Die Rüsselsheimer Opelvillen widmen Marilyn Monroes Lieblingsfotografen Sam Shaw eine Retrospektive.

Vor vielen Jahren habe ich einen Bildband mit Fotografien von Marilyn Monroe gekauft. Der Fotograf hatte mich gar nicht interessiert, natürlich ging es mir nur um die Bilder der Monroe. Denn so, wie sie auf diesen Bildern zu sehen ist, hatte ich sie noch nie gesehen. „The New York Years“ zeigt nicht den schillernden Mythos einer Schauspielerin, sondern eine glückliche Frau in einem weißen schlichten Sommerkleid, die Haare – mehr oder weniger – en nature. Das Gesicht gelöst, unverstellt, strahlend.

Sie isst Hot Dog, sucht Hemden und Krawatten für ihren Mann Arthur Miller aus, liest Zeitung auf einer Parkbank, rudert durch den See im Central Park oder lehnt, in einen Bademantel gehüllt, in einem Fensterrahmen. Dieses Bild im Fensterrahmen sei ihr liebstes, schrieb Monroe an den Fotografen. Denn darauf sehe man Norma Jeane.

Monroe war damals eine unbekannte Schauspielerin

Der Mann, der diese und zahlreiche andere Fotos von Marilyn Monroe gemacht hat, war Sam Shaw. Ihm hat die Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim nun eine umfassende Retrospektive gewidmet: „Marilyn und andere Diven: Remembering Sam Shaw. 60 Jahre Fotografie“. Mit dabei das Lieblingsbild Monroes, vor einem magentafarbenen Hintergrund ziert es die Ausstellungsplakate.

Sam Shaw, Marilyn Monroe, New York City, 1954 © Sam Shaw Inc. / www.shawfamilyarchives.com

Shaw und Monroe lernten sich Anfang der 1950er-Jahre kennen und wurden Freunde. Monroe war damals eine noch recht unbekannte Schauspielerin, die zwar bereits bei Twentieth Century Fox unter Vertrag war, aber keine konkreten Rollenangebote hatte. Also fuhr sie Shaw zu seinen Fototerminen.

Romy Schneider beim Zoobesuch

Sam Shaw wurde 1912 in New York geboren und begann seine Karriere als Fotograf in den 40er-Jahren. In den 50ern lieferte er regelmäßig an Magnum Photos, LIFE und Paris Match und machte sich einen Namen in der Filmindustrie als Standfotograf. Er lichtete die Großen des Business ab, Marlon Brando beim Billardspiel, einen jungen Woody Allen, Alfred Hitchcock, die Diven Sophia Loren oder Elizabeth Taylor, den Jazzmusiker Benny Goodman, die Künstler Marc Chagall und Marcel Duchamp oder aber Romy Schneider bei einem Zoobesuch im Jahr 1962.

Sam Shaw, Romy Schneider im Zoo, Rom, 1962 © Sam Shaw Inc. / www.shawfamilyarchives.com

All seinen Starporträts ist eines gemeinsam: Sie zeigen die Menschen hinter dem Star-Konstrukt. Shaw zog es vor, ohne aufwendiges Make-Up, ohne Posen und Dekoration zu arbeiten und wurde für seine „privaten und ungeschminkten“ Porträts bekannt. „Ich persönlich suche, um zu finden. Das Unerwartete zu finden, an der nächsten Ecke, zu sehen, was passiert, ist für mich ein visuelles Abenteuer.“

Das Image als Sexbombe

Es ist in diesem Zusammenhang fast schon Ironie des Schicksals, dass gerade Shaw für das Bild der Monroe verantwortlich ist, welches ihr Image als Sexbombe gefestigt hat. Marilyn Monroe im weißen Kleid über dem Subway-Luftschacht (dessen Luftstrom in Wirklichkeit nicht ausreicht, um ein Kleid dermaßen fliegen zu lassen) am Set von Das verflixte 7. Jahr. Es ist eines der ganz wenigen inszenierten Bilder Sam Shaws.

Ich persönlich suche, um zu finden. Das Unerwartete zu finden, an der nächsten Ecke, zu sehen, was passiert, ist für mich ein visuelles Abenteuer.

Sam Shaw

In den 60er-Jahren begann Shaw selbst Filme zu produzieren, angefangen mit Paris Blues (1961) mit Paul Newman und Sidney Poitier und der Musik von Duke Ellington. Zusammen mit dem amerikanischen Drehbuchautor und Schauspieler John Cassavetes folgten preisgekrönte Filme wie Ehemänner (1970), Die Ermordung eines chinesischen Buchmachers (1976) oder Gloria, die Gangsterbraut (1980). Auch wenn es zunächst so wirkt, Shaw hatte sein Leben bei weitem nicht nur den Stars gewidmet. Schwerpunkt seiner Tätigkeit war der Fotojournalismus.

Shaw hielt den Rassismus fest

Bekannt wurde er durch seine Fotoserie How America Lives. Er reiste durch die USA und hielt deren Lebenswelten fest. Auf den Fotos sehen wir die Jazzmusiker in New Orleans, die von harter Arbeit geprägten Gesichter der Farmer im Mittleren Westen und der Grubenarbeiter in West Virginia. Shaw hielt den Rassismus fest, subtil, anhand der leeren Gesichter seiner Motive.

Sam Shaw, Sheriff in einem Wahllokal, Mississippi, 1946 © Sam Shaw Inc. / www.shawfamilyarchives.com

Er porträtierte Besucher einer Wahlveranstaltung des rassistischen Senators Theodore G. Bilbo oder zeigt einen Sheriff, der 1946 genüsslich und machtbewusst seine Pfeife vor einem Wahllokal raucht, während hinter einer Absperrung seine schwarzen Mitbürger stehen. Vielleicht um ihr Wahlrecht einzufordern, das ihnen seit 1870 zustand, aber erst 1965 umgesetzt wurde. Sam Shaw begleitete die Bürgerrechtsbewegung wie auch die Friedensmärsche gegen den Vietnamkrieg. Seine Fotografien sind amerikanische Zeitgeschichte. Er starb 1999 in New York. 

Die Ausstellung „Marilyn und andere Diven“ zeigt noch bis zum 28. Februar rund 200 Fotografien und Dokumente Shaws. Etwa seinen Presseausweis des Vatikans, einen Brief an Marilyn und zahlreiche Magazine und Bücher mit Shaws Abbildungen auf dem Cover.

Ausstellungsansicht, Marilyn und andere Diven: Remembering Sam Shaw. 60 Jahre Fotografie, Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim, Foto: Marthe Lisson, 2016