In ihrer ersten institutionellen Einzelausstellung in Deutschland bespielt die New Yorker Künstlerin und Städelprofessorin Amy Sillman den Portikus mit Video-Loop, 24 Malereien und einem Fanzine.

Als Amy Sillman 1979 von der New Yorker Kunstakademie abging, war Malerei zumindest in ihrem Umfeld kein großes Thema. Nicht unwahrscheinlich, dass sie sich gerade deshalb zu jenem Medium hingezogen fühlte, dessen goldene Zeiten fürs Erste vorbei schienen – und das sie deshalb umso leichter für eigene Vorhaben kapern konnte, ganz ohne hehre Erwartungen: „Ich habe das jemandem mal beschrieben als das Besetzen eines verfallenen Gebäudes. Meine Ideen stammten allesamt von woanders: Tanz, Performance, Experimentalfilm, und Literatur. Ich konnte gar nicht in dem System Malerei arbeiten“, erklärt die 1955 in Michigan geborene Amerikanerin im Online-Journal des Portikus. 

Amy Sillman. Kick the Bucket (loop for Portikus), video still, courtesy of Amy Sillman, image via artforum.com

Auch die Künstlerinnenlaufbahn stand nicht auf Sillmans Agenda, als sie einige Jahre zuvor in den Big Apple übersiedelte: An der New York University wollte sie Japanisch studieren und für die United Nations arbeiten. Die Kunst war schließlich schneller oder kraftvoller, in jedem Fall wurde nichts aus der Karriere als Simultanübersetzerin.

Das Atelier - ein grässlicher und einsamer Ort

Diesen undogmatischen Zugang zur hochheiligen Malerei, die allen De- und Rekonstruktionen zum Trotz ja nach wie vor als Kunst schlechterdings gilt, bekommt unmissverständlich auch der Ausstellungsbesucher des Portikus mit auf den Weg: Nicht nur, dass auf dem Ausstellungsplakat kein einziger Quadratzentimeter Malerei und stattdessen eine Tonfigur im Äther respektive Brennofen zu sehen ist. Auch die Präsentation selbst beginnt mit etwas ganz anderem (zumindest, wenn man der Architektur des Portikus folgt, also zunächst das anschaut, was mit Betreten des Hauses unmittelbar in den Blick fällt), einem Videoloop, der in einer guten Minute wie ein Behind the Scenes der Ausstellungsproduktion gelesen werden könnte. Amy Sillmans Hund läuft durchs Bild, das Malen und Zeichnen wird behandelt. Und auch die Plakat-Figur mit dem weit offen stehenden Mund sowie eine Studienreise mit ihrer Städelschulklasse – Sillman folgte 2015 auf Christa Näher, die knapp 30 Jahre lang die Professur für Freie Malerei innehatte – dienen hier als Referenz für die cartoonhafte Kurzgeschichte. Nur einige bunte Flächen, mit denen verschiedene Figuren kurz hinterlegt werden, geben an dieser Stelle einen Ausblick auf die gezeigten Malereien.

Amy Sillman, the ALL-OVER, Portikus, Frankfurt/Main, Photo: Helena Schlichting, Courtesy: Portikus, Frankfurt/Main
Amy Sillman, the ALL-OVER, Portikus, Frankfurt/Main, Photo: Helena Schlichting, Courtesy: Portikus, Frankfurt/Main

Der Kontrast zwischen der Rezeption von Zeichnung und ölgeschwängerter Leinwand, auch von bewegtem Bild und dem statisch an der Wand hängenden Gemälde könnte größer kaum sein; im Ausstellungsraum bringt ihn Sillman zusammen: Auch den 24 Malereien, je nach Perspektive Rahmen und Vorzeichen oder Herzstück der Schau, nimmt sie ein gutes Stück ihrer Monumentalität. Statt wie üblich an der Wand werden die Leinwände auf einem winzigen Podest nur wenige Fußbreit über dem Boden arrangiert – eine Atelier-Situation und damit wieder ein Verweis auf die bereits im Video angedeutete Produktion, die hier zeitgleich durch ihr Resultat selbst hindurchscheint. Der Versuch einer Entmystifizierung? Das Atelier sei ein grässlicher und einsamer Ort, erklärt Amy Sillman im selben Interview, und auch mit der bürgerlichen Innerlichkeit habe es in der Praxis nicht viel zu tun.

ALL-OVER

Erst bei genauerem Hinsehen auf die Leinwandseite offenbart sich, dass es sich bei den ausgestellten Werken keineswegs um Malereien im klassischen Sinne, sondern allenfalls um Chimären handelt: Per Tintenstrahldrucker wurden Motive wie stark vergrößerte Skizzen aufgebracht und erst dann mit dünnem Farbauftrag, vornehmlich in Pink- und Schlammtönen, ergänzt. Einige Prints ähneln sich, manche ergeben mit ihrem Nachbarn zusammen gar eine Mini-Serie, wodurch das Credo vom singulären Gemälde ad absurdum geführt wird.

Amy Sillman, the ALL-OVER, Portikus, Frankfurt/Main, Photo: Helena Schlichting, Courtesy: Portikus, Frankfurt/Main

Die fast perfekte Verschmelzung aus Computerdruck und händischer Malerei zu Bildern mit bestechendem Appeal gelingt auch deshalb, weil Amy Sillman im Portikus wie in ihren sonstigen Arbeiten keine Hierarchien zwischen Vorder- und Hintergrund aufbaut. Eben ALL-OVER, die Leinwand als ganze Fläche, wie der Ausstellungstitel programmatisch verheißt. Und damit auf eine weitere Randnotiz der Kunstgeschichte verweist, die nur deshalb eine solche ist, weil ein anderer und wie durchaus üblich ein Mann berühmter wurde: Jackson Pollock gilt als Wegbereiter der flächendeckenden Leinwandnutzung. Dem Kritiker und Theoretiker Clement Greenberg zu Folge aber muss die weitaus unbekanntere Malerin Janet Sobel als Begründerin angeführt werden, deren Arbeiten Pollock erst die Idee zu seinen Drip Paintings geliefert haben sollen.

Und eine Rube-Goldberg-Maschine

Alle 24 Motive gibt noch einmal im Mini-Format, erinnernd an Gestus von DIY und Punk: Amy Sillman hat daraus ein kleines Leporello gestaltet, quasi als Deluxe-Version eines Fanzines, das für 1 Euro zu haben ist. Der Obolus wird der kleinen Figur in den Mund geworfen, die es sogleich auch wieder ausscheidet, womit die Ausstellung auch noch einen kleinen interaktiven Part bereithält (und eine Rube-Goldberg-Maschine sowie eine leibhaftige Figur, die all den Hintergrundflächen einen Vordergrund zur Seite stellt). Was im Zine steht, soll an dieser Stelle noch nicht verraten werden, aber ein mystisches Erlebnis aus der eingangs beschriebenen Studienfahrt mit der Städelklasse kommt in jedem Fall vor. 

Amy Sillman, the ALL-OVER, Portikus, Frankfurt/Main, Photo: Helena Schlichting, Courtesy: Portikus, Frankfurt/Main

Es hängt irgendwie alles zusammen in Amy Sillmans the ALL-OVER, nomen est omen, aber es ist höchst empfehlenswert, sich nicht allein mit dem Entschlüsseln aufzuhalten, sondern mit dem, was ganz konkret zu sehen, lesen, hören ist. Als sich schließlich die abstrakte Kunst statt der Japanischen Sprache abzeichnete, da dämmerte es Sillman: "Oh my god, this is another kind of code language!"

Amy Sillman im Portikus, image via fr-online.de