Das Frankfurter Museum für Kommunikation zeigt mit der Ausstellung "Jukebox. Jewkbox!" die Popgeschichte des 20. Jahrhunderts aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel.

Es war eine folgenreiche Erfindung. 1887 ließ der deutsch-jüdische Emigrant Emil Berliner in den USA die Schallplatte und das Grammophon patentieren. Schellack und Vinyl sind die Tonträger des 20. Jahrhunderts, sagen die Macher der Ausstellung „Jukebox. Jewkbox!“ im Frankfurter Museum für Kommunikation.

Auf Schallplatten verdichten sich die Erfahrungen einer ganzen Epoche, auch die jüdischen Erfahrungen. Jüdische Erfinder, Musiker, Songwriter und Produzenten haben die musikalische Kultur des Westens vielfach geprägt. Ihnen möchte die Schau, die vom Jüdischen Museum Hohenems entwickelt wurde, nachspüren. 

Unbekannte Seiten berühmter Interpreten 

Zunächst begegnet man Dutzenden von Originalschallplatten aus diversen Jahrzehnten. Allein schon das Studium ihrer Cover kann einen ganzen Tag verschlingen. In einer Lounge lassen sich Musikvideos ansehen. Man stößt auf den Klassiker „If I Were a Rich Man“ aus der Musicalverfilmung „Fiddler on the Roof“ von 1971, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einem russischen Schtetl, einer hauptsächlich von Juden bevölkerten Kleinstadt, spielt. Gwen Stefani nahm Motive des Song auf und bearbeitete ihn 2004 zu „Rich Girl“.

Weniger geläufig ist das 2005 entstandene Video „If I Wasn't Muslim“ des bosnischen Künstlers Damir Nikšić. Seine Version spielt musikalisch und visuell mit dem Original, erzählt aber von den Schattenseiten des Lebens als Muslim. Unbekannte Seiten berühmter Interpreten lassen sich ebenfalls entdecken. In einer Wiener Konzertaufnahme von 1976 singt Leonard Cohen einen Song in Jiddisch, der Sprache des osteuropäischen Judentums. Tom Jones überrascht im Duett mit John Farnham mit „My Yiddische Mamme“, einer Hommage auf die zuweilen als überfürsorglich geltende jüdische Mutter. 

Sie brachen aus der Tradition aus 

Nach und nach wird dem Ausstellungsbesucher klar, wie sehr die (amerikanische) Pop- und Rockmusik seit den 1950ern von Interpreten jüdischer Herkunft mitgestaltet wurde. Oft waren es Söhne und Töchter, Enkel und Enkelinnen von Einwanderern. Bob Dylan, Barbra Streisand, Simon & Garfunkel, Billy Joel machten aber nicht „jüdische Musik“, vielmehr brachen sie aus der Tradition aus.

Plattencover Bob Dylan, Abb.: Museum für Kommunikation, Frankfurt am Main, 2016

In den 1970er-Jahren kam der Punk auf, man rebellierte aggressiv gegen das allzu Angepasste. Punkbands thematisierten provokativ die Traumata der Elterngeneration, spielten offen mit der Holocaust-Thematik. Lou Reed, Mitbegründer von Velvet Underground, kam aus einer jüdischen Familie in Brooklyn. Seine ängstlichen Eltern ließen ihn im jugendlichen Alter in die Psychiatrie einweisen. Den Übergang von Punk zu einer adaptierten, „weißen“ Version von Hip Hop und Rap markierten drei jüdische Jungs aus New York, die sich Beastie Boys nannten. 

Alltäglicher und institutioneller Antisemitismus 

Das Herzstück der Ausstellung ist ein länglicher, beleuchteter Tisch mit Barhockern und Hörstationen. Dort erzählen Autoren und Künstler von Liedern, die sie geprägt haben, und die jeweiligen Songs lassen sich abspielen. Die Pariser Modetheoretikerin Yocheved Aurelia sieht die Beastie Boys als „prima Vorbild für coole Juden“. Als 1986 deren Song „(You Gotta) Fight For Your Right (To Party)“ erschien, lebte Aurelia in West-Berlin. Ihre nichtjüdischen Freunde konnten durch die Musik der Beastie Boys „locker am modernen Judentum teilhaben“, erzählt Aurelia.

Der 1966 geborene Salzburger Schriftsteller Vladimir Vertlib erzählt von seiner Kindheit im sowjetischen Leningrad. Dort hörte er Platten mit jiddischen Kinderliedern und lernte sie auswendig. Erst später erfuhr Vertlib, dass er Jude ist und dass er verbotene Lieder hörte, denn in der UdSSR mussten sich Juden wegen des alltäglichen und institutionellen Antisemitismus bedeckt halten. „Jiddisch ist die Sprache zum Singen“, bekennt der 1975 ebenfalls in der Sowjetunion geborene Publizist Sergey Lagodinsky. Heute lebt er in Berlin. Lagodinsky berichtet, wie eine Platte der Barry Sisters unverhofft seine triste Kindheit in der Provinz aufmischte. Vor allem in den 1950ern und 1960ern nahmen die Barry Sisters populäre jiddische Songs auf. 

Ein ungewöhnlicher Blickwinkel 

Die Ausstellung macht viele wechselseitige Einflüsse deutlich, so zum Beispiel anhand der Zusammenarbeit jüdischer und afroamerikanischer Jazz-Musiker. Auch weniger bekannte Aspekte wie israelischer Pop und religiöse jüdische Musik werden thematisiert. Historische Plattenspieler und eine authentische Rock-Ola-Jukebox fehlen natürlich nicht. „Jukebox. Jewkbox!“ lädt zum Stöbern, Hören und Entdecken ein. Die Schau beleuchtet die Musik- und Popgeschichte des 20. Jahrhunderts aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel.

Ausstellungsansicht "Jukebox. Jewkbox!", Foto: Museum für Kommunikation, Frankfurt, 2016