Die Studiengalerie 1.357 zeigt die Videoarbeit „Dream English Kid 1964-1999 AD“ von Turner-Preisträger Mark Leckey.

Ende der Siebziger. Ein Joy Division-Konzert in Liverpool. Mark Leckey, Jahrgang 1964, ist 15 und dabei. Bis das Wort „Internet“ in den Duden Einzug erhält, wird es noch mehr als 15 Jahre dauern. Weitere knapp 20 Jahre später stößt Leckey bei You Tube auf einen Live-Ausschnitt eben jenes Konzerts. Das ist der Beginn von „Dream English Kid 1964-1999 AD“ (2015), einer Arbeit, die Leckey selbst einmal als autobiografisches Video bezeichnet hat: „Während ich mir das anhörte, fragte ich mich, ob ich – durch die Verstärkung des Tons – wohl mein eigenes 15-jähiges Ich in der Aufzeichnung finden würde. Das ließ mich darüber nachdenken, dass es zum jetzigen Zeitpunkt, wo so viel Bildmaterial in digitalen Archiven verfügbar ist, möglich sein müsste, meine Memoiren anhand all der DVD Neuveröffentlichungen, eBay Ephemera, You Tube Uploads und der Ressource, die das Internet insgesamt darstellt, zu rekonstruieren“.

Mark Leckey, „Dream English Kid 1964-1999 AD“ (2015), courtesy the Artist and Cabinet, London

Das Ergebnis ist eine Videocollage aus „found footage“, gefundenem Material aus dem Internet. Aufnahmen der Beatles reihen sich an Bilder eines NASA-Satellit-Vorläufers, Sequenzen von Fabrikmaschinen, die „Tate & Lyle“-Zucker verpacken, an Bilder einer Frau mit toupiertem Haar, die in Unterwäsche vorm Spiegel sitzt, Videoschnipsel von jungen Skinheads an Konzertaufnahmen. Durch die loopartigen Wiederholungen einzelner Sequenzen entsteht ein traumähnlicher Eindruck, eine bildliche Übersetzung von Erinnerung.

Kunst und Erinnerungspolitik

Das gesamte Videomaterial stammt aus der Zeit zwischen 1964 und 1999 – Mark Leckeys Geburt und seinem Durchbruch als Künstler. Das macht „Dream English Kid 1964-1999 AD“  so interessant für die Studiengalerie 1.357 der Goethe-Universität Frankfurt, in der das Werk ab dem 25. Oktober präsentiert wird. Denn die Galerie zeigt ausschließlich Arbeiten, die sich mit Erinnerungspolitik oder Bildgebrauch beschäftigen.

Mark Leckey, „Dream English Kid 1964-1999 AD“ (2015), courtesy the Artist and Cabinet, London

„Schon der Titel des Werks verweist darauf, dass sich das Video mit den Träumen eines britischen Kindes befasst – das war Leckey – und den Vorstellungen, mit denen es in die Welt hinaus ging“, sagt Carina Bukuts, die als studentische Organisatorin das Projekt mit koordiniert (und als Autorin für das Schirn Mag schreibt). „Das Werk passt aber deshalb so gut zur Studiengalerie, weil es nicht nur einen persönlichen, sondern auch einen allgemeingültigen Blick auf die letzten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts eröffnet“, erklärt Peter Hess, Student der Kunstgeschichte und Teilnehmer der Studiengruppe, die pro Semester zwei Ausstellungen erarbeitet.

Jeder Studierende stellt einen Künstler vor

Alle Ausstellungen – bis auf eine Ausnahme – zeigen immer nur ein einziges Werk eines Künstlers. Die Galerie ist ein Projekt der historischen Geisteswissenschaften der Uni mit dem Städel Museum und dem MMK. Geleitet wird die Gruppe von dem Geschichtsprofessor Bernhard Jussen, der das Projekt ins Leben rief, der Kunstgeschichtsprofessorin Antje Krause-Wahl sowie im Wechsel Peter Gorschlüter (MMK) und Martin Engler (Städel Museum).

Mark Leckey, „Dream English Kid 1964-1999 AD“ (2015), courtesy the Artist and Cabinet, London

Auf Leckey fiel die Wahl wie auf jeden Künstler, den die Galerie seit ihrer Gründung 2010 gezeigt hat: Jeder Studierende darf einen Künstler vorstellen, dessen Werk er für ausstellungswürdig hält – die Gruppe entscheidet dann gemeinsam, wer ausgewählt wird. „Bei Leckey fanden wir auch seinen Bildgebrauch spannend. Er bedient sich aus dem Internet und gibt der Öffentlichkeit wieder etwas zurück, indem er seine Arbeiten auf You Tube oder Vimeo frei zugänglich macht“, sagt Carina Bukuts.

Weltweit berühmt wurde Mark Leckey 1999 mit seiner Videoarbeit „Fiorucci Made Me Hardcore“ (1990 stellte er schon einmal mit Damien Hirst aus, verschwand danach aber wieder in der Versenkung). Von 2005 bis 2010 war er Professor an der Frankfurter Städelschule. 2008 erhielt er eine der höchsten Kunstweihen: den Turner Prize. Obwohl sein Werk noch nicht ganz zwei Jahrzehnte umfasst, gilt er heute vielen Post-Internet-Künstlern als Vorbild. Er ist übrigens nicht der einzige international renommierte Künstler in der Ausstellungsgeschichte der Studiengalerie. Günther Förg, Hito Steyerl, On Kawara, Hanne Darboven und viele andere waren schon mit Werken in der Campus-Galerie vertreten, die unbedingt einen Besuch wert ist.

Mark Leckey, „Dream English Kid 1964-1999 AD“ (2015), courtesy the Artist and Cabinet, London

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