Ein medialer Overkill begleitete die bis dato weltweit größte Einzelausstellung Ai Weiweis in Berlin und nährte die Befürchtung, dass überbordender Personenkult sein Werk verdecken könnte – das SCHIRN MAG hat im Martin-Gropius-Bau die Kunst hinter dem Künstler gesucht.

Ai Weiwei Superstar: Ein bislang in dieser Dimension nicht bekannter Hype um den chinesischen Konzeptkünstler führte unlängst zur eindrücklichen Demonstration hiesiger Medienvielfalt, als gleich alle drei führenden deutschen Kunstmagazine mit ein und demselben Titelthema aufmachten (Ai Weiwei), sämtliche überregionalen Tageszeitungen entweder ein Interview führten (mit Ai Weiwei) oder eigens ein Cover designt bekamen (von, tja, wem wohl?) - höchstwahrscheinlich reiner Zufall, dass nicht auch die Zeitschriften Bäckerblume und Medi & Zini eine Audienz im Pekinger Atelier des Künstlers erhielten. Was war also passiert? Und wie konnte ein Künstler, der noch 2010 in der Tate Modern London, 2009 im Haus der Kunst in München oder mit seinem documenta 12-Beitrag vor allem inhaltlich überzeugen konnte, plötzlich einen mediale Lawine lostreten, gegen die sich selbst der riesenhafte Auftritt Matthew Barneys jüngst in München still ausnahm?

Nun sind bei Ai Weiwei spätestens seit dem verhängten Ausreiseverbot Leben und Werk unmöglich voneinander zu trennen, wie die SCHIRN-Ausstellung „Privat“ vor zwei Jahren mit den minutiös festgehaltenen Fotografien privater Idylle und staatlicher Repression eindrücklich dokumentierte. Mit Erfolg nutzt der Künstler seitdem seine existenzielle persönliche Situation zur Mythosmehrung: Wird ein Jeff Koons lautstark für seine Egomanie kritisiert, gibt man sich bei Ai Weiwei kleinlaut, da er als Revolutionär für Redefreiheit, Gewaltenteilung und Mehrparteiendemokratie kämpft statt für Image, Mammon und Marktwert. Vielmehr reiht sich die Journaille brav zum Hausbesuch ein und bedankt sich mit human interest-Stories, die Ai Weiwei wahlweise mit Gutmenschen wie Wolf Biermann vergleichen oder gleich zum Buddha der Zukunft ausrufen. Das fügt dem Bild des autarken Künstlers ähnlichen Schaden zu wie die vorangetriebene Instrumentalisierung als Politikum; die Causa Ai Weiwei nährte als Staatsaffäre inklusive Unterschriftenaktion und Aufruf durch Kulturstaatsministerin Monika Grütters nur noch mehr den Nervenkitzel im Vorfeld der Ausstellung mit der alles beherrschenden Frage: Kommt er oder kommt er nicht?

Soviel war dann zur wegen Überfüllung gesperrten Pressekonferenz aber klar: The artist is not present, sein Geist aber schwebt über allem im Gropius-Bau und lädt jedes der ausgestellten Objekte nochmals auf mit Bedeutung und Redlichkeit. Doch können die Arbeiten auch ohne die Aura ihres Über-Urhebers bestehen? Schließlich hatte bereits Ai Weiweis Beitrag zur letzten Venedig-Biennale dem Vorab-Wirbel um seine Teilnahme am deutschen Pavillon in Form eines Holzschemel-Mobiles wenig entgegenzusetzen und blieb fortan nahezu unerwähnt.

Jene Hocker, genauer 6000 Stück, gesammelt in verlassenen Haushalten in Nordchina, begrüßen denn auch die Besucher im Lichthof des Martin-Gropuis-Baus und eröffnen einen durch 18 Räume verlaufenden Parcours mit runden 40 Arbeiten, die fast allesamt in den letzten sieben Jahren entstanden sind; das Frühwerk müssen einige wenige Readymades aus der New Yorker Zeit vertreten. Das ist imposant bis brachial in seiner Wirkung und funktioniert besonders gut, wenn Ai Weiwei Gegenwart und Vergangenheit seines Landes so simpel wie effektiv miteinander verquickt wie bei seinen antiken, in modernen Metallic-Autolack getauchten Vasen.

Prätentiös wird die Ausstellung dann, wenn der Künstler die eigene Leidensgeschichte stellvertretend für ein ganzes Volk zum Thema seiner Werke macht: Der Nachbau jener Zelle, in der er 2011 für drei Monate inhaftiert war oder die in Jade nachgebildeten Handschellen geraten zu Requisiten der eigenen Biographie. Es bleiben dem Künstler und seiner Kunst zu wünschen, dass das staatlich auferlegte Martyrium bald ein Ende findet, bis dahin aber geht die neverending Ai Weiwei-Story weiter.