Der Musiker und Komponist Oliver Augst arbeitet sich am deutschen Liedgut ab, an Arbeitermärschen, Chansons und Schlager. Nun bringt er eine Hommage an einen Star der Mainzer Fastnacht auf die Bühne.

„Humba Humba Humba Tätärä Tätärä Tätärä“. Das stammt von ihm. Aber auch „Rucki Zucki“. Oder „Wini Wini Wana Wana“. „Ja, mer san mi’m Radl do“ hat er gesungen, „Es gibt kein Bier auf Hawaii“ oder „Ich stemm’ die Fleischwurst mit einer Hand“. Und natürlich „Heile, heile Gänsje“. Ernst Neger war die Stimme der Mainzer Fastnacht, ein gelernter Dachdeckermeister, der es zur größten Partykanone der Region gebracht hat.

Meist sind es eben die berühmten drei Akkorde, die einen weghauen.

Musiker und Komponist Oliver Augst

Ja, er hieß tatsächlich so. Ernst Hugo Neger. Das war sein echter, kein Künstlername. Den Mainzer Dachdeckerbetrieb Neger gibt es noch immer. 2013 kam es zu einem heftigen Streit, weil dessen Inhaber, ein Enkel von Ernst Neger, sich weigerte, das Logo der Firma, das einen schwarzen Dachdecker mit dicken Lippen und großen Ohrringen zeigt und von vielen als rassistisch begriffen wird, auszuwechseln. 

Eine Sammlung von eigenwillig interpretierten Gassenhauern 

Es wird jetzt eine große Revue über Ernst Neger geben, einen Abend mit seinen Stücken. Nicht in einer suburbanen Turnhalle, sondern im Künstlerhaus Mousonturm. Wie kommt der Rucki-Zucki-Mann in die Hochkultur? Was interessiert das für Avantgarde und Performancekunst stehende Haus an einem Schlagerfuzzi? Es kommt eben auf die Art an, wie man sich einem Phänomen nähert. Und deshalb sollte man gespannt sein auf die Performance, die sich „Der Ernst Neger Komplex“ nennt und für die der Musiker, Sänger und Komponist Oliver Augst verantwortlich ist.

Der Sänger und Dachdecker Ernst Neger, via neger.de

Augst, Jahrgang 1962, hat an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung studiert, bevor er sich komplett der Musik zugewendet hat. Er hat lange in Frankfurt gelebt, hat hier viel auf die Beine gestellt, vor kurzem ist er nach Paris gezogen. Mit dem Schlager beschäftigt er sich seit einigen Jahren – auf seine ganz eigene Art. Zusammen mit Marcel Daemgen ist das Projekt „Dein Lied“ entstanden, eine Sammlung von eigenwillig – oft sehr elektronisch und zackig – interpretierten Gassenhauern. 

Der Blick zurück auf deutsches Liedgut 

„Meist sind es eben die berühmten drei Akkorde, die einen weghauen“, hat Augst sein Interesse für die Partyhits in einem früheren Interview mit dem SCHIRN MAGAZIN beschrieben. Mit dem Schlagerstar Christian Andersen haben er und Daemgen für das Projekt zusammengearbeitet, aber auch mit dem amerikanischen Künstler Raymond Pettibon, einem Mann aus der Punk-Subkultur. Das ist erstens sehr lustig und zweitens gar nicht so abwegig. Die Ramones sangen zwar nicht „Humba Humba Humba Tätärä“, aber „Gabba Gabba Hey“.

Der Blick zurück auf deutsches Liedgut zieht sich als Konstante durch das Werk von Oliver Augst. Mit den so wunderschönen wie melancholischen Chansons, die Peer Raben, ein Weggefährte von Rainer Werner Fassbinder, geschrieben hat, hat er sich beschäftigt. Oder mit den Märschen der Arbeiterbewegung. Oder dem „Erlkönig“. Es sind keine klassischen Interpretationen, die Augst schafft. Ihm geht es um die Frage, was diese Lieder mit ihm selbst zu tun haben, was sie für ihn bedeuten. 

Man sollte sich nicht abschrecken lassen 

Nun also Ernst Neger, passend zur Karnevalszeit. Erwarten darf man eine Mischung aus Hommage, Persiflage und Dekonstruktion. Moderieren wird den Abend Brezel Göring von der Berliner Band „Stereo Total“. Der anarchische Geist, das Wilde, steckt tief in ihm drin, er soll der Anheizer der Revue werden. Zusätzliche, neue Texte steuert der Künstler John Birke aus Stuttgart für das Programm bei. Unterstützt wird Augst im Mousonturm auch von den Musikern vom Marburgjazzorchestra. „Der Ernst Neger Komplex“ ist eine Uraufführung, wurde bislang noch nirgendwo anders gezeigt. Man sollte sich von den Stücken, die dort zu hören sein werden, nicht abschrecken lassen, nicht einmal als Karnevalshasser.

Marburgjazzorchestra, Foto: Mousonturm, 2016