Wollen wir so wirklich leben? Mit zwei Schauen unternimmt das KW Institute for Contemporary Art in Berlin eine ästhetische Untersuchung der digitalen Gesellschaft.

Auf drei Etagen erleben Besucher im Berliner KW Institute for Contemporary Art derzeit digitale Kultur. Die Britin Kate Cooper lässt perfekte, digital generierte Frauenkörper in Videos und auf werbeplakatgroßen Fotoarbeiten auftreten. Der US-Amerikaner Ryan Trecartin präsentiert in einer raumgreifenden Filminstallation mit sechs großen Bildschirmen ein Spektakel, das wie eine gigantische ADHS-Simulation anmutet: Hat man sich davon ein paar Minuten lang berieseln lassen, meint man zu wissen, wie sich eine durch übermäßigen Videospiel- und Youtube-Konsum ausgelöste Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung anfühlt.

Initiationsritus in einem verlassenen Freimaurertempel

Mit seinen in Environments aus Sitz- und Liegegelegenheiten eingebetteten Filmen hat der 1981 geborene Künstler in den vergangenen Jahren viel Aufmerksamkeit erregt. Bei der Biennale in Venedig bespielte er eine eigene Halle, auch in der Gruppenschau „Unendlicher Spaß" in der SCHIRN war er jüngst vertreten. Zu sehen ist im Grunde immer dasselbe: eine Gruppe wild gestikulierender, durcheinander schreiender junger Leute -- Trecartin selbst und seine Freunde. Sie tragen blonde Perücken, Basecaps und manchmal auch gefärbte Kontaktlinsen, die sie wie Zombies aussehen lassen. Zum Einsatz kommen Handkameras, außerdem von den Performern am Körper getragene oder auf Drohnen montierte Extremsportkameras. Die Stimmen der Protagonisten sind verfremdet und schallen schrill aus den Boxen, begleitet von pumpenden Popbässen. Der Schnittrhythmus ist schwindelerregend und mit schnellen Perspektivwechseln und willkürlichen Zeitsprüngen durchsetzt.

Zwar bleibt Trecartin seiner künstlerischen Handschrift treu, doch entwickelt er sie mit seiner Installation „Site Visit" eindrücklich weiter. Die Besucher schlüpfen zwischen schweren Vorhängen in einen Vorraum, wo sie sich erstmal in dicke, elektronisch steuerbare Lederliegen sinken und eine Soundinstallation auf sich wirken lassen. Ein bisschen mutet das wie ein Initialisierungsritus an. Vielleicht ist diese Assoziation gewollt, Trecartin drehte dieses Mal nicht wie sonst im Studio, sondern in einem verlassenen Freimaurertempel. Die Gruppe erkundet das düstere und zerfallene Innere, begleitet von digital generierten Fischen und Fantasieraubkatzen, die wie eine weitere Schicht über dem Geschehen liegen. Der Zuschauer fühlt sich wie mitten im Set: Lizzie Fitch, die stets die Sitzgelegenheiten für Trecartins Filminstallationen aussucht, hat in die Halle des KW Institute lauter Campingstühle und gemusterte Retro-Kinosessel gestellt, die auch im Film auftauchen.

Unterkühlt und zugleich aufdringlich harmonisch

Cooper steht noch ganz am Anfang ihrer Karriere, gerade hat sie den Kunstpreis der Schering Stiftung gewonnen, der an wichtige Neuentdeckungen geht. Die Schau in Berlin ist die erste institutionelle Einzelausstellung der 1984 in Liverpool geborenen Künstlerin. In ihrer Arbeit „Rigged", was so viel wie „aufgetakelt" heißt, setzt sie sich mit der Darstellung des weiblichen Körpers in digitalen Bildmedien und kommerziellen Kontexten auseinander. Dafür hat sie eine mit Top und Sporthose spärlich bekleidete Avatarin geschaffen, die über den Bildschirm joggt und Bauchmuskelübungen macht, während elfenartige Stimmen aus dem Off poetisch über den Körper als Ort der Kodierung und Konfiguration von Bedeutungen reflektieren.

Während Trecartins Interpretation einer technologiegetriebenen Generation von Überforderung und Stress geprägt ist, nutzt Cooper für die ihre eine im Grunde schon klassisch gewordene Ästhetik, die sich irgendwo zwischen Scifi-Vision und Corporate Film verortet, und etwa auch an die Demofilme im Flugzeug erinnern, in denen Avatare statt der Flugbegleiter Sicherheitshinweise geben. Die Stimmung dieser Video- und Fotoarbeiten ist unterkühlt und zugleich aufdringlich harmonisch. Das Künstliche manifestiert sich in vielen kleinen Momenten, wenn etwa das Lid der Avatarin starr über den glänzenden Augapfel rutscht. Bisweilen wähnt man sich im Vorzimmer einer luxuriösen Zahnarztpraxis, auch weil auf einem der Bildschirme das perfekte Gebiss der Avatarin zwischen von einem Plastikgestell zurückgehaltenen Lippen inszeniert wird. Auch, wenn sie je einen ganz eigenen Ansatz verfolgen, teilen beide Positionen einen dystopischen Grundton. Sie fragen: Wollen wir so wirklich leben? Die Antwort haben wir uns schon gegeben, wir tun es längst.