Wie kommt es, dass auch in der Gegenwart Frauen weniger erfolgreich in der Kunst sind als Männer? Dieser Frage geht die Kunstkritikerin Julia Voss bei einem Vortrag im Atelierfrankfurt nach.

„Frauen malen nicht so gut. Das ist ein Fakt.“, sagte der Großkünstler Georg Baselitz 2013 in einem SPIEGEL-Interview. Derlei Aussagen findet man im deutschen Kunstbetrieb, auch wenn mittlerweile mehr Frauen als Männer Kunst studieren und Ausstellungen besuchen. Vor allem in den Institutionen – Museen, Kunsthallen und Kunstvereinen – sind weibliche Führungskräfte schon fast eine Selbstverständlichkeit. In Frankfurt zum Beispiel werden das Museum für Moderne Kunst, das Fotografie Forum, der Kunstverein, das Jüdische Museum, das Weltkulturen Museum sowie weitere Häuser von Frauen geleitet. Zu den bedeutendsten Frankfurter Galerien zählen Bärbel Grässlin und Anita Beckers.

Blickt man hingegen ins Ausstellungsprogramm der jeweiligen Institutionen, stößt man seltener auf Künstlerinnennamen. Auch im Kunstmarkt erzielen Frauen mitunter noch immer niedrigere Preise als ihre männlichen Kollegen. An den meisten Kunsthochschulen lehren vornehmlich Männer. So kann man sich berechtigterweise fragen: „Wie kommt es, dass auch im 21. Jahrhundert Frauen weniger erfolgreich in der Kunst sind als Männer?“ Im Rahmen eines von der Evangelischen Akademie Frankfurt organisierten Vortragsabends möchte Julia Voss, promovierte Kunsthistorikerin und stellvertretende Leiterin des F.A.Z.-Feuilletons, diesem Phänomen nachspüren.

Kein Markt, keine Lobby, kein Museum

Nicht nur in ihrer journalistischen Arbeit setzt sich Voss immer wieder für vergessene und missachtete Künstlerinnen ein. 2013 zeigten das Moderna Museet in Stockholm und der Hamburger Bahnhof in Berlin großformatige Bilder von Hilma af Klint (1862-1944), die schon vor Wassily Kandinsky abstrakt zu malen begann. In der F.A.Z. betont Voss, dass Klints Bilder noch immer nicht verkauft werden, keinen Markt und keine Lobby haben, keinem Museum gehören. Klint werde totgeschwiegen. Ebenfalls 2013 konzipierte Julia Voss für das Jüdische Museum Frankfurt die Ausstellung „1938. Kunst, Künstler, Politik“, die die Konsequenzen nationalsozialistischer Politik für den Kunstbetrieb zeigte. Ein wichtiger Teil der Schau waren die Arbeiten von Lotte Laserstein, die in den 1920er-Jahren als eine der ersten Frauen Malerei an der Akademischen Hochschule der Bildenden Künste, einer Vorgängerin der heutigen UdK, in Berlin studierte. 1937 musste Laserstein nach Schweden fliehen und verließ ihre jüdische Familie für immer.

Die deutsche Kunsthistorikerin Julia Voss, Image via Wikimedia

Lotte Laserstein, Selbstbildnis an der Staffelei, 1938 (Ausschnitt), Image via berlin.de

In ihrem Vortrag wird Julia Voss der Frage nachgehen, „an welchen Stellschrauben gedreht werden muss, um die Wertschätzung und die Preise [der Werke von Künstlerinnen] zu erhöhen“. Beides hänge nämlich eng miteinander zusammen, sagt Voss. Sie möchte den Kunstmarkt nicht ausblenden. In seinem eingangs erwähnten SPIEGEL-Interview sagt Georg Baselitz: „Der Markt hat recht, wie immer.“ Frauen bestünden die Marktprüfung nicht, fügt er hinzu. In der F.A.Z. kontert Voss mit dem Hinweis auf Agnes Martin, die auf Auktionen höhere Preise als Baselitz erzielt: „Kann Agnes Martin jetzt also malen, oder was?“.

Dann lieber Stricken

Mit seinen Aussagen reiht sich Georg Baselitz in eine lange Tradition ein. Über Jahrhunderte hinweg wurden Frauen von der professionellen künstlerischen Ausbildung ausgeschlossen. In Deutschland durften Frauen erst seit 1919, als mit der Weimarer Verfassung ihre Gleichstellung rechtskräftig wurde, an staatlichen Kunstakademien studieren. Zuvor mussten sie auf Kunstgewerbeschulen oder Privatateliers von Malern und Malerinnen ausweichen. Noch in den 1980er-Jahren und 90er-Jahren war der deutsche Kunstbetrieb so männlich dominiert, dass eine junge, aufstrebende Künstlerin wie Rosemarie Trockel demonstrativ lieber strickte als malte und mit „Herdbildern“ auf überkommene Geschlechterrollen aufmerksam machte.

Marlene Dumas, Image via vogue.co.uk

Dass es immer auch Ausnahmen gab, zeigt beispielsweise das Engagement des Schriftstellers, Verlegers, Galeristen und Komponisten Herwarth Walden. 1910 gründete er die Zeitschrift „Der Sturm“, 1912 die gleichnamige Galerie. Walden förderte besonders die Künstlerinnen. Bis zur Schließung der Galerie im Jahr 1932 zeigte er Arbeiten von über 30 Malerinnen und Bildhauerinnen. Unter ihnen waren Gabriele Münter, Sonia Delaunay, Else Lasker-Schüler, Marianne von Werefkin und Natalja Gontscharowa, die heute zum Kanon der Moderne zählen. 2015 präsentierte die SCHIRN in einer umfangreichen, von Ingrid Pfeiffer kuratierten Ausstellung 18 „Sturm-Frauen“ aus dem Programm von Herwarth Waldens Galerie.

Künstlerin-Sein heute

Um indes den Blick auf die Gegenwart zu schärfen, wird Julia Voss Karrieren von Künstlern wie Jeff Koons oder Georg Baselitz und Künstlerinnen wie Marlene Dumas oder Katharina Grosse gegenüberstellen. Auf ihren Vortrag folgen drei Statements zur Frage „Was bedeutet Künstlerin-Sein heute?“ Vroni Schwegler, deren eindrückliche Zeichnungen und Drucke erst kürzlich in der Heussenstamm-Galerie zu sehen waren, sowie Anita Beckers, die über Frankfurt hinaus geachtete Galeristin, und Corinna Bimboese, Kuratorin und Leiterin von Atelierfrankfurt, werden persönliche Einblicke gewähren.

Sonia Delaunay, Prismes électriques, 1913-1914, Image via artcritical.com

Der Galerist Herwarth Walden, Image via berlin-woman.de