Am 15. Februar 2013 öffnet die große Yoko Ono-Retrospektive in der SCHIRN. In der Berliner Ausstellung „One On One“ haben wir uns ein Werk der gefeierten Künstlerin angesehen – leider blieb es an diesem Tag stumm.

„Hallo, hier spricht Yoko Ono." Dieser Tage werden in Berlin einige Menschen diesen Satz hören -- mit ein bisschen Glück. In den Kunstwerken (KW) steht ein weißes Telefon auf einem Podest, bewacht von einer Aufsichtsperson und von neugierigen Besucherblicken ins Visier genommen. Alle würden gerne abheben. Denn wenn es klingelt, ist Yoko Ono am Apparat, um etwas zu plaudern. Yoko Onos „Telephone Piece" (auch zu erleben in der Retrospektive in der SCHIRN) aus dem Jahr 1971 ist eines von 17 Werken, die gerade im Rahmen der Schau „One On One" zu sehen sind, viele sind eigens dafür entstanden. In Räumen, die nur von je einer Person betreten werden dürfen, lassen sich die Besucher auf einen intimen Austausch mit Installationen, Environments, Videoarbeiten und Performances ein. Verschieden große White Cubes sind auf mehreren Etagen verteilt, wer einen betritt, hängt ein Schild an die Tür, um zu signalisieren, dass er das Kunstwerk gerade rezipiert. Im Grunde kann er da drin tun, was er will -- es schaut ja keiner dabei zu. Das macht die Ausstellung sehr lebendig. Und teilweise sogar etwas furchteinflößend.

Allein mit dem blauen Dreieck

Etwa bei Joe Coleman. Die Arbeit des US-amerikanischen Künstlers trägt den Titel „A Holy Ghost Compares Its Hooves", und neben der Tür, die sich in einen winzigen Raum öffnet, klebt ein Schild mit Warnhinweis: ab 16 Jahren. Das allein reicht schon für einen kalten Schauer. Und dass da drin im Dunkeln ein echter Mensch mit aufgeklebtem Bart à la Coleman sitzt, und an einem Schreibtisch im schwachen Licht einer Lampe kleine Plastikfiguren für eine vor ihm drapierte Schlachtenszene bepinselt, macht es nicht besser. Wenn dann das Licht aus und ein Screen angeht, wird klar, warum Kinder hier besser nicht rein sollten: Eine Videoarbeit schockt mit schnell hintereinander geschnittenen Szenen schreiender Menschen, aufgeschnittener Körper, mit Exorzismen und satanistischen Ritualen. Doch für Erwachsene lohnt es sich, die Tür zu öffnen, denn in dieser Kiste bekommt man einen wunderbaren Einblick in Colemans Werk, eine gigantische Welt voller Freaks, Abgründe und Serienmörder.

Überhaupt ist das die große Leistung der Schau: Sie erlaubt es Besuchern, sich so intensiv wie nur möglich mit Werken zeitgenössischer Kunst auseinanderzusetzen, ganz bewusst Teil des Prozesses zu werden, in dem es um ästhetische Erfahrung geht, um Decodierung, Assoziation und Erleben. Neben aktuellen Tendenzen wird mit Werken wie Yoko Onos „Telephone Piece" auch die experimentelle Erweiterung des Kunstbegriffs ab den 1960er-Jahren vermittelt. Die Ausstellung ist auf äußerst angenehme Weise didaktisch. Wenn sich der Besucher etwa hinter einer der Türen allein mit Blinky Palermos „Grauer Scheibe" (1970) und seinem „Blauen Dreieck" (1969) befindet, hat er ausreichend Raum für Kontemplation und Reflexion.

Milky Way?

Regelrecht herausgefordert wird der Besucher, wenn er selbst Teil eines der Kunstwerke wird. Annika Kahrs hat zwei nette Herren an ein Klavier gesetzt, deren Spiel die Räume der KW durchflutet, bis jemand den Raum betritt, in dem sie an einem Flügel sitzen. Dann hören sie auf zu spielen und verwickeln den Besucher in angenehmen Small Talk. Anri Sala entschied sich dafür, einen der Räume einfach mit einem Spion zu versehen, der es erlaubt, in einen der anderen Räume zu blicken und damit einen anderen Besucher zum Opfer des eigenen Voyeurismus zu machen -- während dieser selbst in pikanten privaten Dokumenten schnüffelt. Das für die Ausstellung namensgebende Werk „One on One" von Hans-Peter Feldmann besteht aus einer Pappkiste voller Schokoriegel der Marke „Milky Way", die einladend auf einem weißen Podest in einem der White Cubes thront. Ganz klar, zugreifen, meint man, bis man das an dem Podest angebrachte kleine goldene Schild entdeckt, auf dem dezent das Wort „Nein" eingraviert ist. Damit regt der Künstler den Besucher zum Kampf mit sich selbst an, ein humoristischer Coup, der dafür sorgt, dass so manches Lachen aus der weißen Box schallt.

Fordernd ist auch Yoko Onos Telefon, das im Grunde ja nichts weiter als ein Telefon ist. Doch es versprüht die Präsenz der Künstlerin, die Möglichkeit, mit der Grande Dame einmal ganz persönlich zu plaudern, und damit ein außergewöhnliches Maß an Aufregung, das in dieser Form bei der Rezeption eines Kunstwerks selten ist. Schade nur, dass sie höchstens einmal am Tag anruft. Ich war ganze drei Stunden in der Ausstellung, bereit, beim ersten Klingeln sofort einen Sprint zu diesem Telefon hinzulegen. Leider blieb es stumm.

In „One on One" vertretene Künstler: Massimo Bartolini, Nina Beier, Joe Coleman, Trisha Donnelly, Geoffrey Farmer, Hans-Peter Feldmann, FORT, Günter K., Annika Kahrs, Robert Kusmirowski, Alicja Kwade, Renata Lucas, Yoko Ono, Blinky Palermo, Anri Sala, Jeremy Shaw, Tobias Zielony

Tipp: Am 11. Dezember 2012, um 19.30 Uhr, diskutieren Kunsthistorikerin Charlotte Klonk, documenta13-Chefkuratorin Carolyn Christov-Bakargiev, KW-Kuratorin Susanne Pfeffer und der in der Ausstellung vertretene Künstler Jeremy Shaw unter dem Titel „Public Intimacy" gesellschaftliche Entwicklungstendenzen im Hinblick auf den Verlust sowie die Neupositionierung von Privatheit -- passend zum Thema der Ausstellung „Privat", die derzeit in der SCHIRN zu sehen ist!