Weil er anders sein wollte, wurde er Maler und Bildhauer: Ein neuer Dokumentarfilm kommt dem Kunst-Patriarchen Georg Baselitz erstaunlich nahe.

Er ist konzentriert, arbeitet schnell. Mit einem Spachtel verteilt er Farbe auf der Leinwand, die auf dem Boden liegt. Die Kamera folgt den Händen, fokussiert die Bewegungen. Immer wieder verwischt er, was er kurz zuvor gemalt hat. Aus Linien, Figuren wird eine matschige Masse, auf der in Sekundenschnelle neuen Linien, neue Figuren entstehen.

Wenn Georg Baselitz ein Gemälde erschafft, dann kann das nur in der Horizontalen geschehen. „Das Problem bei mir: Ich arbeite sehr flüssig, sehr dünn und sehr schnell, und dann läuft die Farbe runter und dann mache ich es auf dem Boden", erklärt er. Sein Atelier ist hell, lichtdurchflutet, der Boden voller Farbkleckse. Seine Bilder sind monumental, riesig. Baselitz' Werke bewegen sich zwischen Figuration und Abstraktion. Seine Markenzeichen ist, dass er seine Motive meistens auf den Kopf stellt.

"Ich wollte immer anders sein"

Die Regisseurin Evelyn Schels ist die erste, die Georg Baselitz bei der Arbeit filmen durfte. Über mehrere Jahre hat sie den Künstler immer wieder besucht, war mit ihm in seinem Atelier am Ammersee, in seinem Haus in Italien oder in New York, wo Baselitz eine Ausstellung in der Gagosian Gallery vorbereitete und eröffnete. Sie ist ihm dabei unglaublich nahe gekommen, diesem Querkopf, diesem Eigenbrötler Baselitz.

„Ich wollte immer anders sein, und Maler sein gehörte unbedingt dazu", sagt Georg Baselitz. Er nimmt in diesem Film kein Blatt vor den Mund, wenn er über sich selbst spricht, und auch seine Wegbegleiter, seine Frau Elke, seine Galeristen, seine Söhne tun das nicht -- das macht die Dokumentation so unheimlich spannend.

Wild, kompromisslos, renitent

„Er war neurotisch, verletzlich, sehr zielbewusst und fordernd", beschreibt zum Beispiel Michael Werner, der Baselitz zu Beginn der sechziger Jahre kennenlernte, den Künstler. In Werners Galerie hatte der Maler und Bildhauer seine erste Ausstellung, kurz nachdem er in den Westen übergesiedelt war. Baselitz war damals eng mit Eugen Schönebeck verbunden, noch ein Künstler, der der DDR den Rücken gekehrt hatte. Die beiden hatten sich geschworen, nur gemeinsam auszustellen -- doch der Bund „der Habenichtse" (Baselitz) zerbrach bald.

„Er war der Intelligentere, ich war wilder, kompromissloser, renitenter", beschreibt Baselitz knapp und präzise die Bruchstelle ihrer Freundschaft. Und während Baselitz' Karriere, dank einer skandalumwitterten Ausstellung in Werners Galerie, bei der zwei Bilder beschlagnahmt wurden („Die große Nacht im Eimer" zeigte einen Jungen nach dem Masturbieren), bald an Fahrt aufnahm, geriet Eugen Schönebeck in Vergessenheit und hörte auf zu malen. Erst vor einigen Jahren wurde der Künstler überhaupt erst wiederentdeckt. Die SCHIRN widmete ihm 2011 eine große Retrospektive.

Ein unsicherer Baselitz

Wenn es um Erfolg geht, kennt Baselitz keine Kompromisse, das macht dieser Film deutlich. Dass es ihn wurmt, dass er im berühmten „Kunstkompass"-Ranking hinter Gerhard Richter und Bruce Nauman nur den dritten Platz belegt, versucht er zwar ironisch zu kommentieren. Doch die Verbitterung darüber, dass „dieser Amerikaner und ein älterer Sachse" vor ihm liegen, spürt man trotzdem sehr deutlich. „Er will Erfolg, er will die Nummer eins sein", stellt seine Frau Elke dann auch deutlich klar. Auch sie muss sich seiner Karriere unterordnen. „Ich wollte nie, dass sie selbstständig ist", sagt Baselitz über seine Frau. Es wirkt nicht so, als ob er diesen Standpunkt jemals in Frage gestellt hat.

Doch dann zeigt der Film plötzlich einen unsicheren Baselitz. Zeigt den Künstler, der den Aufbau seiner New Yorker-Ausstellung beobachtet und der der Kamera gesteht, dass er „wahnsinnig aufgeregt, wie beim ersten Mal" ist. „Bist du noch da? Akzeptieren die Leute das noch?", fragt er sich. 

An anderer Stelle lässt ihn die Regisseurin über das Verhältnis zu seiner Familie sprechen, die im Osten Deutschlands geblieben ist, während er im Westen zum Kunststar avancierte. „Ich hätte mehr schreiben können, telefonieren ging ja nicht, aber wenigstens Pakete schicken", gesteht ein sichtbar nachdenklicher, ein selbstkritischer Baselitz ein.

In kurzen Momenten wird der Patriarch zum Zweifler, wird aus dem Ungestümen ein Grübler. Das bekannte Baselitz-Bild beginnt zu bröckeln, wenn auch nur für ein paar Minuten. „Er ist heute ruhiger geworden. Mit den Enkelkindern macht er all das gut, was er mit den Kindern falsch gemacht hat", charakterisiert ihn der Sohn. 

Und Baselitz selbst, wie sieht er sich? „Alles, was ich gemacht habe, habe ich sehr heftig gemacht, das Gute wie das Schlechte." Mit ihrem Film hat Evelyn Schels diesem widersprüchlichen Charakter ein erstaunliches Denkmal gesetzt.