Zwischen 1966 und 1972 macht Yoko Ono 19 Filme. In ihrem wohl bekanntesten Film „Fly“ befreit sie den Körper der Frau vom männlichen Blick.

So viel Aufmerksamkeit wurde einer Fliege in der Kunstgeschichte nie zuvor zuteil: 1970 widmet Yoko Ono dem Insekt einen ganzen Film. Die Kamera folgt in Detail- und Großaufnahmen erst einer und dann mehreren Fliegen beim Erkunden des nackten Körpers einer schlafenden Frau. Begleitet von fiktiven Fliegengeräuschen, die Ono gemeinsam mit John Lennon aufgenommen hat, wandern sie über die Körperwölbungen wie Kamele über Dünen in der Sahara. Der Körper wird zur Landschaft: Die Fliege krabbelt durch das dichte Schamhaar, klettert im Achselhaar umher, erforscht die Ohrwölbungen und tastet mit ihrem Saugrüssel ausgiebig die Lippen ab.

Ganze 25 Minuten lang kommt „Fly" mit ein paar Fliegen und einer nackten Frau aus. Trotz der reduzierten Handlung entwickelt sich so etwas wie ein Spannungsbogen mit Höhepunkten, zum Beispiel wenn die Fliege die geschlossenen Augen erreicht. Der Film ist banal, unterhaltsam, für jeden zugänglich. Damit reiht er sich ästhetisch in die Fluxusfilme ein, die im Umfeld von George Maciunas entstehen, dem Namensgeber der Bewegung. Ono ist gut mit Maciunas befreundet. Ihre ersten Filme „Eye Blink" und „One (Match)", deren Titel schon verraten, was darin zu sehen ist, dreht sie 1966 mit einer Hochgeschwindigkeitskamera, die Maciunas gerade gekauft hat. Ono konzipiert und improvisiert beide Filme spontan, ganz im Sinne von Fluxus. Der experimentelle Sound von „Fly" erinnert mit seinem Jaulen, Zischen und gequältem Grunzen an die Lautgedichte der Dadaisten, die Fluxus inspirierten.

Nackt, aber nicht erotisch

Vor allem ist „Fly" aber ein Werk feministischer Kunst. Der Körper der Darstellerin Virginia Lust ist radikal exponiert. Er ist dem Blick ausgeliefert, ähnlich wie in der Werbung, im Hollywoodfilm oder dem -- ebenfalls vor allem von Männern realisierten -- Undergroundfilm dieser Zeit. Von der Frau wird damals fast ausschließlich der erotische Körper medialisiert. Ono setzt dieser Sexualisierung einen natürlichen Körper entgegen. Die Frau ist nackt, aber nicht erotisch. Sie liegt schlaff da, anstatt sich lasziv zu inszenieren. Selbst, als die Kamera mit der Fliege den Körper abtastet und die Brustwarzen oder die Vagina in Großaufnahme zu sehen sind, ist das nicht sexy. Es ist schlicht, was es ist: ein Körper. Nicht der männliche Blick erkundet die nackte Haut, die Lippen, die Brüste, sondern die Fliege. Mit diesem Kunstgriff neutralisiert Ono im Mainstream und im Underground-Film gleichermaßen vorherrschende Konventionen -- auf eine für ihre Kunst typisch poetische Weise.

Andere Künstlerinnen gehen die Dekonstruktion der weiblichen Rollenzuweisung wesentlich direkter an. In den 1960er- und 1970er-Jahren blüht mit der Protestkultur in den USA auch die feministische Kunst auf. Die japanisch-stämmige Künstlerin Shigeko Kubota klemmt sich für die Performance „Vagina Painting" 1965 einen Pinsel zwischen die Beine und bewegt sich damit in der Hocke über eine Leinwand. Es ist ein ironischer Kommentar auf die chauvinistische Clique der Abstrakten Expressionisten um Jackson Pollock. Ana Mendieta inszeniert 1973 die „Rape Scene" als Aktion in ihrem Appartement, nachdem eine Studentin vergewaltigt und ermordet worden war. Eingeladene Bekannte treten durch die offen gelassene Tür und sehen eine von der Taille abwärts entblößte Frau von hinten. Ihre Beine sind blutverschmiert, der Körper liegt halb über einem Tisch, ist festgebunden. Auch wenn Onos Film weniger drastisch ist, lässt er ähnliche Assoziationen zu. Denn Virginia Lust bleibt während des gesamten Films regungslos liegen. Und Fliegen umschwirren bekannter Weise ja auch Leichen.

Das Label „Feminismus" ist nur eines von vielen

Bei Ono und ihren Kolleginnen, die allmählich beginnen, sich in einer von Männern dominierten Kunstwelt durchzusetzen, ist das Label „Feminismus" aber nur eines von vielen, das sich auf ihre Kunst anwenden lässt. Sie toben sich in neuen Formaten wie Konzeptkunst, Fluxus, Happening, Performance oder Environment aus. Wie viele andere Künstlerinnen und Künstler der New Yorker-Avantgarde, etwa Jonas Mekas oder Andy Warhol, entdeckt auch Ono in den 1960er-Jahren den Film für sich. Die Szene lotet die Grenzen des Mediums aus, sprengt formale und inhaltliche Konventionen. Ono tut das auf ihre besondere Art und schafft zwischen 1966 und 1972 19 Filme. „Fly" ist dabei wahrscheinlich ihr bekanntester