Das Schirn Magazin schaute sich auf der ersten „Berlin Art Week“ um und entdeckte im Vorbeigehen Merkwürdiges und Eindrückliches.

Nachdem im letzten Jahr das 1996 gegründete „Art Forum" als Berliner Messe für internationale zeitgenössische Kunst überraschend kurzfristig abgesagt wurde, weil eine Zusammenlegung mit der privat organisierten Konkurrenzschau „art berlin contemporary" („abc") scheiterte, wurde unter der Ägide der landeseigenen Kulturprojekte GmbH und unter Einbindung zahlreicher staatlicher wie städtischer Museen, Kunstinstitutionen und Galerien innerhalb nur eines Jahres die „Berlin Art Week" aus dem Boden gestampft. Diese fand nun in einer derart hohen Taktung statt, dass sie die sonst so tiefenentspannte Hauptstadt in erheblichen Terminstress versetzte.

Es stand allerdings auch nicht weniger auf dem Spiel als die Zukunft des gesamten Kunststandorts. Denn auch in Berlin geht das Gespenst der Gentrifizierung um. Da reicht allein schon die Tatsache, dass der Künstler Thomas Scheibitz sein Atelier in Mitte wegen des Baus privater Luxus-Lofts räumen muss, um die Nerven der gesamten Branche blank liegen zu lassen, die ganz unsexy um ihre Zukunftsfähigkeit im internationalen Metropolenvergleich zittert. Die Dringlichkeit des gesamten Unterfangens war so immens, das Udo Kittelmann, Direktor von u. a. Neuer und Alter Nationalgalerie, sie im Interview mit der Stadtzeitschrift „Tip" nur unter Extrembeugung der deutschen Sprache deutlich machen konnte: „Man kann umso stärker auftreten, je gemeinsamer man eine Sache macht."

Es hieß also, Geschlossenheit zu demonstrieren und so präsentierte sich vom 11. bis 16. September alles, was im Berliner Kunstkontext Rang und Namen hat -- neben der Neuen und Alten Nationalgalerie, dem Hamburger Bahnhof, der Berlinischen Galerie, der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst, dem Haus der Kulturen der Welt, dem Neuen Berliner Kunstverein, den Kunst-Werken, der c/o Berlin und der Akademie der Künste auch über 100 Galerien sowie die drei Messen „Preview", „Liste" und eben die „abc".

Die rasche Planung prägte dann auch das vielfältige, sich oftmals überschneidende Programm dieser ersten Ausgabe der „Berlin Art Week" und schickte nicht nur Berlins Kunst-Elite auf Dauer-Rotation. Vor lauter Eröffnungen und Empfängen, Previews und Performances, Preisverleihungen, Partys und privaten Dinners trafen sich Direktoren, Kuratoren, Künstler sowie die unvermeidlichen Eva und Adele nur auf dem Sprung von A nach B, bevor sie schon zum nächsten Termin eilen mussten. Das führte zu solch kuriosen Situationen, dass die feierliche Art Week-Eröffnung im herrlich verkommenen Stadtbad Prenzlauer Berg bereits nach einer halben Stunde wieder halbverwaist war: Wer noch da war, hatte offensichtlich das nächste Event verpasst.

Die Kunst selbst wurde sozusagen als Streckenposten im Vorübergehen mitgenommen. Doch trotz der Eile gab es viele Entdeckungen zu machen, etwa Michael Sailstorfers ganz untypische, riesige Labyrinth-Bilder bei Johann König oder Thomas Demands nachgebaute, halbleere Schlecker-Regale bei Sprüth Magers. Das Berliner Künstlerkollektiv FORT kaufte gleich die komplette Einrichtung einer Schlecker-Filiale im Prenzlauer Berg auf, um sie als Installation in der Galerie Crone wieder aufzubauen, inklusive des unheimlich in alle Ewigkeiten laufenden Kassenbandes. Ähnlich eindrücklich: Paul McCarthys monumentale „Box" in der Neuen Nationalgalerie, in der er sein Atelier um 90 Grad gekippt nachgebaut hat, sowie Wael Shawkys Filme in den KW Institute for Contemporay Art. Schließlich Cyprien Gaillards anlässlich seiner Ausstellung im Schinkel-Pavillon auf einer anliegenden Baustelle aufgeführte Performance, einem Bagger- und Bulldozer-Ballett, das in seinem temporären Charakter die gesamte Art Week punktgenau einfing.

Das Unfertige, Provisorische prägte auch die „abc" als Herzstück der Berliner Kunstwoche, deren Macher die Bezeichnung „Messe" strikt ablehnen, in Ermangelung eines besseren Titels etwas nebulös stets von „einem anderen Format" redeten und sich schließlich auf „Verkaufsausstellung" einigten. Immerhin konnte man 129 Galerien aus 18 Ländern auf das Areal des ehemaligen Kreuzberger Postbahnhofs am Gleisdreieck locken, dessen Fläche sich im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt hatte. Da man bei der Präsentation vor allem auf Nachhaltigkeit Wert legte und deshalb stark auf wiederverwendbare Gerüste zurück griff, wähnte man sich auch auf der „professional preview" wie auf einer Dauerbaustelle. Da wurde hier noch ausgepackt und aufgebaut, dort zurechtgerückt und weggekarrt, kurz es war ein fantastisches Gewimmel, das zwar nicht allen der zahlreich ausgestellten Positionen gut tat, aber doch dem nimmermüden Anspruch der Kunststadt Berlin bestens gerecht wurde.