In Hannover bestreiten drei Institutionen eine große Überblicksschau zur internationalen, zeitgenössischen Kunstszene in Deutschland. Bis zum 19. August ist im Kunstverein, dem Sprengel Museum und der Kestnergesellschaft »Made in Germany Zwei« zu sehen.

Hunderte Metallketten mit schweren Gewichten hängen von der Decke. Mal liegen die Blöcke auf dem Boden, mal pendeln sie leicht im Raum. Ihr Arrangement gleicht einem Labyrinth. Die Arbeit »Durchbruch ohne Schwäche« (2011) von Alicja Kwade zeigt Uhrenpendel ohne Gehäuse, ohne Ziffernblatt, ohne Zeit. Hier wird gleich beim Eintritt in den Kunstverein Hannover der hektische Schritt verlangsamt und der Sinn für das Detail geschärft.

Erfahrung statt mystische Botschaften

Nach raumgreifenden Installationen von Benedikt Hipp, Simon Fujiwara und Saâdane Afif, die allesamt Geschichten erzählen, will die Videoprojektion »Toga« (2010/2011) von Marcellvs L. nicht mehr sein, als sie wirklich ist. Aus nächster Nähe hält er die Drehbewegung einer Spule fest, auf die ein buntes Schleppnetz gewickelt ist. Das Sinne betäubende Bild verläuft von oben nach unten und wird begleitet von einem dumpfen, elektronischen Sound aus Bassboxen. Bild und Ton verändern sich und bleiben doch immer gleich – ein Effekt, der auf Erfahrung zielt.

Eingefroren scheinen dagegen Ulla von Brandenburgs steife Vorhänge. Für die Arbeit »Kulisy« (2010) hat sie zahlreiche Stoffe hintereinander drapiert und eine bühnenartige Installation geschaffen, die weder bespielt noch belebt werden kann. Vorhang auf heißt hier wohl Vorhang zu.

Ein frecher Kommentar

Im Stile einer Biennale geht es auch in den anderen Häusern weiter: Neue künstlerische Positionen werden gegenübergestellt. Im Sprengel Museum besetzt Mandla Reuter den gesamten Museumsplatz. Der verwinkelte und überdachte Hof dient ihm als ideales Feld, um, wie es im Begleitheft heißt, »die Orte durch Kontextverschiebungen zu definieren und verändern«. Neben der 35-mm-Filmprojektion »The Shell« (2011) präsentiert Reuter einen rot gesprenkelten Findling auf den ebenfalls rötlichen Pflastersteinen und behauptet, unter ihm eine Fernbedienung und eine Plastiktüte versteckt zu haben. Um die scharfe Ecke des Raumes verlegt er ein schwarzes Abflussrohr mit der weißen Ortsmarkierung »Hannover«. Geschickt reagiert Reuter auf die architektonischen Gegebenheiten vor Ort.

Simon Denny dagegen erlaubt sich einen frechen Kommentar. An die weißen Wände lehnt er schwarze, mit durchsichtiger Folie überzogene Holzplatten. Angeblich sind es die Fußböden, auf denen sich Lena Meyer-Landrut für den »Eurovision Song Contest« qualifizierte. Hannover bringt die Stars hervor, oder – besser – heißt sie gern willkommen. Denn von unbekannten Namen kann keine Rede sein, wenn in »Made in Germany Zwei« Omer Fast, Cyprien Gaillard, Michael Riedel und Mike Bouchet vertreten sind.

Die Idee der Biennale

In der Kestnergesellschaft lässt sich doch ein Künstler neu entdecken. Jean Guillaume Ferrée, ein Alter-Ego von Dirk Dietrich Henning, fristet hier sein Dasein. In einem verwüsteten Klinikzimmer sitzt er regungslos als Pappmaché-Figur hinter dem Schreibtisch. Schon beim Betreten der dunklen Räume knarren die Dielen, das Haus im Haus wirkt zerbrechlich. Doch der Spuk ist leider beendet, bevor es gruselig wird. Nebenher plätschern vier Zimmerspringbrunnen des Künstlerduos Keller/Kosmas (AIDS-3D). Ein Mini-Computer bringt sie zum Leuchten. Erlischt das Licht, spendet er seine Energie der Internetplattform »World Community Grid« zur Unterstützung internationaler Forschungsprojekte. Hier findet die virtuelle, unsichtbare Vernetzung ihr Abbild im An/Aus einer kleinen Lampe.

Eines lässt sich feststellen: Die Idee der Biennale hat sich als Ausstellungsformat durchgesetzt und wird von Museen und Institutionen aufgegriffen. In Kooperationen bestreiten sie Großprojekte und steigern die Besucherzahlen. Ganz ähnlich fasst Pompeo Molmenti bereits 1897 das Ziel der ältesten Biennale in Venedig zusammen und behauptet schlicht, dass sie veranstaltet wird um »die Attraktivität der einzigartigen Stadt zu steigern«. In Hannover lassen 2012 abseits der Tendenzen und Kategorisierungen, die das Kuratorenteam vorschlägt, zahlreiche tiefgründige und innovative Einzelpositionen finden.