Mit ihren Installationen, Filmen und Textilarbeiten schafft sich Ulla von Brandburg eine eigene Welt. Die Ausstellung "Drinnen ist nicht Draußen" im Kunstverein Hannover lässt Besucher kopfüber in diese eintauchen, am 25. Juni ist ihr Film "Die Strasse" beim Double Feature in der SCHIRN zu sehen.

Da drinnen ist es tatsächlich nicht wie draußen. Mit ihrer eigenwilligen Ästhetik bespielt Ulla von Brandenburg mehrere Räume im Kunstverein Hannover, sie hat sie buchstäblich über die Wände und Decken gezogen. Alles ist aus einem Guss, unverkennbar "von Brandenburg". An amerikanische Quilts erinnernde Wandteppiche aus bunten, geometrisch zugeschnittenen und von Nähten überzogenen Stoffflächen begrüßen die Besucher im ersten Raum. Sind darin obskure Bedeutungen verborgen? Geheime Codes sollen einst in solchen Zierdecken eingenäht worden sein, etwa Routen, die afroamerikanischen Sklaven den Weg in den Norden der USA und damit in die Freiheit zeigten. 

Einen politischen Verweis in von Brandenburgs Werk auszumachen, wäre wahrscheinlich zu weit gegriffen. Dass man danach sucht, ist sicher gewollt. Die 1974 geborene Künstlerin genießt das Spiel damit. In einem Film, der mit einem kleinen Projektor hinter den Textilarbeiten an eine Wand geworfen wird, tauchen ein Schachbrettmuster, eine Kristallkugel und ein Seil auf, das sich langsam wie eine beflötete Kobra erhebt. Schon denkt man an Mystik und Schlangenbeschwörer, sucht nach einer bedeutsamen Klammer, die all das zusammenhält.

Von Brandenburg konstruiert gerne werkimmanente Querverweise. Neuralgische Punkte dieses Systems sind Metaphern, wie Spiegel oder Schatten. Im zweiten Raum der Ausstellung hängen Objekte an Seilen, ein zusammengeklappter Holzstuhl baumelt da neben einem Kegel aus Papier und einem folkloristischen Kinderkostüm. Ein paar dieser Objekte tauchen später als Skulpturen oder Filmrequisiten wieder auf. An der Wand gegenüber hat die Künstlerin textile Schattenrisse oder Spiegelbilder der Objekte angebracht. Sicher, man kann hier an Platons Höhlengleichnis denken, an eine von der sinnlich erfahrbaren Welt gelöste Erkenntnismöglichkeit. Den Geist regt von Brandenburgs rätselhafte Folklore allemal an.

Das Unzugängliche im Werk der Künstlerin ist Programm

Scherenschnittartige Figuren sind typisch für von Brandenburg, im dritten Raum bevölkern sie eine Leinwand. Sie ist in einem Zelt untergebracht, das aus ebensolchen Stoffdecken gefertigt wurde, wie der Besucher sie schon im ersten Raum gesehen hat. Sie dienen gleichzeitig als Vorhang. Die Schatten dreier Darsteller geben eine Performance zum Besten, die mehr an Theater oder Oper als an Film erinnert, auch wenn es sich um eine Projektion handelt. 

Es wirkt gerade so, also stünden die zwei Männer und die Frau tatsächlich hinter der Leinwand. Sie singen Dialoge mit hohen, säuselnden Stimmen, spielen Szenen und reinszenieren sie mit Puppen, die sie auf Stöcken in die Höhe halten. Grundlage des aufgeführten Stückes ist ein Gedicht, das von Brandenburg selbst geschrieben hat, es liegt auf den Bänken aus, damit die Besucher mitlesen können. "Verstehn und nicht verstanden sein, das ist hier gefragt,“ lautet der erste Vers. Das Unzugängliche im Werk der Künstlerin ist Programm.

Weitere säuselnde Stimmen schallen dem Besucher entgegen, wenn er sich durch weitere Räume tastet, die nun raumgreifend mit den bunten Stoffen ausgestattet sind. Die Stimmen gehören zu weiteren Filmen. Auch hier singen die Darsteller von der Künstlerin verfasste Gedichte, nur treten sie jetzt leibhaftig vor die Kamera, zum Beispiel in von Brandenburgs neuestem Film "Die Straße" aus dem Jahr 2013. In einer einzigen Einstellung beobachtet die Kamera eine Gruppe Menschen, die vor stilisierter Kulisse seltsamen Ritualen nachgeht. "Drinnen ist nicht draußen, und heute ist nicht hier. Suppe gibt’s zum Mittag, am Abend gibt es Bier," lautet eine Textpassage. Die Künstlerin führt kreativ die Dichotomien vor, die unser Denken bestimmen. 

Dann taucht die Spiegelmetapher noch einmal auf, in Form zwei gegenüberliegender Leinwände. Für "Spiegellied I & II" aus dem Jahr 2012 hat die Künstlerin einen Film doppelt produziert und symmetrisch gegenübergestellt. Drei Personen spielen Karten in einem barocken Interieur und singen dabei – säuselnd – von Brandenburgs mysteriöse Verse. Erst bei genauem Hinsehen erkennt man, dass die Bewegungen leicht voneinander abweichen, das Ganze also zweimal gespielt wurde. Nur der erste Blick trügt, der zweite nicht mehr. Sein und Schein liegen sich jauchzend in den Armen.