Anlässlich des 175. Paulskirchenjubiläums lädt das Netzwerk Paulskirche zu den „Frankfurter Tagen der Demokratie“. Was kann Kunst in der aktuellen Debatte um die Zukunft der Demokratie beitragen? Der Kunstverein Mañana Bold gibt mit „Formation of Power – Performing Democracy“ von Mai bis Juli erste Aufschlüsse.

„Mehr Demokratie wagen!“ – das deklarierte Willy Brandt 1968 in seiner ersten Regierungserklärung, rund 120 Jahre, nachdem die Paulskirche 1848 zum Tagungsort der Frankfurter Nationalversammlung wurde. Doch selbst in unserer Gegenwart wird noch immer viel über den Zustand der Demokratie, ja sogar über ihren nahenden Untergang diskutiert. Wir leben in einem Zeitalter der Multi-Krisen. Demokratien stehen weltweit unter Druck. In dieser Stimmungslage kommen die „Frankfurter Tage der Demokratie“ anlässlich des Paulskirchenjubiläums gerade recht. Was kann Kunst in der aktuellen Diskussion um die Zukunft der Demokratie beitragen? Unter dem Titel „Formation of Power – Performing Democracy“ findet von Mai bis Juli das interdisziplinäre Performanceprogramm des Kunstvereins Mañana Bold statt und bietet erste Aufschlüsse.

Design für Alle!

Starten wird das Programm mit dem performativen Workshop „Giving the Voice“ von The Rodina. Das Designkollektiv aus Amsterdam verbindet in seiner Arbeit Elemente des Grafikdesigns mit performativen Ansätzen und der Erfahrung der kollektiven Praxis. Der eintägige Workshop widmet sich nicht zufällig dem wichtigsten Instrument der Demokratie: der Stimme. In Anlehnung an Hannah Arendts und Judith Butlers Ideen zu pluralem Handeln werden die Teilnehmer*innen ihre kollektive Stimme verstärken, indem sie aus Plakaten Megaphone entwerfen, um diese in einer performativen Versammlung vor der Paulskirche zum Einsatz zu bringen. Dabei spielt auch der Körper der Teilnehmenden eine Rolle. Sich zu versammeln, zu reden und damit den Platz als öffentlichen Raum einzunehmen, ist in die DNA eines jeden Protests und einer jeden Demonstration eingeschrieben. The Rodina öffnen den Designprozess und laden zwischen Spiel und Aktion dazu ein, sich der eigenen Stimme zu versichern und Demokratie mitzugestalten. 

The Rodina (c) the artists

„The Rodina verfolgt ein spannendes Konzept“, sagt Felix Kosok, der das Programm kuratiert hat. „Besonders der Ansatz des performativen Grafikdesigns zeigt sehr schön, dass jede/r Einzelne die Macht hat, eigene Dinge zu erschaffen.“ Der Grafikdesigner und Designwissenschaftler beschäftigt sich in seiner Arbeit selbst mit der Frage, wie demokratisch Design sein sollte. Wie sollen Städte aussehen, in denen wir leben? Wie muss ein öffentlicher Platz gestaltet sein, damit wir uns dort gerne aufhalten? Design ist weit mehr als die Gestaltung schöner Dinge. Wie sehr Strukturen im öffentlichen Raum interne Machtbeziehungen verkörpern und sogar Menschen ausschließen, zeigt das Beispiel der Parkbank. Viele von ihnen so unbequem, dass man sie lieber schnell wieder verlassen, als sich länger auf ihnen niederlassen mag. Der öffentliche Raum muss demokratischer werden, auch hier sind alle zivilgesellschaftlichen Akteur*innen gefragt.

Beson­ders der Ansatz des perfor­ma­ti­ven Grafik­de­signs zeigt sehr schön, dass jede/r Einzelne die Macht hat, eigene Dinge zu erschaf­fen.

Felix Kosok
(K)ein Ausweg aus der Selbstverwirklichung?

