Diese beiden außergewöhnlichen Ausstellungen in Paris sollte man nicht verpassen, wenn man der Stadt an der Seine während der Weihnachtsfeiertage einen Besuch abstattet: Pierre Huyghe und Philippe Parreno.

Philippe Parreno im Palais de Tokyo

Der Besucher der Pierre Huyghe-Ausstellung im Pariser Centre Pompidou taucht in eine andere Welt ein: es blubbert und brummt aus allen Richtungen. Es ist die erste Retrospektive des 1962 geborenen Franzosen, in der neben seinen bereits bekannten Videoarbeiten neue Skulpturen, Installationen und Performances gezeigt werden.

Tatsächlich beschäftigt sich Huyghe seit einiger Zeit mit der Natur. Bestes Beispiel dafür ist sein Documenta13-Beitrag im letzten Jahr, bei der er in der Kasseler Karlsaue die Skulptur einer liegenden Frau mit einer Bienenwabe als Kopfersatz präsentierte, aus der munter die fleißigen Bienen schwirrten. Diese Arbeit befindet sich im Centre Pompidou aus Sicherheitsgründen in einem verglasten Raum, den man nur Betreten sollte, wenn man nicht gegen Bienenstiche allergisch ist. Gleich nebenan trifft man auf eine von der Decke hängende Kiste, die abwechselnd für Schneefall, Sprühregen und Nebel sorgt – ein meteorologisches Intermezzo.

Je nachdem zu welcher Tageszeit man die Ausstellung besucht, sind verschiedene Performances im Gange: Auf einer groß angelegten Eisfläche dreht eine Eiskunstläuferin zwei Stunden täglich ihre Pirouetten zu Eric Saties „Gymnopédies“, während „Human“, der weiße Windhund mit dem pinken Vorderbein, der ebenfalls schon in Kassel durch Huyghes Arbeit huschte, gemütlich seine Runden in den Ausstellungsräumen dreht. Andere Lebewesen können in den Aquarien beobachtet werden, etwa in der Arbeit „Zoo 4“, in der es sich ein Einsiedlerkrebs in der berühmten Brancusi Skulptur „Die schlafende Muse“ gemütlich gemacht hat.

Wie schon die gesamte Ausstellung dem Museumsraum eine neue Bedeutung zuteilt, so steht auch die Ausstellungsarchitektur, die Huyghe aus der vorhergegangen Ausstellung des kalifornischen Künstlers Mike Kelley samt Labels einfach übernommen hat, im Zeichen des Wachstums und der Entwicklung. In diesem autonomen Kosmos sind Raum und Zeit austauschbar und die menschliche Präsenz fast unbeachtet. Huyghes Arbeiten sind Momente und Situationen, denen der Besucher als Zeuge beiwohnen darf.

PHILIPPE PARRENO IM PALAIS DE TOKYO

Carte blanche für den französischen Künstler Philippe Parreno im Pariser Palais de Tokyo. Der 1964 in Algerien geborene Parreno ist somit der erste, der die Gesamtheit der Ausstellungsräume des Palais de Tokyo, ganze 22.000 Quadratmeter, in einer Einzelausstellung bespielt. Daher sollte man für einen Besuch ausreichend Zeit einplanen. Ähnlich wie bei Huyghes betritt man auch hier eine andere Welt – mit dem Unterschied, dass diese exakt orchestriert ist. Alle Sinne werden beansprucht: 56 Einheiten von Igor Stravinskys „Petroushka“ werden von vier Disklavieren wiedergeben, 56 Lichter flackern im Takt. Es ist dunkel und hell zugleich, man verliert das Gefühl für Raum und Zeit.

Der vom Künstler inszenierte Parcours führt uns an bereits bekannten Arbeiten vorbei, wie den 2006 in Kooperation mit Douglas Gordon entstandenen Film „Zidane, un portrait du XXIe siècle“ über den französischen Fußballer Zinédine Zidane. Siebzehn Bildschirme berichten gleichzeitig von Zidanes sportlichem Können, seinen Gesten und Gebärden und seinem ikonenhaften Status. Später, beim Hinabsteigen in die Tiefen des Palais, begegnet man einer weiteren Persönlichkeit – Marilyn Monroe. Wir sehen in der Videoarbeit „Marilyn“ (2012) das Hotelzimmer des Filmstars, in dem sie 1950 lebte, vermeintlich durch ihre Augen. Ihre computergenerierte Stimme folgt ihrem und somit unserem Blick durch das perfekte Zimmer, in ihrer Stimme schwingt die Hysterie. Das Telefon klingelt unbeantwortet durch den Raum und lässt uns die Einsamkeit des Stars am eigenen Leib spüren.

Die Videoprojektion „Annlee“ zeigt die gleichnamige computeranimierte Mangafigur, für die Pierre Huyghe und Philippe Parreno 1999 die exklusiven Ausstrahlungsrechte erwarben und sie mit anderen Künstlern teilen, wie in diesem Fall in einer von Tino Sehgal inszenierten Situation. Die Figur Annlee wird zum Leben erweckt, ihre Bewegung und Sprache wirkt so mechanisch wie die eines Roboters. Sie spricht mit dem Publikum, stellt Fragen und erzählt ihre Lebensgeschichte, berichtet von ihrer Existenz als dreidimensionale Computerfigur. Ihre Fragen berühren auf unangenehme Weise, lassen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen und ziehen den Besucher endgültig in das Universum Parrenos. Am Ende findet man nur Dank der Wegweiser wieder aus diesem Labyrinth aus Bildern, Lichtern, Sound und Emotionen und steht plötzlich wieder im winterlichen Paris.