Die Künstlerin Sarah Bonnert begleitet seit 2009 den Wandel des Areals zwischen Dom und Römer. Ihre Klangrauminstallation im Dommuseum ermöglicht vielseitige Einblicke in die Frankfurter Altstadtdebatte.

„Frankfurt fehlt eine Identität; Frankfurt hat die Hochhausidentität. Die Hochhauskulisse ist wunderbar, ist wunderschön, aber das ist keine Identität, die kannst du nur von weitem sehen. Wenn du durch die Stadt läufst, dann bringen dir die Hochhäuser nicht viel.“ Nicht nur Volker Luschnitz ist dieser Meinung. Und so baut sich Frankfurt, als eine Art Ausgleich zur Skyline, eine neue Altstadt. Zwischen Dom und Römerberg entstehen derzeit fünfunddreißig neue Häuser, davon fünfzehn Rekonstruktionen. Auch alte Straßenverläufe und Plätze der 1944 zerstörten Altstadt sollen wieder entstehen.

Sarah Bonnert, Vom Versuch eine Altstadt zu bauen, 2016

Zuvor wurde auf dem Areal das Technische Rathaus abgerissen. Mit seiner massigen Form und der großzügigen Verwendung von Waschbeton war es in der Bevölkerung umstritten. „Ich fand das Gebäude so deplatziert, dass es schon wieder amüsant ist“, sagt Sarah Bonnert. Die Künstlerin begleitet seit 2009 den Abriss des Technischen Rathauses und den Wiederaufbau der Altstadt. Neben der Bilddokumentation führt Bonnert regelmäßig Interviews mit Frankfurter Bürgern. Darin hält sie die persönlichen Erinnerungen an das Technische Rathaus, den individuellen Blick auf den Platz zwischen Dom und Römer sowie die Erwartungen und Wünsche an die neue Altstadt fest.

Das Geräusch der Domglocken

Aus einem Teil der Interviews hat Sarah Bonnert eine Klangrauminstallation entwickelt. Sie wird in direkter Nachbarschaft zur Altstadtbaustelle, im Dommuseum, präsentiert. Den Boden des Ausstellungsraums ziert eine Umrisszeichnung des Altstadtareals vor der Zerstörung. Es gibt vier thematische Hörstationen: „Utopie“, „Emotion“, „Historie“ und „Wissenschaft“. Sie stehen für die verschiedenen Sichtweisen auf das Areal. In die Statements der Interviewpartner, zu denen auch der eingangs erwähnte Volker Luschnitz zählt, mischen sich aufgezeichnete und bearbeitete Baustellengeräusche, eine U-Bahnansage und das Geräusch der Domglocken.

Sarah Bonnert, Vom Versuch eine Altstadt zu bauen, 2016
Sarah Bonnert, Vom Versuch eine Altstadt zu bauen, 2016

„Erst als wir die Bilder der Altstadt sahen, dessen, was zerstört worden war, erst dann […] haben wir gesehen, was wir hier eigentlich verloren haben. Und dann entstand etwas wie ein Phantomschmerz. Wir wollten eigentlich das wiederhaben, was wir nie gesehen hatten. […] aus den Bildern und der Faszination über die schöne Altstadt, die wir nie erlebt hatten, nie erleben durften, ist dann dieses Verlangen gewachsen, das wieder zu bekommen,“ hört man Jürgen Aha sagen. Sein Statement zeigt, wie stark Bilder – oft sind es digitale 3D-Simulationen – die Altstadtdebatte bis heute prägen.

Das Who is who der Frankfurter Stadtgesellschaft

„Es geht um die Rekonstruktion eines Stadtbildes“, sagt Sarah Bonnert. Sie hat sich bewusst gegen eine visuelle Begleitung des Wiederaufbaus entschieden. Bonnerts Frage lautet vielmehr: „Was steht hinter dem Bild – an Ängsten, Bedürfnissen, Emotionen?“. Nun spricht Jürgen Aha wieder: „Also ich weiß sehr gut, was für ein Klientel dort wohnen wird, weil wir die Allerersten waren, die eine Interessentenliste aufgestellt haben, nachdem uns alle Welt gesagt hatte, da will doch niemand wohnen, da ist kein Licht und keine Luft. […] wir haben über 80 Interessenten gefunden, sehr prominente Leute, das Who is who der Frankfurter Stadtgesellschaft.“

Sarah Bonnert, Vom Versuch eine Altstadt zu bauen, 2016

Dass die Frankfurter Altstadt vor ihrer Zerstörung kein begehrtes Quartier für Wohlhabende war, erzählt Olaf Cunitz: „Ich fand interessant, wie aus dem Kern der Stadt eigentlich im Laufe der Jahrhunderte ein Viertel wurde, wo man heute sagen würde, sozialer Brennpunkt, was fast schon Ghetto-, Slumcharakter hatte, wo alle die es sich leisten konnten rausgezogen sind, wo katastrophale hygienische Bedingungen herrschten. Wo nur noch die Leute der Stadt waren, die woanders kein Unterkommen gefunden haben.“

Global City und neue Altstadt

Man tritt aus dem Dommuseum. Nebenan lassen die ersten, noch mit Gerüsten verkleideten Fachwerkhäuser die kommende Gemütlichkeit erahnen. Ein Ausflug hinauf zum Domturm. Von dort aus lässt sich die enge, kleinteilige Bebauung, die auf dem Altstadtareal entsteht, gut nachvollziehen. Am Horizont zeichnen sich mit die Bankenhochhäuser ab. Ohne die Modernität und den Kommerz der Innenstadt wäre der Wiederaufbau der Altstadt nicht denkbar, meint Sarah Bonnert. „Das Nebeneinander von Global City und 'neuer' Altstadt“, unterscheide Frankfurt von anderen deutschen Wiederaufbauprojekten. 2018 soll das Quartier eingeweiht werden. So lange geht Sarah Bonnerts Projekt weiter.

Sarah Bonnert, Vom Versuch eine Altstadt zu bauen, 2016