Zwischen den Koordinaten Kunst, Technologie und Politik entwickeln sich neue Positionen der Medienkunst. Die 25. Transmediale lieferte ein umfassendes Update der Szene. Eine Review.

In technologisierten, digitalisierten und vernetzten Lebenswelten tun sich unzählige Zwischenräume auf. Sie sind unüberschaubar, oft kaum wahrnehmbar, meist unkontrollierbar, doch sie bieten auch Potenzial zur Neustrukturierung von Systemen, deren Ablaufdatum längst überschritten ist. Unter dem Titel „in/compatible“ beschäftigte sich die 25. Transmediale im Haus der Kulturen der Welt und an weiteren Spielorten in Berlin mit der Produktivität querläufiger Taktiken und präsentierte auch einige Künstler, die schon in der SCHIRN zu Gast waren.

Die Schnittstelle von Mensch und Computer

Video Screenings, Podiumsdiskussionen, Vorträge, Performances und eine Ausstellung rollten Inkompatibilitäten von Systemen aus Sicht von Kunst und Medientheorie kritisch auf. Dabei kristallisierte sich die störungsanfällige Schnittstelle von Mensch und Computer als zentrales Thema heraus. Bei der Eröffnungsveranstaltung gab der amerikanische Medien-künstler Jon Satrom mit einer Performance Einblick in die aktuelle Ästhetik digitaler Kunst. Er mischte am Computer selbst gestaltete Fehlermeldungen, Sounds, Pop-up-Fenster und Glitches, also zum Beispiel durch Öffnen in falschen Formaten beschädigte Daten, brach Interfaces auf, vervielfältige das sich beim Öffnen einer Datei drehende Rädchen unzählige Male und inszenierte dabei neu entstehende Formen – ein mit Gewohnheiten der Wahrnehmung kokettierendes Spektakel und mehr als ein Spiel. „Mir geht es darum, den kritischen Umgang mit Software anzuregen. Wir sollten anfangen, Fragen zu stellen. Warum brauche ich dieses und jenes Feature meines Betriebssystems? Was kann ich eigentlich noch mit diesem Programm tun? Experimentiert!“ forderte Satrom bei einem von der jungen holländischen Glitch-Künstlerin Rosa Menkman moderierten Panel. Der neuen Generation der Digital Artists geht es um die Emanzipation des Users, die Aneignung ästhetischer Strukturen und den kritischen Umgang der damit verknüpften Ideologien.

Zwischen digitaler Realität und Wirklichkeit

Diese Positionen entsprechen dem emanzipatorischen Zeitgeist, der sich weltweit in Demonstrationen, dem Internet als Ort der Formierung und Bewegungen wie der Anonymus-Gruppe entlädt, die gerade im Zusammenhang mit der Occupy Wall Street-Bewegung wieder in Erscheinung trat. Markenzeichen der vor allem im Internet aktiven Protest-„Gruppe“ ist die Guy Fawkes-Maske aus der Graphic Novel „V wie Vendetta“. Im Rahmenprogramm der Transmediale präsentierte Aram Bartholl seine Schau „Reply All“, in deren Mittelpunkt diese Maske steht. Der Künstler hat ein Verfahren zur einfachen Herstellung der Maske entwickelt und regt nun zum Nachmachen an. Indem er aber transparenten Kunststoff benutzt, führt er die Maske ad absurdum und kritisiert die Anonymisierungsstrategien der aktuellen Netzkultur.

In seinen Arbeiten reflektiert Aram Bartholl das Verhältnis von digitaler Realität und Wirklichkeit. Als ein Google-Streetview-Wagen an seinem Berliner Lieblingscafé vorbeifuhr, ließ er kurzerhand den Löffel fallen, rannte auf die Straße und lief dem Auto winkend hinterher. Mit dieser Spontan-Performance verewigte er sich im Internet, das Google-Material stellt er unter dem Titel „15 Seconds of Fame“ aus. Mit seinem Dead Drop-Projekt fordert er seit 2010 zum netzlosen anonymen Datenaustausch auf: Er installierte USB-Sticks an beliebigen Mauern weltweit, Passanten können daran einen Laptop anschließen und Daten speichern oder runterladen – ein „Dead Drop“ ziert seit vergangenem Jahr auch eine Außenmauer der Schirn.

