Die beiden Wahlberliner Konzeptkünstler Nasan Tur und Peter Rösel spielen in der Offenbacher Kressmann-Halle mit den Elementen.

„Hier entlang!“. Ruben Fischer deutet auf die kaum sichtbare Lücke im Bauzaun, der das Gelände der Kressmann-Halle im Offenbacher Hafenviertel markiert. Ein schwarzer Mischlingshund stürmt zur Begrüßung auf mich zu, wird aber vom Ruf seines Herrchens im Lauf gestoppt. Wir sind umgeben von einer Kulisse aus Schuttbergen und mit Graffiti besprühten Mauerresten, hinter denen sich in einiger Ferne als erste Vorboten eines neuen Stadtteils die schicken Wohnblöcke auf der Hafeninsel im Main abzeichnen.

Inmitten all der zerfallenden Industriekultur aus gelbem Backstein wirkt die 2016 sanierte Kressmann-Halle wie ein unschuldig reiner Fremdkörper: Eine Ausstellungshalle mit tadelloser White-Cube-Ästhetik und viel hellem Licht, das durch die großen Fenster und von den Neonröhren unter der Decke kommt. Das Künstlerkollektiv YRD.Works, zu dem neben Yacin Boudalfa und David Bausch auch Ruben Fischer gehört, veranstaltet hier im Rahmen eines Zwischennutzungskonzeptes Ausstellungen – bis in wenigen Jahren die Bagger anrollen. „Wo wir hier jetzt stehen, wird dann mit dem Neubau der HfG begonnen“, erzählt Fischer ohne einen Anflug von Bedauern in der Stimme. „Wir sind es gewohnt, uns immer wieder neu zu erfinden“.

Atelier, Wohnung, Datsche

Ab 20. April ist in der Kressmann-Halle nun einen Monat lang die Ausstellung „Duo“ zu sehen. Händeschütteln mit den Wahlberliner Konzeptkünstlern Nasan Tur und Peter Rösler, auf die dieser Titel gemünzt ist. „Kennengelernt haben wir uns vor zwei Jahren bei einem Essen am Frankfurter Bahnhof, als wir gleichzeitig Ausstellungen in unserer alten Heimat laufen hatten“, erinnert sich Tur. An der Städelschule sind sie sich nie begegnet, obwohl beide dort studierten.

Peter Rösel und Nasan Tur, Foto Simon Keckeisen

Rösel lebte neun Jahre in Frankfurt, wo er bleibende Spuren hinterließ. Etwa aus dem Stoff alter Polizei-Uniformen genähte Blumen und Pflanzen, die zur Sammlung des MMK gehören. „Später ging ich nach New York und lernte dort meine Frau kennen. Als sie schwanger wurde, wollten wir zunächst nach Frankfurt zurück, fanden dort aber keine Wohnung. Als ich einem Berliner Freund davon erzählte, bot er mir gleich am nächsten Tag ein Atelier, eine Wohnung und eine Datsche an“, erzählt Rösel. „Da wusste ich: Berlin ruft mich“.

Was die Kickers so machen

Den gebürtigen Offenbacher Nasan Tur zog es nach einem Jahr Zwischenstopp in London nach Berlin. In Kreuzberg hat er sein Atelier. „Ich fand Berlin spannend und fühle mich nach zehn Jahren dort noch immer sehr wohl“, sagt er. Trotzdem hat er noch immer einen guten Draht in seine alte Heimatstadt: „Über das Internet lese ich regelmäßig die Offenbach-Post und verfolge, was die Kickers so machen.“

Arbeit von Peter Rösel, Installationsansicht, Kressmann-Halle, 2017, Foto: Nasan Tur

„In der Kressmann-Halle ist man offen für mutige und schwierige Installationen“, sagt Tur. „Das gefällt mir“. Tur weiß, wovon er redet. Mit einer gewagten Installation stellt er nun die Kressmann-Halle und das Vertrauen der Ausstellungsmacher im wahrsten Sinne des Wortes auf eine Feuerprobe: „Für den Betrachter soll es so aussehen, als sei gerade eine Innenwand der Halle in Brand geraten“, beschreibt der 42-jährige Künstler seinen Beitrag zur Doppelausstellung. „Mein Kunstwerk ist kein Fake. Es handelt sich nicht etwa um eine Lichtprojektion plus Rauchmaschine, sondern um eine echte züngelnde Flamme. Mit all dem Potential von Gefahr, Kontrollverlust und Zerstörung, die in Feuer nun einmal stecken – auch wenn wir im Laufe der Zivilisation gelernt haben, es zu bändigen.“

Wie kommt dieser Baum in die Galerie?

