Mit It-Girls, Dragqueens und Low-Budget-Filmen schuf Warhol ein glamouröses Universum, das aus der Subkultur schöpfte und sie wieder inspirierte. In der „Glam!“-Ausstellung sind jetzt mehrere seiner Werke zu sehen.

Auf der silberfarbenen Oberfläche der Helium-Kissen, die gerade in der Rotunde der SCHIRN schweben, spiegeln sich Besucher, Säulen, Pflastersteine, Zigarettenpausen. Andy Warhols Installation „Silver Clouds" aus dem Jahr 1966 ist ganz auf Äußerlichkeit angelegt. Der Pop-Künstler fing die Ästhetik des Alltags ein, um so Kunst und Leben zu verschmelzen. In der New Yorker Subkultur und in Warhols Studio, der Factory, gestaltete sich der Alltag allerdings etwas anders als gewöhnlich, nämlich mit jeder Menge Glitzer, Sex und Amphetaminen. Dort scharte er reiche It-Girls, Transvestiten, Musiker und Stricher um sich und ließ sie in seinen Filmen auftreten. Warhol dirigierte das Geschehen geschickt, wurde zum Jahrhundert-Künstler und zu einem der Wegbereiter des Glam. Seine extrovertierten Superstars formten die neue Ästhetik mit.

In den frühen 1960er-Jahren schwappte eine neue Jugendkultur aus England über den großen Teich in die USA. Um die Beatles und die Rolling Stones brach ein Hype aus. Ihre neue Selbstbestimmtheit unterstrichen die „Kids", wie Warhol zu sagen pflegte, mit schrillen Outfits. Die Szenen vermischten sich, britische Künstler wie Richard Hamilton tauschten sich mit ihren Kollegen in den USA aus, Musiker aus London traten in New York auf. Der in den 1970er-Jahren entstandene Glam schöpfte aus beiden Kulturen, und Andy Warhols Superstars mischten bald selbst im engeren Glam-Kreis mit. Cyrinda Foxe etwa, die in Warhols Theaterstück „Pork" und im Film „Andy Warhol's Bad" spielte, ging eine Beziehung mit David Bowie ein, inspirierte den Song „The Jean Genie" und trat im Musikvideo dazu auf. Roxy Music besangen Baby Jane Holzer in ihrem Song „Virginia Plain".

Für kapriziöse Körper-Inszenierungen, die den Glam prägen sollten, interessierte sich Warhol aber schon früher. Davon zeugen zum Beispiel diverse Darstellungen von Damenschuhen aus den 1950er-Jahren, von denen einige jetzt in der SCHIRN zu sehen sind. Mit chemischen Farben, Blattgold oder Tusche brachte er High Heels, Stiefeletten und Männerschuhe aufs Papier. Warhol hatte seine Karriere als Illustrator für die Werbeindustrie und Frauenzeitschriften wie Vogue oder Harper's Bazaar begonnen. Mit Gemälden und Siebdrucken, zum Beispiel seiner berühmten Porträt-Serie mit dem Konterfei Marilyn Monroes, wurde er bald zum gefeierten bildenden Künstler. In den 1960er-Jahren tauschte er Pinsel und Sieb gegen eine Kamera.

Bis zum Exzess getriebene Oberflächlichkeit

Warhols frühe Filme entstanden ohne Drehbuch, mit einfachsten Mitteln und niedrigem Budget. Ästhetik und Sujets konterkarierten das den Markt dominierende Hollywood-Kino. Mit seinen „Screen Tests" bezog sich Warhol direkt auf Hollywood, wo es üblich war, beim Dreh Probeaufnahmen von Stars zu machen, um etwa die Wirkung von Haar und Make-up zu testen. Warhol eignete sich dieses Format an, richtete seine Bolex auf seine Superstars, fing ihre Gesichter in Groß- oder Nahaufnahme ein und projizierte die zwei bis drei Minuten langen Aufnahmen in Zeitlupe. Über 500 solcher bewegten Porträts entstanden in den 1960er-Jahren, neben Warhol-Superstars wurden auch Persönlichkeiten wie Dennis Hopper, Susan Sontag oder Allen Ginsberg zu Protagonisten der Serie. In der SCHIRN flackern jetzt die Gesichter der Musiker Nico, Lou Reed, John Cale und Sterling Morrison über die Bildschirme.

Eine wichtige Inspirationsquelle für die Ästhetik des Glam waren die Dragqueens. Sie eigneten sich das glamouröse Auftreten, den Look und die Gesten gefeierter Hollywood-Diven an. Warhol entdeckte viele herausragende Dragqueens im New Yorker-Nachtleben, etwa Candy Darling oder Mario Montez, und machte sie zu Superstars. In der „Glam!"-Ausstellung ist Montez im knapp drei Minuten langen Film „Mario Banana" aus dem Jahr 1964 zu sehen. Er trägt eine dicke Schicht Make-up, knallroten Lippenstift, eine pelzige Perücke mit glitzerndem Haarschmuck und weiße Handschuhe. Montez schält eine Banane, lässt seine Zunge um sie herum spielen und verspeist sie. Es ist eine banale Szene, deren subversives Potenzial sich erst aus dem gesellschaftlichen Kontext der Entstehungszeit erschließt: Sich zu einer Sexualität abseits der geltenden Norm zu bekennen und öffentlich als Transvestit aufzutreten, war in den konservativen USA der 1960er-Jahre ein höchst waghalsiger Akt.

Warhols Freund Billy Name hatte die Wände der ersten Factory im Osten Manhattans mit Folie und Sprühfarbe versilbert und damit eine Metapher für die bis zum Exzess getriebene Oberflächlichkeit geschaffen, die sich in Warhols Kunst und seiner Person manifestierte. Für seine Kritiker war sie vor allem Ausdruck narzisstischer Selbstliebe und Egomanie. Er selbst trug meistens nur Jeans, T-Shirt und schwarze Lederjacke, über seine Beziehungen oder Gefühle ist wenig bekannt. All das blieb unter einer Oberfläche verborgen, in der sich lediglich die Umgebung spiegelte.