Im Senckenberg-Museum startet eine Ausstellung zum Thema Spinnen. Mit dabei ist der argentinische Künstler Tomás Saraceno, der faszinierende Installationen aus Spinnweben zeigt.

Der Raum ist dunkel. In einer von einem Scheinwerfer beleuchteten Vitrine erblickt man ein filigranes Werk aus Fäden. Sie wirken so, als würden sie schweben, diese Fäden. Mal sind sie eng verwoben, mal ist das Muster weiter gefasst. Sie formen Wattebäusche, sie bilden Wolken. Steht man direkt davor, erinnert das, was man sieht, an Schwarzweißfotografien von Schneetreiben. Es sind Skulpturen, bei denen man in jedem Moment denkt, sie könnten gleich zerfallen.

Doch tatsächlich sind sie sehr robust, auf jeden Fall haben sie den Transport aus dem Künstleratelier in Berlin bis ins Frankfurter Senckenberg-Museum unbeschadet überstanden. Erschaffen haben diese Skulpturen Spinnen, die Nephila senegalensis, Nephila kenianensis oder Cyrtophora citricola heißen. Eines der Tiere hat begonnen, sein Netz zu spinnen, dann wurde das Gerüst in Würfelform gedreht und ein anderes Tier durfte seinerseits Seide ausspinnen. Die zerbrechlich wirkenden Gebilde sind Kunstwerke von Tomás Saraceno.

Saraceno im Kleinformat

Der Argentinier, Jahrgang 1973, der nach an einem Studium der Kunst und Architektur in Buenos Aires an der Frankfurter Städelschule bei Thomas Bayerle studierte und heute in Berlin lebt, ist bekannt für seine raumgreifenden Installationen aus Netzen und durchsichtigen Kapseln, er bespielt damit riesige Ausstellungsräume. Im Senckenberg-Museum gibt es Saraceno nun im Kleinformat. Eine starke Wirkung haben seine Skulpturen trotzdem. Der filigrane Saraceno ist mindestens genauso spannend wie der monumentale Saraceno.

Tomás Saraceno, Installation view at the Louvre Museum, Paris, 2015, © Photography by Andrea Rossetti, 2015

Auf der rechten Seite des Raums tanzen zwei Spinnfäden in der Luft. Eine Kamera filmt die Bewegungen, gibt die Aufnahmen an einen Computer weiter. Ein von Saraceno erschaffenes Programm macht aus diesen Video-Bildern Töne. Elektronische Klänge erklingen, unregelmäßig, trotzdem rhythmisch. Der Sound, der entsteht, hat wiederum Einfluss auf ein weiteres Gebilde aus Spinnennetzen, das in etwa drei Meter Entfernung steht. Darin sitzt eine echte lebende Nephilia-Spinne und reagiert auf die entstandenen Schwingungen. Und sie baut weiter an der Installation, spinnt neue Fäden. Am Ende der Ausstellung wird also ein ganz anderes Werk stehen als heute. „Äolisches Instrument für ein schwebendes Duett“ nennt Saraceno seine Installation.

Auch die schwarze Witwe ist zu sehen

Seine Arbeiten sind Teil des Ausstellungsprojekts „Spinnen“. Seit einiger Zeit schon betreibt man am Senckenberg-Museum den Dialog zwischen Wissenschaftlern und Künstlern, „Kultur trifft Natur“ nennt sich das dazugehörige Programm. In der Schau kann man neben Saracenos Werken dann auch Makrofotografien von Spinnen entdecken, angefertigt hat sie der Fotograf Nicky Bay aus Singapur. Und man sieht – in Vitrinen – auch die echten Tiere dazu, etwa 40 Stück an der Zahl, darunter auch die giftige schwarze Witwe. 

Tomás Saraceno, Foto: Shota Matsumoto, 2012

Tomás Saraceno beschäftigt sich bereits seit seiner Studienzeit mit Spinnen. In seinem Berliner Atelier hat er eine Sammlung von Webspinnen aus allen Ecken der Welt. Dass es nicht die Tiere an sich sind, sondern ihre Netze, die ihn faszinieren, hat er einmal in einem Interview gesagt. Saraceno ist Künstler, Wissenschaftler und Öko-Aktivist in einem. Er setzt sich mit Naturphänomenen, mit physikalischen Gesetzen, mit visionärer Architektur auseinander, aus dieser Beschäftigung entwickelt er seine Werke. Frei Otto, der Architekt des Münchner Olympiastadions, ist eines seiner großen Vorbilder. Auch der Einfluss der britischen Avantgarde-Architekten von Archigram ist nicht zu übersehen.

Saraceno träumt von einer besseren Welt

Die raumfüllenden und über Netze verbundenen Kapseln, mit denen Saraceno bekanntgeworden ist, begreift er im Sinn solcher Künstler dann auch als Wirklichkeit gewordene Utopien. Es sind Vorschläge, wie wir in Zukunft in einer vom Klimawandel geprägten Welt leben könnten. Saraceno ist ein Tüftler, der eine bessere Welt erschaffen will – und dabei die Ästhetik nie vergisst.

Installation Tomás Saraceno im Senckenberg, Naturmuseum, Foto: Senckenberg, Sven Tränkner

Eine visionäre Utopie steckt auch hinter seinem „Aerocene Projekt“, das er bereits in Paris und zum Berliner „Gallery Weekend“ präsentiert hat – und das nun weiter um die Welt ziehen soll. Dafür hat Saraceno mit Luft gefüllte Skulpturen geschaffen, die sich im Raum bewegen, die auf eine Reise gehen sollen. Die fliegenden Objekte sind kleine Öko-Wunder. Dafür, dass sie in der Luft bleiben, sind allein die Sonnenwärme und die Infrarotstrahlung der Erdoberfläche zuständig. Saracenos „Aerocene“-Skulpturen kommen ohne Batterien, fossile Brennstoffe, Sonnenenergie oder ähnliches aus. 

Und auch sie haben mit der Spinnenwelt zu tun. Sie imitieren den sogenannten Fadenflug, bei dem sich ganze Spinnenkolonien fliegend durch die Luft bewegen und dabei riesige Entfernungen zurücklegen können. Dahinter verbirgt sich ein großer Wunsch: die Hoffnung, solch eine Fortbewegungsmethode auch für uns Menschen entwickeln zu können, um im besten Fall auf klima- und umweltschädliche Flugreisen ganz verzichten zu können. Von den Spinnen lernen, das ist Tomás Saracenos Motto.

Tomás Saraceno, Cosmic Jive: the Spider Sessions, exhibition view at Museo di Villa Croce, Genoa - Italy, 2014, © Photography Nuvola Ravera, 2014