Kunst und Reisen haben eine lange gemeinsame Tradition. In Wiesbaden zeigt die Ausstellung ECHO RELEASE, welche Formen die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Reiz des Fremden annehmen kann.

Sie haben schaurig geschnitzte Masken aus Holz vor den Gesichtern und tragen bunte Gewänder, die mit kleinen Glocken umsäumt sind: Klirrend und rasselnd durchschreiten die geisterhaften Gestalten die Weite einer flachen, schneebedeckten Landschaft. Der eigentümliche Festumzug scheint sich in einem fernen Land zu ereignen und Brauch einer fremden Kultur zu sein – doch er vollzieht sich im schwäbischen Bad Buchau. Der Künstler John Skoog hat die Narrenzunft Moorochs in der Fastnacht filmisch begleitet und mit „Federsee“ eine wunderbar entrückte Videoarbeit geschaffen. 

Zu sehen ist Skoogs Film gerade im Nassauischen Kunstverein in Wiesbaden. Mit seinen ungewöhnlichen Bildern des deutschen Brauchs kreiert er die Illusion eines unbekannten Ortes und trifft damit den Nerv der Ausstellung „Echo Release“. Denn sie zeigt den Einfluss von Reisen auf die künstlerische Produktion und Arbeiten, die sich mit den Erlebnissen an fremden Orten auseinandersetzen. Dahinter steht ein Konzept, das es bisher so noch nicht gegeben hat: Die jungen Kuratorinnen Aurélia Defrance und Anna-Viktoria Eschbach haben 20 Künstler eingeladen, die aktuell oder in der Vergangenheit das Reise- oder Atelierstipendium der Hessischen Kulturstiftung erhalten haben.

Seit zwei Jahrzehnten ermöglicht die Stiftung in Hessen geborenen und lebenden Künstlern einjährige Auslandsaufenthalte: Während sich konkret um Ateliers in London, Paris, New York und seit Neustem auch in Istanbul beworben werden kann, sind die Ziele des Reisestipendiums frei wählbar. So haben die Künstler dieser Ausstellung Orte wie Buenos Aires, Los Angeles, Angola oder auch die Mongolei aufgesucht. Defrance und Eschbach haben nicht nur Werke ausgewählt, die in der Fremde entstanden sind: Insofern die Künstler nach spezifischen Interessen ihre Zielorte auswählen und die Aufenthalte zu Recherchezwecken nutzen, zeigen sie zu einem großen Teil Arbeiten, in denen sich die auswärtigen Auseinandersetzungen fortführen.

Katharina Stöver und Barbara Wolff arbeiten als Peles Empire zusammen und ihr Name ist Programm: Seit 2005 reproduzieren sie die Räume des rumänische Schlosses Peleș, dessen Innenausstattung stilistisch von Gotik bis Art-Deko reicht, und überführen die Abbilder in neue Ausstellungskontexte. Im Rahmen ihres Reisestipendiums eröffneten sie einen Ausstellungsraum in Cluj, installierten darin die wandfüllenden Reproduktionen des Schlossinneren und brachten damit das Abbild an seinen Ursprungsort zurück. In den Raum, der modifiziert durch die Welt gereist war, wurden Künstler eingeladen, ihre Arbeiten zu zeigen. Das Schloss Peleș ist weiterhin aktiv unterwegs: In Wiesbaden zeigt das Künstlerinnenduo die schwarz-weiß Kopie der Reproduktion eines Raumes, die sich aus einzelnen Papierblättern zusammensetzt und auf Grund ihrer Faltung wiederum räumliche Dimensionen annimmt.

Peles Empires Werk spiegelt die Mobilität wider, mit der sich Künstler heute durch die globalisierte Welt bewegen. Verglichen mit den Anfängen der Künstlerreise, die in der Grand Tour der Renaissance ihre Wurzeln hat, ist das Reisen einfach und alltäglich geworden. Doch die Ausstellung zeigt auch, dass Reisen noch immer bedeutet, sich von der Spezifität eines fremden Orts inspirieren zu lassen. „Die Reise dient als Inspirationsquelle – das ist oft vorschnell gedacht und eine weit verbreitete Assoziation. Doch im Reisen ergibt sich ein zugespitztes Moment, aus dem die Aufmerksamkeit für eine Umgebung resultiert, mit der man interagiert“, konkretisiert Aurélia Defrance den Reiz, der in der Thematik liegt.

Aber die Kuratorinnen involvieren ebenso Arbeiten, die politische Aspekte und die Grenzen der Freiheit aufzeigen. So setzen sich die Arbeiten von Lukas Einsele mit Krisengebieten auseinander, die durch Landminen verseucht wurden. Aus dem Projekt „One Step Beyond“ zeigt er Fotografien von Landvermessungen oder Karten der lebensgefährlichen Felder. In ihnen sind Räume abgebildet, die nur unter bestimmten Voraussetzung und strikter Einhaltung der Wegmarken zu betreten sind. 

Defrance und Eschbach zeigen präzise unterschiedliche Aspekte des Reisens in einer Ausstellung, mit der sie zugleich ihr Masterstudium Curatorial Studies an der Goethe Universität und der Städelschule abschließen. „Für uns war es interessant zu schauen, was von einer Reise übersetzbar ist. Denn Erfahrungen lassen sich nur übersetzt darstellen“, fasst Anna-Viktoria Eschbach abschließend zusammen. Entstanden ist eine überaus sehenswerte Ausstellung, in der die Besonderheiten des Reisens eindrücklich vermittelt und liebevoll unter kritischen Gesichtspunkten betrachtet werden.