Wie Nasan Tur es schafft, die Flamme tanzen zu lassen, ohne dass die Kressmann-Halle dabei ein vorzeitiges Ende findet, bleibt sein Geheimnis. „Ich kann, ehrlich gesagt, nicht verstehen, warum Ausstellungsbesucher so gerne Fragen nach der technischen Realisierung von Kunst stellen. Nach dem Motto: Wie kommt bloß dieser riesige Baum hier in die Galerie, wo doch die Tür sehr klein ist“, sagt Tur. „Viel mehr interessiert mich: Was löst der Anblick beim Betrachter aus?“

Arbeit von Nasan Tur, Installationsansicht, Kressmann-Halle, 2017, Foto: Nasan Tur

Nicht zuletzt gehe es ihm bei seiner brennenden Wand auch um die Frage nach der Konsumierbarkeit von Kunst, verrät er. „Würde man sich eine lodernde Flamme, ebenso wie ein schönes Bild, zu Hause über das Sofa hängen? Man kann sie nicht anfassen oder weiterverkaufen. Sie stellt keinen materiellen Wert dar, sondern eine Gefahr. Und trotzdem kann sie ein Kunstwerk sein.“

Überschwemmungen und Freudentaumel

Auf der gegenüberliegenden Wand in der Kressmann-Halle ist Peter Rösel in seinem – völlig konträren – Element. In seiner Videoinstallation, die auf 12 Monitoren gezeigt wird, spielt Regenwasser eine Rolle. „Ich wollte etwas machen, das von Freude geprägt ist“, erzählt Rösel – und muss natürlich etwas weiter ausholen, um erklären zu können, was ausgerechnet schlechtes Wetter mit Freude zu tun hat: „Bereits vor einigen Jahren war ich in Namibia unterwegs, um dort Luftspiegelungen zu malen. Weil meine Eltern dort lange Zeit lebten, habe ich eine besondere Beziehung zu dem Land“, erzählt der 51-jährige Künstler. Seine Eltern waren es auch, die ihm eine Reihe von Youtube-Clips schickten, in denen Menschen angesichts von Wolkenbrüchen und Überschwemmungen in Freudentaumel ausbrechen.

Arbeit von Peter Rösel, Filmstills, Kressmann-Halle, 2017
Arbeit von Peter Rösel, Filmstills, Kressmann-Halle, 2017

Daraufhin suchte Rösel nach weiteren, ähnlichen Videos im Netz und verarbeitete sie zu einer vielstimmigen Montage. Einzelne Stimmen addieren sich zu einem kollektiven Ausdruck von Freude. Zu einer Bewegung, die ähnlich mitreisend ist wie ein fließender Strom. Man hört, wie Menschen mit leicht verständlichen Ausrufen des Entzückens in Afrikaans wie „prachtig“ oder „lekker“ den Regen feiern – und wundert sich als sonnenverliebter und regengeplagter  Europäer. Diese, aus unserer Sicht, Umkehrung der kulturellen Zuschreibungen – Regen macht viel mehr Spaß als Sonne ­– ­­ist es, was Rösel interessiert.

„Man muss dazu wissen: Namibia ist ein extrem trockenes Land. Es gibt kaum wasserführende Flüsse, sondern bloß sogenannte Rivieren – das sind ausgetrocknete Flussbetten, die sich nur äußerst selten mit Wasser füllen. Und fast nie schafft es der Strom bis zum Meer“, erklärt Peter Rösel. „Als es im vergangenen Frühling nach langer Zeit mal wieder so weit war, freuten sich die Leute verständlicherweise ein Loch in den Bauch.“

WHATSAPP

Artikel, Filme, Podcasts - das SCHIRN MAGAZIN direkt als WhatsApp-Nachricht empfangen, abonnieren unter www.schirn-magazin.de/whatsapp