Wir leben in einer Welt des Hyper-Individualismus. Ständig posten oder liken wir, ständig inszenieren wir uns selbst. Ob in den Sozialen Medien, auf der Arbeit oder im Privaten: „Unsere Generation ist stark von Selbstverwirklichung getrieben, wir performen eigentlich die ganze Zeit“ sagt Felix Kosok. Was passiert mit kollektiver Praxis, wenn Selbstdarstellung immer mehr erschöpft und ermüdet? Dieser Frage gehen Artmann&Duvision in ihrer Tanzperformance „A Voice of a Generation“ nach und nehmen das stets um sich selbst kreisende, allzeit vernetzte Individuum in den Blick. Dabei bewegen sie sich an der Schnittstelle von neoliberalem Selbstverständnis, Performancezwang und Leistungsdruck. Auch in „A Voice of a Generation“ spielt die Stimme der Einzelnen eine zentrale Rolle: an diesem Abend jedoch in Form von Rezitationen bekannter Popsongs. Dabei verzichtet die Tanzperformance auf den erhobenen Zeigefinger, denn wir alle hängen in der Selbstverwirklichungsspirale fest. Die Frage ist nur; wie finden wir da gemeinsam wieder raus?

©Arne Schmitt
Augmented Reality für mehr Teilhabe

Demokratie lebt von Partizipation und Teilhabe. Wer aber nimmt eigentlich teil an Demokratieveranstaltungen und Kunstperformances? Diese Frage ist Ausgangspunkt der Arbeit „Reclaim your City“ der Künstlerin Nadine Kolodziey. Niedrigschwellige Partizipationsmöglichkeiten zu schaffen, muss indes nicht immer kompliziert sein. Für die Teilnahme an „Reclaim your City“ reicht ein Smartphone und die App Instagram völlig aus. Die Künstlerin hat für das Projekt eigene Instagram-Filter und Figuren entworfen, die zur Interaktion und einer kreativen Form der Aneignung unserer Städte einladen. Die Illustrationen basieren auf der Arbeit zum „DemokratieWagen“, einem 20 Meter langem Linienbus von mehr als wählen e. V., der in den verschiedenen Frankfurter Stadtteilen unterwegs ist und mit Menschen direkt vor Ort zentrale politische Fragen diskutieren will. Dabei ist die Arbeit auch als Aufruf zu verstehen, sich den öffentlichen Raum wieder vermehrt anzueignen, denn nicht nur die gemachten Strukturen, sondern die gelebten Strukturen jedes Einzelnen zählen.

Nadine Kolodziey
DemokratieWagen, Foto: Ben Christian
DemokratieWagen, Foto: Ben Christian
Das Ende der Demokratie?

Seit 2012 befinden sich mehr Staaten in einem Autokratisierungs- als in einem Demokratisierungsprozess. Das zeigen Recherchen des Varieties of Democracy-Projekts (V-Dem). Was also, wenn die Demokratie nicht standhaft ist? In der Performance „After Democracy“ wagen sich andpartnersincrime an ein ziemlich düsteres Gedankenexperiment, denn hier ist die Demokratie bereits gescheitert.

Aus einer Zukunft, in der es keine repräsentative Politik mehr gibt, werfen die Teilnehmenden einen Blick auf das Frankfurter Rathaus am Römer: dem Repräsentationsort einer vergangenen Demokratie. Die iranisch-stämmige Journalistin Shahrzad Osterer (die auch in Wirklichkeit Journalistin beim Bayerischen Rundfunk ist) leitet die Teilnehmer*innen in einer performativen Führung durch die Ruinen der Demokratie. Zeitzeug*innen kommen zu Wort und Herrschaftssymbole der Römer-Architektur werden genauer in den Blick genommen. Was war repräsentative Demokratie, wie hat sie funktioniert? „Woran Demokratie scheitern könnte, muss jeder für sich selbst entscheiden“ sagt Felix Kosok und meint damit wohl auch, zu entscheiden, was man selbst dafür tun kann, damit dieses Schreckensszenario nicht eines Tages Wirklichkeit wird.

(c) Marc Behrens

FORMATIONS OF POWER – PERFORMING DEMOCRACY

13. Mai - 28. Juli 2023

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