Die Kinothek Asta Nielsen hat die neapolitanische Stummfilm-Regisseurin Elvira Notari wiederentdeckt und widmet ihr ein Filmfestival mit Live-Konzerten.

Karola Gramann und Heide Schlüpmann hatten schon von Elvira Notari gehört, über sie gelesen und sogar einen Artikel über ihr Werk verfasst, aber erst als sie vor etwa fünf Jahren in Stockholm bei einer Konferenz zum ersten Mal ihren Film „A Santanotte“ auf großer Leinwand sahen, „waren wir hingerissen “, erzählt Karola Gramann. Von dem Zeitpunkt an wollten die Mitgründerinnen der Kinothek Asta Nielsen unbedingt ein Projekt ins Leben rufen, das zur Wiederentdeckung der fast vergessenen neapolitanischen Stummfilm-Regisseurin beiträgt – ganz in der Tradition von Veranstaltungen über Asta Nielsen und Germaine Dulac, die die Kinothek in der Vergangenheit veranstaltete.

Elvira Notari war eine für ihre Zeit ungewöhnlich emanzipierte Frau. Sie gilt als erste italienische Filmemacherin überhaupt, schrieb Drehbücher, führte Regie und gründete mit ihrem Mann zusammen die Produktionsfirma Dora Film. „Die Firma war im Grunde ein Familienbetrieb. Ihr Mann, ein Fotograf, bediente die Kamera, ihr Sohn spielte in allen Filmen einen neapolitanischen Straßenjungen und Notari selbst führte Regie“, erzählt Karola Gramann. Als Darsteller engagierte Notari Laien, wie die Mathematiklehrerin ihres Sohnes, an der sie eine Ähnlichkeit mit der Schauspielerin Pola Negri entdeckte.

In restaurierten Originalfassungen

Die Filme zeigten das Leben der neapolitanischen Stadtbevölkerung und waren sehr erfolgreich. Nicht nur in Italien, sondern auch in Amerika, wohin sie von Neapel aus verschifft wurden. Knapp 60 Spiel- und etwa 100 Dokumentarfilme drehte die Regisseurin zwischen 1906 und 1930. Doch davon sind lediglich drei Spielfilme und einige Dokumentarfilmfragmente erhalten. Alle gibt es zu sehen in restaurierten Originalfassungen und Kopien beim Festival „Transito. Elvira Notari – Kino der Passage“, das im Dezember im Pupille-Kino stattfindet und von der Kinothek Asta Nielsen organisiert wird.

® Cineteca di Bologna, 1922, E' Piccerella

Das Festival soll nicht nur ein Seh-, sondern auch ein Hörerlebnis werden. Deshalb werden die Stummfilme von Live-Musik begleitet. Wie in der großen Zeit des neapolitanischen Kinos in den Filmpalästen üblich, sind die Begleitmusiken zum Teil richtige Konzerte mit Gesang und Instrumenten wie Cello, Akkordeon und Geige. Einige Kompositionen wurden sogar für das  Festival von dem TV-Sender Arte und der Kinothek Asta Nielsen in Auftrag gegeben. Viele Musiker reisen aus Italien an wie die Sängerinnen Lucilla Galeazzi und Dolores Melodia und der Cellist Michele Signore. Die bekannte belgische Stummfilmpianistin Maud Nelissen wird  Filme auf  einem Steinway-Konzertflügel begleiten. Da Notaris Filme stark mit dem neapolitanischen Volkslied verankert sind – so werden in einigen Filmen die Geschichten aus diesen Liedern erzählt, andere Filme handeln von Musikereignissen – wird der Sound ein Mix aus traditionellen Volkslied-Melodien und zeitgenössischen Interpretationen sein.

Der größte Emigrationshafen Europas

Aber nicht nur die drei Notari-Spielfilme und ihre Dokumentarfilmfragmente werden beim Festival präsentiert. Die Kinothek Asta Nielsen stellt die Filme der Regisseurin in Kontext mit anderen Filmen – darunter sowohl Stummfilme aus der Schaffenszeit Notaris als auch aktuellere Filme wie von der algerischen Regisseurin Assia Djebar und der Österreicherin Ruth Beckermann. Allen Filmen gemein ist das Thema: Migration. „Migration bestimmte zwar nicht die Handlungen von Notaris Filmen, aber Neapel war damals der größte Emigrationshafen Europas, und viele Menschen, die man in den Filmen sieht, sind aus Armut aus Italien in andere Länder ausgewandert“, erklärt Karola Gramann. Neben den Filmen wird es ein Begleitprogramm mit Vorträgen und Diskussionen geben.

® Cineteca di Bologna, Privato

Im nächsten Jahr wandert das Festival dann ins Cinema Retrovato nach Bologna weiter und vielleicht auch nach Wien. Das dortige Filmmuseum ist jedenfalls sehr interessiert. Und wer weiß – vielleicht bekommen so schon bald viele Menschen eine Ahnung davon, was für eine beeindruckende Regisseurin Elvira Notari war.

® Cineteca Nazionale Rom, Fantasia 'e Surdato

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