Es stößt Revolutionen an und führt menschlichen Narzissmus ad absurdum: Das Museum Angewandte Kunst zeigt eine Ausstellung über den Fluch und Segen von Mobiltelefonen.

Gehört man zu den Menschen, die sich hauptsächlich mit gekrümmten Rücken und den kurzsichtigen Blick auf Brusthöhe gerichtet fortbewegen, so mag es hilfreich sein, dass im Museum Angewandte Kunst zur Zeit ein Netz mintblauer Linien auf dem Boden aufgezeichnet ist. Es verbindet die einzelnen Quadranten des Richard-Meier-Baus miteinander und führt durch die Ausstellung "Hamster Hipster Handy". Doch, Achtung! Nicht alle Linien führen zu den Exponaten. Manche laufen einfach ins Leere. Ganz so wie es beim nachempfundenen Mobilfunknetz ist.

Ist die Darstellung des Handys auf dem Ausstellungsplakat ambivalent -- ein dunkles Objekt mit Heiligenschein -- so spiegelt sich die Zwiespältigkeit auch in der Ausstellung wieder. Dieser beinahe sakrale Kult um ein zentrales Objekt unserer Zeit wird von den Kuratorinnen und Kuratoren nicht frei von Ironie aufgegriffen. Es werden Objekte ausgestellt, die einerseits aus der materiellen Alltagskultur stammen und andererseits aus dem künstlerischen Kontext.

Die Gegenstände aus dem Alltag stellen teilweise Höhepunkte eines absurden Konsums rund um das Handy dar: eine Handyhülle mit integriertem Schlagring oder ein altertümlicher Telefonhörer, der an das Mobiltelefon angeschlossen wird. Doch natürlich sind hier auch Handys zu finden, ein Teil der Ausstellung setzt sich mit der Nachhaltigkeit des Mobiltelefons auseinander. Dort werden fair produzierte Handymodelle gezeigt, Apps und YouTube-Videos, die das Thema Nachhaltigkeit aufgreifen. Sie verkörpern am deutlichsten, welche negativen Seiten der stetige Hunger nach dem immer aktuellsten Handymodell mit sich bringt: in die Höhe schnellende Elektroschrott-Müllberge in Westafrika und Indien und immer weiter schrumpfende Bestände der Rohstoffe an Seltenen Erden.

So beschäftigen sich die Exponate im künstlerischen Kontext eher mit den sozialen und kulturellen Veränderungen, die das Handy für die Gesellschaft mit sich bringt. Steht es in den Fotografien bei David LaChapelle stellvertretend für eine verschwenderische Konsumkultur und eine mediale Zerstreutheit, so wird es bei Lynn Hershman Leeson hingegen zum ästhetischen Motiv. Über ihr Selbstporträt legte sie die Optik eines gesprungenen Iphone-Bildschirms und macht das negative Erlebnis zum ästhetischen Moment. Auch Britta Thie (zur Zeit mit ihrem Digital Art-Projekt "Translantics" in den virtuellen Räumen der SCHIRN zu sehen ist) macht die ästhetische Eigenschaft eines iPhone-Bildschirms sichtbar, in dem sie die Wischspuren auf der Oberfläche des Bildschirms zeigt. Die Muster sind manchmal kubistisch, manchmal sind es Wellenbewegungen oder eine aufwendige Lockenform.

Die stärkste Bedeutung, die dem Handy zukommen kann, zeigt sich jedoch in der Fotografie "Illumination" (2009) des chinesischen Künstlers Ai Weiwei. Der für seine Regimekritik bekannte Künstler schoss im Moment seiner Festnahme ein Selfie mit dem Smartphone. Schon die sakrale Bildsprache des Selfies spricht dem Handy eine heilsbringende Fähigkeit zu. Tatsächlich steht das Selfie Weiweis als eines von wenigen Exponaten für einen positiven Aspekt: das Handy als politisches Instrument. Dank der ununterbrochenen globalen Vernetztheit, der Möglichkeit zu texten und zu fotografieren kann fast zeitgleich der ganzen Welt gezeigt werden, was gerade passiert. Mit nur einem Finger kann jeder mit der globalen Öffentlichkeit kommunizieren, mit nur einem Hashtag an gesellschaftlichen Diskursen teilhaben und sogar Revolutionen anstoßen.

Doch bringt die Allgegenwärtigkeit der Linse auch Negatives mit sich. So kann fast jeder in der Installation "Menschentracks" von Florian Mehnert in über vierzig Videosequenzen das Leben völlig fremder Menschen durch die Kamera ihrer gehackten Handys verfolgen. Auch wenn die Gesichter unkenntlich gemacht wurden, dürfte der Gedanke unwissentlich mit seinem persönlichen Alltag im Museum ausgestellt zu werden die meisten Besucher gruseln.

Dann wiederum gibt es die Menschen, die sich dem Kult um das Abbilden des eigenen Gesichts und Körpers mit größter Leidenschaft hingeben: dem Selfie. Für manche ein alarmierendes Anzeichen eines um sich greifenden Narzissmus, für anderen eine Möglichkeit, sich einer perfekten und heilen Illusion hinzugeben. Die Künstlerin Laurel Nakadate unterwandert die Auflagen der dauerfröhlichen Selfie-Gemeinschaft und des Gebotes einer erfolgreichen Selbstvermarktung, indem sie sich jeden Tag weinend fotografiert. Auch Alberto Frigo unterwandert die Selbstinszenierung des Selfie-Kults, indem er jahrelang alles fotografiert, was er in seine rechte Hand nimmt. Doch wie mit allen Eigentümlichkeiten und Ideen, finden sich auch im weltweiten Netz immer irgendwelche Gleichgesinnte. Und so wächst die Anhängerschaft um das so genannte "Lifelogging", der kompletten Aufzeichnung des eigenen Lebens.

Ob man nun eher nach dem Hipster kommt, der Handy-bejahenden Kunstfigur des 21. Jahrhunderts oder nach dem berühmten Kaninchen vor der Schlange -- hier also der Hamster -- man sollte das eigene Smartphone in dieser Ausstellung auf keinem Fall im Schließfach lassen. Denn einige der Arbeiten funktionieren nur mit dem Handy des Besuchers und sind schon gar nicht im White Cube anzutreffen. Steht der Besucher vor einer blanken Wand, an der Router hängen, muss er zu seinem eigenen Smartphone greifen, sich in das vor ihm befindliche W-Lan-Netz einloggen und seinen Browser öffnen, um sich die Exponate anschauen zu können. Man sollte sich also für ein paar Stunden vom Bann des Mobiltelefons hypnotisieren lassen und mit bläulich beleuchtetem Gesicht in die Ausstellung „Hamster Hipster Handy" des Museums Angewandte Kunst gehen.