In den Opelvillen Rüsselsheim hört man jetzt Stimmen: Tamara Grcic hat eine Klanginstallation entwickelt, mit der das gesamte Haus bespielt wird.

Eine Villa, 13 Räume, 20 Sprachen, viele Stimmen: Das ist der Stoff, aus dem Tamara Grcics neue Arbeit gemacht ist. „Have you been here before?“, heißt die Ausstellung, die die Frankfurter Künstlerin eigens für die Opelvillen Rüsselsheim entwickelt hat. Eine Soundinstallation, an deren Anfang Grcics Interesse an der Vielsprachigkeit in Rüsselsheim stand.

Wie in vielen deutschen Städten, setzt sich die Bevölkerung der Kleinstadt aus Menschen unterschiedlicher Nationalitäten zusammen. In Rüsselsheim sind es einhundert Länder. „Es geht in der Arbeit nicht darum, die Vielzahl von Sprachen in einer Stadt zu dokumentieren, sondern darum, Vielsprachigkeit als Anlass zu nehmen, um über Sprache und den Klang verschiedener Sprachen nachzudenken“, sagt Tamara Grcic.

Sehnsucht in der Muttersprache

Dazu hat sie Menschen aus Rüsselsheim, Frankfurt und von anderswo aufgefordert, ihre Lieblingsräume und Sehnsuchtshäuser zu beschreiben ­– in ihren Muttersprachen. „Die Beschreibungen bleiben in den jeweiligen Sprachen verborgen. Wenn man  sie nicht versteht, kann man sich auf den Klang konzentrieren, es wird abstrakt“, erklärt Grcic. Das Thema „Haus“ lag für sie nahe, denn „die Opelvilla besitzt diesen Wohnhauscharakter“.

Tamara Grcic, Foto: Bernd Kammerer

Aus den Tonaufnahmen hat sie 13 verschiedene Sound-Loops geschnitten. Für jeden Raum der Villa einen. In manchen Stücken gibt es ein Hin-und-Her der Stimmen, in anderen überlagern sie sich, Lieder werden auch gesungen. Einige Räume sind stiller, andere dichter. Die Besucher wandeln durch unterschiedliche Dynamiken und Rhythmen.

Ein politisches Thema?

Es stellt sich die Frage, ob eine Arbeit über Vielsprachigkeit in Zeiten von Flüchtlingsströmen, Rechtpopulismus und Neofaschismus auch ein politisches Statement ist. „Ich möchte  keine konkreten Botschaften transportieren. Aber natürlich kann man darin auch ein politisches Thema sehen“, sagt Tamara Grcic, „unterschiedliche Sprachen gehören zu unserem Alltag. Eine Realität, die auch politisch ist, denn die Leute sind häufig aus politischen Gründen hier.“

Tamara Grcic, Köpfe, 2016, Courtesy Galerie Barbara Gross

Statt feststehende Statements zu formulieren, interessiert es Grcic eher, „Dinge in Bewegung zu bringen und dem Betrachter Raum für eigene Gedanken und Assoziationen zu geben.“ Häufig arbeitet sie mit Alltagsmaterialien und setzt sie in neue Zusammenhänge. „Dabei fange ich immer wieder ganz neu an“, erzählt sie. Deshalb lässt sie sich nicht auf ein Medium festlegen: Sie schafft Filme, Fotografien, Sound-Arbeiten und Installationen.

Jetzt wird es konkreter

Sie hat in Wien Kunstgeschichte studiert, Kulturanthropologie an der Goethe-Uni in Frankfurt und bei Peter Kubelka an der Städelschule. Heute ist sie selbst Professorin für Bildhauerei an der Kunsthochschule Mainz. Bekannt wurde sie in den 90er-Jahren mit einer Installation aus 700 Honigmelonen, die sie 12 Stunden lang im Portikus ausstellte, bevor sie sie zurück in den Kreislauf „Feld-Großmarkthalle-Verbraucher“ und in ein Flüchtlingsheim gab. Und auch in der SCHIRN waren Arbeiten von ihr bereits zweimal zu sehen:  2001 wurde ihr Film „Bolek“ in der Ausstellung „Frankfurter Kreuz“ präsentiert, 2013 war sie bei der Filmreihe DOUBLE FEATURE zu Gast.

Tamara Grcic, Gaggiandre, 2009, 53. Biennale di Venezia, Foto: Wolfgang Günzel

Für die Biennale in Venedig 2009 entwickelte sie eine Klanginstallation mit 17 Seenotrettungsinseln, aus denen Stimmen in den Kanal ertönten. Ein Werk, das an „Have you been here before?“ erinnert. „Aber die neue Arbeit kann man sehr viel genauer fassen, hier wird es konkreter und die Stimmen kommen näher“, sagt Tamara Grcic.

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