche Galeriesäle „erobert" werden mussten, damit man sich durchsetzte, um Erfolg -- gerade auch am Kunstmarkt -- zu haben, hat Uecker ein ganz anderes Entscheidungsraster auf die Frage, wo es notwendig und sinnvoll ist, auszustellen, gelegt.

Kunst als authentische Haltung und notwendige Handlung

Umso mehr ist für mich Günther Ueckers Werk, ebenso wie sein Verständnis für den großen Aktionsradius und die erweiterten Möglichkeiten der Kunst, als auch sein Einstehen für die Verantwortung des Künstlers als globaler Vermittler beispielhaft. Beeindruckend empfinde ich seine prinzipielle künstlerische, ja menschliche Haltung frei, offen, unabhängig und dialogbereit zu sein.

1974 übernahm Uecker in Düsseldorf einen Lehrstuhl für „freie Kunst", kein anderer Künstler hätte diese vermeintlich hohle Formulierung besser definieren können. Kunst als authentische Haltung und notwendige Handlung gilt es zu bewahren, auch und insbesondere wenn man als Professor auf dem Kamel in die rheinische Kunstakademie einreitet.

Diese Herzlichkeit, diese Neugierde

Viele Fotos zeigen Uecker lachend und auch wenn man ihm begegnet, strahlt einem ein Lachen entgegen. Ich denke, es gibt keinen Künstler, der so gerne und von Herzen lacht wie Günther Uecker.

Das ist auch ansteckend -- wenn man Günther Uecker trifft, freut man sich. Es ist diese Herzlichkeit, diese Neugierde und Ehrlichkeit auch dem anderen gegenüber -- sei dies nun eine Person, eine Fragestellung oder ein Kulturkreis, die erst eine kritische Distanz und Analytik ermöglicht, die es möglich macht, dazu eine intellektuelle Beziehung und Reflexion aufzubauen.

Diese Ausstellung, dieses Durchschreiten eines bisherigen Künstlerlebens zeigt, wir können uns keine menschlicheren, aufwühlenderen, facettenreicheren und authentischeren Gesprächspartner über die Grundkräfte um uns und von uns selbst wünschen als die Werke von Günther Uecker.