Die Doppelausstellung an der Frankfurter Goethe-Uni blickt zurück auf die Studentenbewegung von 1968 und ihre Vorläufer. Zugleich liefert sie eine zeitgenössische künstlerische Perspektive auf die Proteste.

Es sind ikonische Fotografien. Theodor W. Adorno, die wohl bekannteste Stimme der gesellschaftskritischen „Frankfurter Schule“, diskutiert sichtlich aufgebracht mit Studenten. Es ist Januar 1969, Studenten der Frankfurter Universität haben das von Adorno geleitete Institut für Sozialforschung besetzt, irgendwann ruft der führende Kopf der „Kritischen Theorie“ die Polizei. Barbara Klemm, die später auch als Pressefotografin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bekannt wird, ist im besetzten Institut für Sozialforschung genauso zur Stelle wie später, im Jahr 1970, als in der Frankfurter Kaiserstraße junge Menschen gegen den Vietnam-Krieg demonstrieren.

Eine Phalanx von Demonstranten läuft Hand in Hand auf den Betrachter zu, im Hintergrund zeichnen sich wehende Fahnen und der Frankfurter Hauptbahnhof ab. Klemm, Jahrgang 1939, gilt als Chronistin der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. Sie hat auch die 1968er-Studentenrevolte in Frankfurt begleitet. Ihre Fotografien sind Teil der Doppelausstellung „Kunst der Revolte // Revolte der Kunst“, die im Ausstellungsraum des Frankfurter Universitätsarchivs und im Studierendenhaus auf dem ehemaligen Campus Bockenheim zu sehen ist.

Die Frankfurter Uni - ein Zentrum der 68er Studentenrevolte

Die Ausstellung rekonstruiert anhand von Originaldokumenten und unter Einbeziehung künstlerischer Positionen die Vorläufer der '68er-Revolte in Frankfurt, das neben Berlin ein bedeutendes Zentrum der Studentenbewegung war, und beleuchtet ihre Nachwirkungen Zusammengestellt wurde die Schau von Michaela Filla-Raquin, Promovendin an der Hochschule für Gestaltung Offenbach, und der Kuratorin Andrea Caroline Keppler. Schon während ihres Studiums an der Goethe-Universität hat Michaela Filla-Raquin im Universitätsarchiv gearbeitet.

Ausstellungsansicht Kunst der Revolte // Revolte der Kunst, Werke von Barbara Klemm, 2018, Foto: Eugen El
Ausstellungsansicht Kunst der Revolte // Revolte der Kunst, 2018, Foto: Ferdinand Sander

„Ich war total fasziniert vom 'diskus' der 1960er Jahre“, sagt Filla-Raquin über das gestalterisch und journalistisch ambitionierte, zeitkritische Frankfurter Studentenmagazin, das seit 1951 erschien und in der Ausstellung mehrfach zu sehen ist. Der Schriftkünstler Franz Mon wirkte dort mit, auch der Künstler und spätere Städelprofessor Thomas Bayrle sowie die Theaterfotografin Abisag Tüllmann. Peter Weiss und Peter Handke veröffentlichten im „diskus“ literarische Texte. Während ihrer Zeit am Universitätsarchiv traf Michaela Filla-Raquin auch Siegfried Bartels, der von 1964 bis 1968 die „Studiogalerie“, einen überregional beachteten studentischen Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst, leitete.

Die 68er? Die haben schon viel früher begonnen!

Dort hatten beispielsweise Künstler wie Carl Andre, Donald Judd und Sol Lewitt ihren Auftritt – lange bevor es das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt gab. Diese und weitere Initiativen standen im Frankfurt der Sechziger für einen ästhetischen Aufbruch. Das Politische musste nachziehen. „Es geht darum zu zeigen, dass '68 schon viel früher begonnen hat“, so formuliert Michaela Filla-Raquin ein Ziel der Ausstellung. Eine weitere studentische Initiative, deren Wirken in der Ausstellung deutlich wird, ist die „neue bühne“. 1953 gegründet, wurde sie unter der Leitung des späteren Theaterverlegers Karlheinz Braun zu einer experimentellen, politischen Hochschulbühne.

Fotografien aus dem Jahr 1968 in Frankfurt (Detail), Foto: Eugen El
Ausstellungsansicht, Kunst der Revolte // Revolte der Kunst, 2018, Foto: Ferdinand Sander

Gespielt wurden Bertolt Brecht und Jean-Paul Sartre, aber auch Stücke des sowjetischen Avantgardeschriftstellers Wladimir Majakowski. Die „neue bühne“ gilt als Vorläufer des legendären „Theater am Turm“ (TAT), an dem 1969 das antiautoritäre Mitbestimmungsmodell ausprobiert wurde. Während in den abgedunkelten Räumen des Universitätsarchivs viele Originaldokumente, Fotografien und Plakate die Akteure und Atmosphäre der Sechziger zurück ins Gedächtnis rufen, setzt sich die Schau im Studierendenhaus, einem Originalschauplatz, fort. 1967 entstandene Aufnahmen der damals hier angesiedelten „Studiogalerie“ zeigen geometrische Kunst in blitzblanken Fluren. Heute präsentiert sich das Studierendenhaus, das nach dem 2019 geplanten Wegzug der AStA-Studentenvertretung als „Offenes Haus der Kulturen“ weitermachen möchte, übersät von Aufklebern, Plakaten und Wandgraffitis meist politischen Inhalts.

Der Kampf geht weiter

Im ersten Stock zeigt eine aufwendig recherchierte Plakatreihe eine Chronologie wichtiger Ereignisse und Strömungen im Frankfurt der Sechziger aus studentischer Sicht. Die Entwicklung kulminiert 1968 – dem „Jahr der Revolte“. Die Schockwellen des Berliner Attentats auf den Aktivisten Rudi Dutschke und der Studentenproteste in Paris erreichten damals auch Frankfurt – es folgten Institutsbesetzungen und Demonstrationen. In der aufgeheizten, radikalisierten Atmosphäre musste zum Beispiel die „Studiogalerie“ schließen: Kunst galt vielen '68ern als bürgerlich und konterrevolutionär. Unter dem Schlagwort „Der Kampf geht weiter“ liefert das so betitelte Plakat Einblick in die Frankfurter Hausbesetzer- und Frauenbewegung der Siebziger.

Ausstellungsansicht Kunst der Revolte // Revolte der Kunst, 2018, Foto: Ferdinand Sander
Ausstellungsansicht, Werk Frankfurter Hauptschule, 2018, Foto: Eugen El

Die Schau klingt im zweiten Stock des Studierendenhauses mit Arbeiten des Filmemachers Harun Farocki (1944-2014), der Künstlergruppe „Frankfurter Hauptschule“ und der „Realism Working Group“ aus. Die „Frankfurter Hauptschule“ zeigt eine Videocollage aus mehr als 200 süffisant vorgetragenen Aphorismen, am Ende brennt ein Polizeiauto. Harun Farockis Filme „Ihre Zeitungen“ (1968) und „Nicht löschbares Feuer“ (1969) verdienen besondere Beachtung. Wie die gesamte Ausstellung, gleichen sie einem Tauchgang in eine entrückte Vergangenheit, als eine normierte westdeutsche Nachkriegsjugend den Wandel zur pluralistischen Gesellschaft anstieß.

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