Vom Unbehagen der Netzkultur

Herzstück der Transmediale war die Ausstellung „Dark Drives – Uneasy Energies in Techno-logical Times“. Sie basierte auf der These, „dass unruhige Energien zu unserer technologisierten Zeit gehören“, so Kurator Jacob Lillemose. Das Berliner Büro raumlabor tauchte den Ausstellungsraum in Dunkelheit und präsentierte die Arbeiten vor schwarzen Wänden, nur spärlich von Scheinwerfern angestrahlt. Assoziationen mit einer Blackbox oder einer begehbaren Pandora-Büchse versetzten das Publikum in eine unbehagliche Stimmung. Raumlabor hatte 2010 schon für die Schau „Zelluloid – Film ohne Kamera“ in der Schirn eine spektakuläre Ausstellungsarchitektur konzipiert. „Dark Drives“ zeigte einen spannenden Querschnitt durch 50 Jahre kritischer und ästhetisch subversiver Medienkunst. Unter den frühen Arbeiten war der Kurzfilm „Cut-Ups“ zu sehen, den Beat-Autor William S. Burroughs1966 gemeinsam mit Antony Balch produzierte. Sie zerlegten Szenen aus dem Umfeld der Beat-Kultur, montierten sie inspiriert von der Cut-Up-Technik des Malers und Schriftstellers Brion Gysin und befreiten ihr Werk so von Linearität und Narrative, eine Herausforderung für das Publikum der 1960er-Jahre.

Dystopische Ästhetiken

Jüngere Arbeiten belegten den Einfluss des Netzaktivismus auf Künstler, besonderes deutlich wurde er bei Jaromils „Forkbomb shell“ aus dem Jahr 2002, einem als Wandbild aufbereiteten Code aus der Hackersprache, der in einen Rechner eingetippt für den Stillstand des Systems sorgt. Jeder User kann den Virus ganz einfach verbreiten, selbst ohne Vorkenntnisse. Einige Positionen warfen den Blick in die Zukunft. Das Netzkunstduo Jodi sieht dort vor allem LED-Anzeigen. Als kostengünstige und aufmerksamkeitsstarke Technologie könnten solche Bildoberflächen bald Poster und andere analoge Bildmedien im öffentlichen Raum ablösen und um uns herum gestochen scharfe, hell leuchtende künstliche Bildwelten zur Norm machen. Die aus mehreren flackernden LED-Anzeigen bestehende Installation „LED PH16/1R1G1B“ aus dem Jahr 2011 schmerzte regelrecht in der Retina und entwarf eine dystopische Ästhetik der visuellen Kommunikation der Zukunft.

Im Galopp durch über zwei Jahrzehnte Videokunst

Vor 25 Jahren etablierte das erste „VideoFilmFest“ – so hieß das Festival anfangs – eine wichtige Plattform für Medienkunst. Experimentalfilm spielt nach wie vor eine wichtige Rolle im Programm. In diversen Screenings konnten die Zuschauer einen Galopp durch über zwei Jahrzehnte Videokunst unternehmen. Zu sehen war auch eine Arbeit von Haris Epaminonda. Die viel beachtete junge Künstlerin präsentierte im vergangenen Jahr in der Schirn die Siebenkanal-Videoarbeit „Chronicles“, in der sie mit der Gleichzeitigkeit verschiedener Orte, Epochen und Ästhetiken im Medienzeitalter spielt. Mit dem 4-Minüter „Tarahi II“ zeigte sie bei der Transmediale eine vielschichtige Arbeit aus dem Jahr 2006. Unterwegs in Ägypten filmte Epaminonda Serienszenen ab, die über den Fernseher eines Hotelzimmers flimmerten, und schnitt daraus Bilder einer divenhaften, mitreißend pathetisch ins Leere starrenden Schauspielerin zusammen. Zwei Zwillingsjungen unterbrechen den von Pianoklängen begleiteten theatralischen Bilderfluss: Sie schauen sich an, als ob sie sich fragen würden, was wohl in der Frau vorgeht, und spiegeln so den Zuschauer. „Tarahi II“ mutet wie eine Hommage an die frühe Filmgeschichte an, in der anstelle der Abgestumpftheit angesichts eines gigantischen Bilderaufkommens noch große Gefühle vorherrschten.

Mehr als ein Jahrhundert Medienzeitalter hat einen riesigen Berg an „Datenmüll“ hinterlassen – Bilder aus Serien, Filmen und Videoarbeiten, You Tube-Spots, Fotografien, Webseiten, Videospiele, Sounds, Stimmen, selbst unzählige im Netz herumgeisternde Glitches. Die Bandbreite ist enorm und bietet jungen Künstlern wie Haris Epaminonda einen riesigen Pool, aus dem sie schöpfen und neue Positionen entwickeln können. Das dürfte für weitere 25 Jahre Transmediale reichen.