Der Nassauische Kunstverein in Wiesbaden zeigt in einer zweigeteilten Ausstellung, wie Künstler sich auf sehr unterschiedliche Art und Weise die digitale, immaterielle Welt einverleiben.

Unsere Realität besteht zunehmend aus Fluten digitaler Daten und Bilder. Was man sieht und erlebt wird sofort online mit anderen geteilt, man ist Konsument und Produzent gleichzeitig. Bildschirme werden zur unmittelbaren Quelle des Weltgeschehens. Die Abbildung von Ereignissen und deren Verbreitung in den neuen Medien beeinflussen unsere Wahrnehmung. Dieses Phänomen wirkt sich selbstverständlich auch auf die zeitgenössische Kunst aus.

Der Titel einer Ausstellung im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden, die sich mit diesen Themen beschäftigt, lautet „Whatever man built could be taken apart: Image / Order“ und präsentiert eine Vielfalt an künstlerischen Positionen, die sich digital generierten Bildern und medial verbreiteten Ereignissen widmen und neue Technologien für die eigene künstlerische Produktion instrumentalisieren. Im Mittelpunkt stehen Künstler, die als "Digital Natives" bezeichnet werden, also Leute, die in der Regel spätestens in den 80ern geboren wurden und mit jenen Technologien groß geworden sind, die unseren Alltag heute prägen. Der Umgang mit dieser Technologie ist für sie quasi natürlich. Den Ausgangspunkt ihres künstlerischen Arbeitens bildet in den neuen, meist sozialen Medien verbreitetes Material, aber auch jene Hochtechnologie, die ursprünglich mit der Produktion von Kunst überhaupt nicht in Verbindung gebracht wurde. Auf diese menschlichen Errungenschaften spielt auch der Ausstellungstitel an, der sich einen Vers aus dem Technologie-kritischen Song „New World“ des US-amerikanischen Rappers NAS leiht.

Für die Videoinstallation „Charade“ (2014) greift das deutsche Künstlerduo James Gregory Atkinson und Helen Demisch auf ein mediales Ereignis zurück, das schnell popkulturellen Status erlangte. Auf der Trauerfeier Nelson Mandelas († 2013) hat ein Gebärdensprachen-Dolmetscher zwar live vor den Kameras gestikuliert, dabei aber die Rede nicht im Geringsten übersetzt. Der skandalöse Vorfall wurde erst im Nachhinein enthüllt, als Videos davon bereits überall in den digitalen und klassischen Medien zu sehen waren. Die Künstler reinszenieren den Skandal in einer Videoarbeit, die den Torso eines Menschen vor einem sogenannten "Green Screen" zeigt. Der Akteur im Video verfälscht, wie bei Mandelas Trauerfeier, ebenfalls eine offensichtlich fiktive Gebärdensprache und trägt dabei eine Bomberjacke, einen aus der Hip-Hop-Mode bekannten schwarzen Pullover, versehen mit der Aufschrift „Thug Life“. Seine stilisierten Handbewegungen wechseln zwischen einer vermeintlichen Gebärdensprache und einer urbanen Gestik, die, genau wie die Jacke, die Hip-Hop-Kultur referenziert. Das Geschehen lässt sich weder in den einen noch den anderen Kontext klar einordnen, und genau in dieser Ambivalenz liegt das Bemerkenswerte der Arbeit.

Der US-amerikanische Künstler Daniel Keller parodiert in seiner Installation „Soft Staycation (Gaze Track Edit)“ (2013) die Mechanismen hinter wirtschaftlichen Vermarktungsstrategien. Er zeigt einer Gruppe von Freiberuflern eine Auswahl von Tourismusanzeigen und zeichnet mit einer Tobii-eye tracking-Kamera ihre Augenbewegungen auf. Diese Technik wurde ursprünglich für Forschungszwecke von Werbeagenturen entwickelt, um ein potentielles Konsumverhalten der Kunden vorauszusehen. Der Künstler eignet sich die technologische Entwicklung an und projiziert das mit der Kamera gemessene Bildmaterial auf einen LED-Vorhang. Zu sehen sind also nicht die Werbematerialien alleine, sondern vor allem die Überlagerung der getrackten Begierden und der sehnenden Blicke der Partizipierenden. Keller stellt den Konsumvorgang von Bildern selbst aus.

Bilder, Ereignisse und Phänomene, die nur anhand neuer Technologien produziert und erfahren werden, bilden den Ausgangspunkt vieler der Kunstwerke in dieser zweiteiligen Ausstellung. Hier werden die Praktiken junger Künstlern sichtbar, die sich auf sehr unterschiedliche Art und Weise die digitale, immaterielle Welt einverleiben und sie im Ausstellungsraum Form annehmen lassen. Gemeinsam ist ihnen ein natürlicher Umgang mit einer digitalisierten und mediatisierten Wirklichkeit. Eingriff und Aneignung sind ihre künstlerische Praxis. Neue Medien und Technologien sind in unserer Gegenwart nicht mehr wegzudenken, doch genau in ihrer Alternativlosigkeit liegt auch ihre Gefahr. Weshalb der Rapper NAS schon 1999 warnte: „Computers ain't that smart / Whatever man built could be taken apart / Anything new can get old“. 

Auf den ersten Blickt handelt sich hierbei nicht um ein digitales Phänomen. Doch Biebers weltweite Popularität basiert zu einem großen Teil auf seiner medial produzierten Allgegenwart: man sieht ihn auf Postern, liest über ihn, sieht seine Musikvideos online, verfolgt ihn auf Twitter. Tatsache ist: unser Bild von Bieber wird von Medien bestimmt. Er ist ein mediales, kulturindustrielles Pop-Produkt, das einzig durch eine Omnipräsenz in den Medien existiert. Ang thematisiert diese Aspekte durch die Bearbeitung und Wiederholung der Unterschrift. Wichtig scheint weder die Originalität seiner Person noch seiner Musik, sondern nur die Verwandlung eines Idols in ein konsumierbares Spektakel.

Der von Jan Tappe kuratierte Teil der Ausstellung „Order“ legt insgesamt einen Schwerpunkt auf das politische Potenzial der digitalen Welt und deckt gleichzeitig die Problematiken hinter den neuen Technologien auf. In „Turbo Sculpture“ (2010-13) stellt die russische Künstlerin Aleksandra Domanović die Entstehungsgeschichte von Monumenten westlicher Popikonen in ehemaligen jugoslawischen Staaten dar. Die Monumente sind keinen historischen Figuren gewidmet, sondern Prominenten wie Johnny Depp, Bob Marley und Bruce Lee. Domanović reiht in ihrem Videoessay Bilder dieser Monumente aneinander, die augenscheinlich aus dem Internet stammen und teilweise sogar Touristen vor den Skulpturen zeigen. Eine Stimme erzählt didaktisch und mit ironischem Unterton, wie, wann und wo die Monumente entstanden sind. Das Zusammenspiel der Stimme und der Bilder erinnert an eine mit einfachen Mitteln produzierte Dokumentation. Die Überlagerung der Bilder ähnelt dem Durchblättern eines umfangreichen Geschichtsbuches. Statt einer Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte findet allerdings auf diesem Weg eine Historisierung banaler Persönlichkeiten statt, die geschichtlich wenig mit dem ehemaligen Jugoslawien zu tun haben. Domanović problematisiert die Existenz der Pop-Statuen und entwickelt eine alternative, visuelle Geschichtsschreibung.