„One Million Years – Past and Future“ von On Kawara in Frankfurt

Sevenhundredsixtythousandsixhundredfortynine BC, twohundredfiftyeightthousandninehundredfifty AD ... Zeit ist relativ. Mal zieht sich ein kurzer Moment in die Ewigkeit, mal lassen sich gleich mehrere Jahrhunderte in zwei Jahreszahlen pressen. Der längste Schnitt der Filmgeschichte springt innerhalb von Sekunden von der Entstehung des Menschen bis hin in die ferne Zukunft, in der die Menschheit hoch entwickelt den Weltraum besiedelt. Mal springt man über ein paar Blätter durch die Menschheitsgeschichte, mal zieht innerhalb von einer Sekunde ein ganzes Leben an jemandem vorbei. Zeit kommt, fließt, stagniert, läuft, dehnt sich, krümmt sich. Sie lässt sich jedoch kaum erfassen. Auch nicht, wenn man sich ein ganzes Leben lang mit ihr beschäftigt. Und auch nicht wenn man eine Million Jahre in sein Leben steckt.

Die Kurz­wei­lig­keit einer ganzen Spezies

Der japanische Konzeptkünstler On Kawara hat sich sein ganzes Leben lang mit dem Verhältnis der Menschen zur Zeit auseinandergesetzt. Sein Werk "One Million Years" ist monumental und umfasst 20 Bände. Der erste Teil dieses Projekts heißt "One Millione Years [Past]" und ist aus dem Jahr 1969. Die Bücher beinhalten eine Million ausgeschriebener Jahreszahlen von dem Jahr 998.031 B.C. bis 1969 A.D. Der zweite Teil der Arbeit "One Million Years [Future]" wurde 1981 fertig gestellt und beinhaltet eine Million Jahreszahlen von 1996 A.D. bis 1.001.995 A.D. in Ziffern. Jedes, der in Leder eingebundenen Bände, beinhaltet 2.068 auf Bibelpapier gedruckte Seiten. Der Untertitel des ersten Teils lautet „For all those who have lived and died“ und macht aufmerksam auf die Bedeutung eines einzelnen Individuums, die kurze Zeitspanne eines Lebens und seine Position in einem Gefüge in einem größeren Ganzen. Der zweite Teil ist jemand ganz besonderem gewidmet und zwar „For the last one“. Das vergegenwärtigt wiederum die Einordnung einer ganzen Spezies in ein größeres Ganzes und führt selbst die Kurzweiligkeit einer ganzen Spezies vor Augen.

Die Teil­neh­mer werden in den Nach­lass des Künst­lers einge­tra­gen und somit zu einem Teil seines Werks.

Die Lesung dieser Arbeit fand 1993 während Kawaras einjähriger Einzelausstellung „One Thousand Days One Million Years“ im Dia Center for the Arts in New York statt. Die Besucher konnten "One Million Years [Future]" hören, während "One Million Years [Past]" und eine Gruppe von seinen "Date Paintings" ausgestellt wurde. Die längste Lesung von "One Million Years" fand während der documenta 11 im Jahr 2002 statt. Dort las jeweils ein männlicher und weiblicher Teilnehmer, nebeneinander sitzend in einem Glaskasten, abwechselnd aus "[Past]" und "[Future]" während der gesamten 100 Tage dauernden Ausstellung. 2004 wurde das Projekt auf dem Trafalgar Square in London draußen in einer fortdauernden Lesung sieben Tage und sieben Nächte lang durchgeführt. Seitdem finden die Lesungen und Aufnahmen in Städten in der ganzen Welt statt. Das Projekt reist. Und jedes Mal wird dort weitergelesen wo es beim letzten Mal aufgehört hat. Die Teilnehmer werden in den Nachlass des Künstlers eingetragen und somit zu einem Teil seines Werks.

"One Million Years" mitten in Frank­furt

Man nimmt an, dass es 2.700 CDs brauchen wird, die Lesung von "[Past]" und "[Future]" zu vervollständigen. Im Durchschnitt werden 27 CDs pro Jahr aufgenommen. So schätzt man für die Fertigstellung des gesamten Projekts etwa 100 Jahren ein. Die letzte und sehr bedeutende Lesung fand im Guggenheim in New York im Februar 2015 statt. Und nun dürfen wir On Kawara mit "One Million Years" hier, mitten in Frankfurt, der vielleicht kleinsten Metropole der Welt, begrüßen. Studierende der Studiengalerie 1.357 der Goethe-Universität haben seine Arbeit auf den Campus Westend geholt. Vom 28. Oktober bis zum 26. November 2015 präsentieren sie in Kooperation mit dem MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt in den Räumlichkeiten der Universität. Die Live-Readings sind im Foyer und in der Rotunde des IG-Farben-Gebäudes am 28. Oktober von 12 bis 23 Uhr zu hören und am 29. Oktober von 10 bis 18 Uhr. Die Bände mit den Jahreszahlen kann man in Raum 1.357 im 1. Stock besichtigen.