Willem de Kooning wagte sich in seinen letzten Bildern als Abstrakter Expressionist an Gegenständliches. So handelte er sich Ärger mit Kollegen und Kritikern ein. Trotzdem blieb er sich bis zum Ende treu.

In den 1980er-Jahren, als Willem de Kooning seine letzten Bilder malte, war die Leinwand für Künstler zum undankbarsten Medium verkommen. Die Malerei wurde stigmatisiert und für tot erklärt. Neue Formate wie Videokunst, Performance oder Installation hatten sich etabliert, Fotokünstler feierten Erfolge, die Konzeptkunst boomte. Mit Jackson Pollock, Mark Rothko und anderen Künstlern hatte de Kooning die letzte große Avantgarde-Bewegung des 20. Jahrhunderts, in der die Malerei noch im Mittelpunkt stand, mit angeschoben: den Abstrakten Expressionismus. Mit ihren Werken hatten die Abstrakten Expressionisten New York in den späten 1940er-Jahren zum Durchbruch verholfen. Paris hatte als Nabel der Kunstwelt ausgedient. 

Doch schon mit dem Aufkommen von Pop Art und Fluxus in den 1960er-Jahren gab es Unfrieden in der New Yorker-Szene. Erneuerer begrüßten die völlig unkonventionellen Entwicklungen, Bewahrer krallten sich am Abstrakten Expressionismus fest. Im Mittelpunkt dieser Malerei stand die Farbe. Mit ihr brachten die Künstler ihr Innerstes zum Ausdruck. Farbe wurde rasch aufgetragen, vermischt, gepinselt, gespachtelt, gedrippt. Jackson Pollocks Action Painting, bei dem er über der auf dem Boden liegenden Leinwand stand und Farbe mit vollem Körpereinsatz kreuz und quer über die Fläche tropfte, fand als Mythos Eingang in die Geschichte der Malerei. Auch de Kooning war für seinen energischen Umgang mit Farbe bekannt. Im Gegensatz zu seinen Kollegen Pollock und Rothko wagte er sich aber auch an Gegenständliches – sich ganz in die Schublade der abstrakten Malerei stecken zu lassen, widersprach seinem eigensinnigen Gemüt. 

Verrat an der Sache

In einem seiner berühmtesten Gemälde etwa, „Woman I“, das zwischen 1950 und 1952 entstand, zeichnet sich in expressiven Linien und Farbflächen deutlich der grotesk verzerrte Körper einer Frau ab, ein Körper, der zwar der Farbe und dem Pinselstrich untergeordnet ist, sich der reinen Abstraktion aber widersetzte. 1953 zeigte de Kooning in einer Galerie zum Entsetzen seiner Kollegen eine ganze Reihe solcher Frauenbilder. Der Kritiker Clement Greenberg, der ihn zuvor noch als abstrakten Maler gefeiert hatte, warf ihm Verrat an der Sache vor. 

Fortan kam er in Kritiken kaum noch gut weg. In einer Rede anlässlich einer Ausstellung im New Yorker Guggenheim-Museum 1961 zweifelte Greenberg erneut de Koonings künstlerische Fähigkeiten an. Als sie sich ein paar Wochen später zufällig begegneten, gerieten sie aneinander und de Kooning verpasste Greenberg einen Schlag ins Gesicht. 1964 beschrieb der Kritiker Harald Rosenberg, der de Kooning gut kannte und 1952 den Begriff Action Painting geprägt hatte, dass dessen Gegner nicht müde würden, ihm den künstlerischen Niedergang zu attestieren und den besseren de Kooning stets in der Vergangenheit suchten. Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass auch seine späten Arbeiten von vielen Kritikern als schwache Werke eines alternden, kranken Mannes abgetan wurden. 

Eine tragische Figur der amerikanischen Kunstgeschichte

Unbeirrt von solchen Attacken malte de Kooning weiter, bis in die späten 1980er-Jahre hinein. Sein europäisch geprägtes Werk verlor zunehmend an Bedeutung, wurde zum Anachronismus. Der damals noch junge Künstler Robert Rauschenberg hatte de Koonings Schicksal schon 1953 antizipiert: Um das Ende des Abstrakten Expressionismus und der traditionellen Malerei wirksam zu proklamieren, radierte er eine Zeichnung de Koonings aus. Dieser hatte sie ihm für diesen Zweck sogar zur Verfügung gestellt.

Man mag die Bilder aus de Koonings letzter Schaffensperiode bewerten, wie man will. Fest steht, dass er seinem künstlerischen Interesse treu blieb. Auch seine letzten Bilder bewegen sich zwischen Abstraktion und kubistischer Gegenständlichkeit, die Einflüsse von Avantgarde-Pionieren wie Pablo Picasso sind deutlich zu erkennen. Sein Handwerk hatte de Kooning noch in den Niederlanden gelernt. 1926 war er mit 22 Jahren aus seiner Geburtsstadt Rotterdam in die USA ausgewandert. In New York hatte er sich anfangs als Gebrauchsgrafiker über Wasser gehalten, Schaufenster gestaltet und Modezeichnungen angefertigt. Dann wurde er zu einem der größten amerikanischen Maler. Und schließlich zu einer tragischen Figur der jungen amerikanischen Kunstgeschichte. 

Der Trinker und Macho wurde weich

Auch die jetzt in der SCHIRN zu sehenden Bilder aus den Jahren 1985 bis 1987 wirken nur auf den ersten Blick rein abstrakt. Auf den zweiten lassen sich Augenpaare, weibliche Hüften, wallende Haare oder Lippen ausmachen. Die Auseinandersetzung mit Frauen, die sein Werk prägte, scheint sich auch hier fortzusetzen. Zu dieser Zeit war er wieder mit seiner ersten Frau, der Künstlerin Elaine de Kooning, zusammen gekommen. In den zwei Jahrzehnten ihrer Trennung hatte er diverse Beziehungen und Liebschaften. Im Gegensatz zu seinen früheren Arbeiten sind seine letzten Bilder nicht mehr rau und wild. Die Formen sind harmonischer, die Farben auf Gelb-, Blau- und Rottöne reduziert, ruhige Weißflächen breiten sich zwischen geschwungenen Linien aus. Am Ende wurde der energische, als Trinker und Macho bekannte de Kooning weich. Er malte noch bis 1990, dann ließ er den Pinsel für immer fallen. 1997 starb er, in den letzten Jahren seines Lebens soll er an einer schweren Alzheimer-Erkrankung gelitten haben. Die Diskussion um sein Spätwerk und die Auferstehung der Malerei in der Kunst hat er vielleicht gar nicht mehr bewusst erlebt.