Am Wochenende zeigte die Stroke Art Fair in Berlin, dass sich Kunst von der Straße längst zum markttauglichen Genre ausgewachsen hat.

Darf Street Art oder Urban Art ausgestellt werden? Oder gehört sie auf die Straße? Darf sie verkauft und damit kommerzialisiert werden? Viele Künstler haben diese viel diskutierten Fragen längst für sich beantwortet. Sie wollen ihre Leidenschaft zum Beruf machen und dazu gehört, damit auch Geld zu verdienen. Dass also immer mehr von ihnen auch Leinwände besprühen und bei Galerien anklopfen, ist eine logische Konsequenz. 2009 versammelte die Stroke Art Fair in München erstmals auf Urban Art spezialisierte Galerien. Heute findet sie jedes Jahr in München und Berlin statt und zieht ein wachsendes Klientel an. Am Wochenende lud die Messe in die Hauptstadt.

Auf dem ehemaligen Fabrik-Gelände der „Alten Münze“ in Berlin-Mitte präsentierten Galerien aus Berlin, München, Amsterdam, Paris, Mailand und anderen Städten sowie Kollektive und einzelne Künstler neue Arbeiten. Sie zeigten, dass die Evolution der Urban Art eine ganze Bandbreite von unterschiedlichen Positionen hervorgebracht hat. Viele Künstler sind nach wie vor auf der Straße aktiv, das Publikum konnte einigen von ihnen beim Malen, Sprayen oder Tapen über die Schulter schauen, etwa dem Kollektiv One Truth aus der Schweiz und den Künstlern WD (Wild Drawing) aus Griechenland und Vesod aus Italien. Die Messe sei eben keine reine Verkaufsveranstaltung, sagt Pressesprecherin Laura Jax. Es ginge auch darum, Spaß zu haben und mit den Künstlern mal ein Bier zu trinken. Einige Besucher kämen gar nicht, um zu kaufen, sondern wegen des Erlebnisses. Damit wolle man auch Hemmschwellen abbauen und ein Publikum ansprechen, das sonst vielleicht nicht in Galerien verkehre.

Neben der Leinwand haben viele Künstler Formate wie Skulptur, Installation oder Assemblage für sich entdeckt. Schablonen und Filzstifte kommen noch immer rege zum Einsatz, Characters und Style-Writing spielen motivisch nach wie vor eine wichtige Rolle. Doch die Sujets sind heute so divers wie die Stile. Und die neue Urban Art-Generation verortet sich selbstbewusst in der Kunst, selbst Öl auf Leinwand ist kein Tabu. Auch die Nähe zum Design ist charakteristisch. Illustrationen werden häufig am Computer erstellt und auf hochwertigen Prints präsentiert. Viele der Künstler sind gelernte Grafikdesigner und Marco Schwalbe ist nicht etwa künstlerischer Leiter der Messe, sondern „Creative Director“. Kleinster gemeinsamer Nenner der Werke bleibt, dass sie sich in den diversen Spielarten der Urban Art inspirieren.

Kommerzielle Karriere statt rebellisches Sprayertum

Die Stroke Art Fair will jungen Galerien und ambitionierten Künstlern den Sprung auf den Markt ermöglichen, auch durch günstige Teilnahmegebühren von ein paar Hundert Euro. Bei konventionellen Messen gehen die Gebühren schon mal in die Tausende. In Berlin konnten sich erstmals auch Künstler ohne Galerie präsentieren, schon ab 150 Euro. Alternative Präsentationsformen würden immer wichtiger, sagt Marco Schwalbe, das einstige Monopol der Galerien gerate mehr und mehr ins Wanken.

Nur ein bisschen haftet die Aura des Subversiven der Subkultur-Bewegung noch an. Schon in den Achtzigern begannen Künstler wie Jean-Michel Basquiat oder Keith Haring den Mythos vom rebellischen Sprayer zu dekonstruieren. Beide waren in der New Yorker Graffiti-Szene unterwegs, beide strebten auch eine kommerzielle Karriere an, und beide waren erfolgreich. Trotzdem: Sich gegen den Kunstmarkt zu positionieren, gehört für viele Urban Art-Künstler noch immer zum guten Ton. Der Ex-Sprayer Peintre X, von dem eine Auswahl an Porträts bei der Stroke Art Fair zu sehen war, unterläuft den Markt, indem er gerahmte Aquarelle verschenkt. Er hängt sie an Fassaden und Mauern auf, daneben bringt er QR-Codes an, die über das Konzept informieren: Passanten können das Werk mitnehmen und dafür einen Geldbetrag an eine Organisation ihrer Wahl spenden, oder auch nicht.

Ein Werk von Banksy war bei der Stroke Art Fair dieses Mal nicht zu sehen. Und das war gut, denn so warf der Hype um den britischen Künstler keinen Schatten auf die anderen Teilnehmer. Banksy gilt seit Jahren als Galionsfigur der Urban Art. Mit seinen in Städten auf der ganzen Welt auftauchenden Motiven protestiert er gegen gesellschaftliche Missstände. Den Kunstmarkt haben seine Werke längst erobert. Taucht „ein Banksy“ auf einer Wand auf, wird nicht etwa drüber gepinselt, sondern, wenn möglich, das Stück entfernt und versteigert. Doch auch Banksy hat längst erkannt, dass es sich lohnt, Werke auf Leinwand zu sprühen. Seine Persiflage auf Damien Hirsts Punkte-Gemälde, „Keep it Spotless“, brachte bei Sotheby’s in New York über 1,8 Millionen Dollar ein.